Staatliche Strukturen zur Unterstützung des Widerstands
Der ukrainische Widerstand gegen die russische Besatzung begann bereits Monate vor dem Beginn der russischen Vollinvasion. Bereits im Juli 2021 verabschiedete die Werchowna Rada das Gesetz »Über die Grundlagen des nationalen Widerstands« als Rechtsgrundlage für die Organisation von Verteidigung und Widerstand im Falle eines Angriffs. Das Gesetz definiert die territoriale Verteidigung, die Organisation von Widerstandsbewegungen und die Vorbereitung der Bürger:innen auf die Kriegssituation als die drei Komponenten des nationalen Widerstands. Bestandteile der aufzubauenden Widerstandsbewegung sind nach dem Gesetz die Bildung von Widerstands-Zentren, die Entwicklung von entsprechenden Fähigkeiten und die Störung sowie Meldung von feindlichen Aktivitäten. Organisationsformen, Aktivitäten und Ziele der Widerstandsbewegung wurden bewusst mit Blick auf die konkrete Situation der Besetzung ukrainischer Territorien formuliert.
Die organisatorische Verantwortung für die Widerstandsbewegung liegt bei den Spezialeinheiten (SOF), einer Untereinheit der ukrainischen Streitkräfte, und wird vom Nationalen Widerstandszentrum (NRC) koordiniert, das im März 2022 gegründet wurde. Ziel des Zentrums ist es, Informationen, Anleitungen und Online-Materialien für den aktiven Widerstand anzubieten, die Partisanenaktivitäten zu koordinieren und diese effektiver zu gestalten. Außerdem stellt es Lernmaterial über taktische Medizin, Cybersicherheit und Ähnliches zur Verfügung und fördert und unterstützt sowohl den gewaltlosen als auch den bewaffneten Widerstand. Das Zentrum sammelt und veröffentlicht zudem Informationen über Kriegsverbrechen in den besetzten Gebieten, die von russischer Seite begangen werden. Dazu zählen Berichte über Entführungen, Deportationen, Zwangsmobilisierungen und Enteignungen durch die russische Armee und/oder russische Geheimdienste.
Gewaltfreier Widerstand in den besetzten Gebieten
Bereits in den ersten Tagen nach Beginn der russischen Vollinvasion formierte sich ein von Bürger:innen organisierter Widerstand gegen den russischen Überfall. In zahlreichen besetzten Städten der Südukraine fanden pro-ukrainische Proteste statt, die in manchen dieser Städte die bis dato größten Demonstrationen darstellten. Proteste in den besetzten Städten Cherson, Berdjansk, Melitopol, Kachowka und Nowa Kachowka hielten bis zu zwei Wochen an, bis die Besatzer sie Mitte März 2022 schließlich durch Verfolgung, Inhaftierung und Folter der Aktivist:innen beendeten. In Folge dessen verlagerte sich der Widerstand in den Untergrund, indem durch pro-ukrainische Graffiti, Flugblätter und kleine Zeichen im öffentlichen Raum die Zugehörigkeit zur Ukraine ausgedrückt wurde.
Die bekannteste Bewegung des gewaltfreien und vor allem symbolischen Widerstands nennt sich Gelbe Schleife. Mit den Symbolen der Bewegung – eine gelbe Schleife auf blauem Hintergrund oder dem spezifisch ukrainischen Buchstaben ï – markieren Mitglieder der Bewegung den öffentlichen Raum sichtbar als ukrainisch. In den ersten Wochen des russischen Angriffs organisierte die Bewegung auch Protestkundgebungen und Flashmobs in vielen Städten im Südosten und Süden der Ukraine. Die Bewegung wurde im April 2022 von einer kleinen Gruppe von IT-Spezialist:innen ins Leben gerufen und begann mit einem Telegram-Kanal, der die Einwohner:innen der Stadt Cherson dazu aufforderte, ukrainische Flaggen und gelbe Bänder an Zäune, Äste, Laternenpfähle und andere Stellen im öffentlichen Raum zu hängen. Ende April 2022 organisierte die Bewegung eine Kundgebung im besetzten Cherson, bei der mehrere hundert Demonstrierende »Cherson ist ukrainisch« skandierten. Da direkter Protest schnell lebensbedrohlich wurde, nahmen klandestine Praktiken wie das Anbringen gelber Bänder im öffentlichen Raum und pro-ukrainische Graffiti zu. Diese »Markierungen« verbreiteten sich schnell im gesamten Südosten der besetzten Ukraine sowie auf der Krim. Die Kommunikation innerhalb der Bewegung verläuft aus Sicherheitsgründen anonym über zwei Chatbots, Ochi (Augen) und Razom (Zusammen). Kriegsverbrechen, Truppenbewegungen und andere Aktivitäten der Besatzer können an Ochi gemeldet werden, während Aktivist:innen Fotos ihrer Bänder und Graffiti, mit denen sie ukrainische Präsenz demonstrieren, an Razom senden können. Von dort aus werden Fotos und Geschichten des Widerstands an den öffentlichen Telegram-Kanal weitergeleitet. Im September 2022 verteilten Aktivist:innen zudem Flugblätter mit dem Slogan »Ϊ contra Z« gegen die angeblichen »Referenden« in den besetzten Gebieten.

Neben der Markierung des öffentlichen Raums als ukrainisch verteilt die Gelbe-Schleife-Bewegung auch Flugblätter mit praktischen Informationen darüber, wie man Widerstand leisten oder die besetzten Gebiete verlassen kann. Hauptorte der Bewegung sind Berdjansk, Melitopol, Simferopol, aber auch einige seit 2014 besetzte Städte wie Donezk oder Luhansk. Bis April 2025 hatte der öffentliche Telegram-Kanal der Bewegung fast 17.000 Abonnent:innen.
Eine weitere prominente gewaltfreie und feministische Widerstandsgruppe, Zla Mavka, arbeitet ebenfalls dezentral über Telegram. Zla Mavka wurde Anfang 2023 von drei Frauen in der besetzten Stadt Melitopol gegründet. Der Name der Gruppe bezieht sich auf Mavka, eine in der ukrainischen Folklore sehr bekannte Figur, die als weiblicher Waldgeist für ihre Stärke und ihren Trotz bekannt ist. Zla Mavka lässt sich als »Wütende Mavka« übersetzen und spiegelt sowohl die Wut als auch die Widerstandsfähigkeit ihrer Mitglieder gegenüber der russischen Besatzung wider. Zu den Aktivitäten der Bewegung zählen Graffiti und Symbole im öffentlichen Raum, aber in ihrem Telegram-Kanal wird auch berichtet, dass Mitglieder russischen Soldaten Alkohol gemischt mit Abführmitteln angeboten hätten. Während die Mitglieder sich im Alltag möglichst unauffällig verhalten, um die Aufmerksamkeit der Besatzer nicht auf sich zu ziehen, zielt ihr Untergrund-Aktivismus darauf ab, den russischen Besatzern deutlich zu machen, dass diese in der Ukraine nicht willkommen sind. Es ist schwer abzuschätzen, wie viele Aktivistinnen an der Bewegung beteiligt sind; ihr Telegram-Kanal zählt 9.300 Abonnenten.
Darüber hinaus organisieren Bürger:innen auch immer wieder private Zusammenkünfte, um ukrainisches kulturelles Erbe zu bewahren und inneren Widerstand gegen die russische Besatzung zu leisten, wie beispielsweise ukrainische Literaturclubs.
Bewaffneter Widerstand in den besetzten Gebieten
Die Beurteilung der Effektivität des bewaffneten Widerstands in den besetzten ukrainischen Gebieten ist aufgrund der begrenzten Datenlage schwierig. Open-Source-basierte Informationen, Expert:inneneinschätzungen und politische Berichte deuten jedoch auf zwei Schlüsselkomponenten des Widerstands hin: Operationen der ukrainischen Spezialeinheiten (SOF) und eine präsente, möglicherweise sogar wachsende Partisanenbewegung. Im Rahmen des Gesetzes über den Nationalen Widerstand sind SOF und zunehmend professionelle Partisaneneinheiten eng miteinander verbunden, und die SOF fördern die Partisanen, Kampfeinsätze hinter den feindlichen Linien durchzuführen.
Seit der umfassenden Invasion haben die SOF zahlreiche »dynamische Aktionen« durchgeführt, die auf die russische Logistik und Infrastruktur abzielten. Dazu gehören die Zerstörung von Brücken von der Krim nach Melitopol (28. April 2022) und in Donezk (23. August 2022) sowie das symbolische Hissen der ukrainischen Flagge auf der befreiten Schlangeninsel (Ukrainisches Militärportal 2022). Im Jahr 2023 nahmen die Aktivitäten zu: Am 13. September zerstörten die SOF das U-Boot Rostow am Don und das Landungsschiff Minsk in Sewastopol (Kushnikov 2023). Im Oktober folgte die Operation »Dragonfly«, die Flugplätze in Berdjansk und Luhansk ins Visier nahm, neun Hubschrauber zerstörte und den Abzug russischer Flugzeuge aus den Frontgebieten veranlasste (Sapwood 2023, zu SOF-Aktionen siehe Neag, M.M. und Solescu 2024).
Im Verlaufe des Krieges nahmen die SOF-Aktivitäten hinter den russischen Linien von Jahr zu Jahr zu (Matsiyevsky 2023). Laut der Daten des SOF fanden 94 Operationen im Jahr 2022 statt, 138 im Jahr 2023 und 150 im Jahr 2024, darunter auch Angriffe auf Flugplätze und Marinestützpunkte. Bis Mitte April 2025 wurden bereits 43 Operationen durchgeführt, wobei die tatsächliche Zahl vermutlich noch höher ist, aber der Geheimhaltung unterliegt (SOF Telegram).
Parallel zu den SOF-Aktionen ist die ukrainische Partisanenbewegung erheblich gewachsen. Erste Gruppierungen entstanden schon 2014 während der russischen Besetzung von Luhansk und Donezk, wie beispielsweise der »Nationale Untergrund von Luhansk«, hatten aber nur eine begrenzte Reichweite. Seit der russischen Vollinvasion im Jahr 2022 gab es eine Welle von Neugründungen, aus der mindestens elf Widerstandsgruppen hervorgingen, darunter Atesh, Berdiansk Partisan Army, Popular Resistance of Ukraine, August, S.R.O.K., Crimean Seagull Warriors, 1918, Mariupol. Resistance, Black Mace, Crimean Wind, Masandr und Crimean Partisans.
Durch die Gründung der SOF im Jahr 2016 und das Gesetz über den nationalen Widerstand von 2021 wurden sowohl die rechtliche Grundlage als auch direkte Unterstützung und bessere Koordinierung des Widerstands ermöglicht. Viele Partisanen – oft junge Einheimische – wurden bereits vor der Vollinvasion im Widerstand geschult und bildeten territoriale Verteidigungseinheiten, die mit den ukrainischen Sicherheitsdiensten verbunden sind. Ihre lokale Verankerung hilft zugleich, Verdächtigungen durch russische Sicherheitskräfte zu vermeiden. Dem Anführer des Luhansker Widerstands, Wolodymyr Schemtschugow, zufolge, besteht die Bewegung zu 60 % aus militärischem Personal und zu 40 % aus Freiwilligen (Rodak, 2022).
Die Ziele der Partisanen konzentrieren sich auf die Bereitstellung von Informationen, direkte Aktionen und die Verhinderung von Kollaboration durch Abschreckung. Im Jahr 2022 dokumentierte die BBC 13 Morde und 10 Attentatsversuche auf ukrainische Kollaborateure (BBC Ukraine 2022). Zu den bemerkenswerten Anschlägen gehörten der Bombenanschlag auf das Auto von Jewhen Soboljew in Cherson im Juni 2022, die Ermordung des Beamten Witalij Gura aus Nowa-Kachowka und ein Attentat auf den Verwalter von Tschornobajiwka, Jurij Turulew.
Zwischen März und November 2022 verzeichnete das Institute for the Study of War 31 bestätigte Partisanenangriffe (ISW 2022). Basierend auf ukrainischen Open-Source-Daten lässt sich nachvollziehen, dass Partisanen für 14 der 32 gemeldeten Attentatsversuche im Jahr 2023 verantwortlich waren. Im Jahr 2024 standen fünf von 16 Fällen mit dem Widerstand in Verbindung, wobei die Dunkelziffer vermutlich höher ist.
Ende 2022 nahmen die Widerstandsaktivitäten zu, wobei Atesh – was auf Krimtatarisch »Feuer« bedeutet – seither die aktivste Gruppe ist. Gegründet im Sommer 2022, bezeichnet sich Atesh als »militärische Bewegung von Ukrainern und Krimtataren«. Atesh operiert in allen besetzten Regionen der Ukraine sowie tief in Russland und zielt auf russisches Militärpersonal, Logistik und Versorgungslinien. Zwischen dem 20. März und dem 12. April 2022 wurden nach Angaben des ukrainischen Militärgeheimdienstes 70 russische Soldaten bei Nachtpatrouillen von Atesh-Partisanen getötet (Defense Intelligence 2022).
Im Februar 2023 gab Atesh an, 4.000 russische Soldaten für seine »Atesh School« rekrutiert zu haben, eine Plattform, die Sabotageanleitungen verbreitet (Atesh Telegram 2023). Die Gruppe meldete 44 Aktionen im Jahr 2022 und 605 im Jahr 2023 (Atesh Telegram), darunter die Tötung von 30 russischen Soldaten in Krankenhäusern in Simferopol im November 2022 (Slovo i Dilo, 2022), ein Brandanschlag auf eine Kaserne in Sovetske (Dezember 2022) und die Eliminierung von sieben Soldaten der 155. russischen Marinebrigade im Dezember 2023 (Atesh.ua 2023).
Strukturell besteht Atesh aus einem militärischen Flügel und einer zivilen Komponente – die Atesh Civil Force – die sich auf lokale Netzwerke für nachrichtendienstliche Informationen stützt. Zivilpersonen informieren über russische Einrichtungen, Einberufungspläne, Kriegsverbrechen und Repressionen. Diese Zusammenarbeit ermöglichte große Angriffe wie den Raketenangriff auf das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte in Sewastopol (22. September 2023), bei dem 34 Offiziere getötet und 105 verwundet wurden (Atesh-Telegram, 22.09.23), und trug zur Zerstörung des U-Boots Rostow am Don und des Landungsschiffs Minsk am 13. September 2023 bei (Atesh-Telegram, 13.09.23).
Die Operationen von Atesh in Russland erstrecken sich von Sankt Petersburg bis nach Sibirien (Krim-Widerstand 2024). Berichten zufolge war die Gruppe am Attentat auf den russischen Propagandisten Sachar Prilepin im Mai 2023 und an der Zerstörung einer R-441 Liven-Satelliten-Kommunikationsstation in der Nähe von Moskau im Juni 2024 beteiligt (Basmat 2024).
Andere Gruppen operieren auf der Krim, wie die seit September 2022 aktiven Crimean Seagull Warriors, die sich auf psychologische Kriegsführung und die Eliminierung von Kollaborateuren wie dem Sewastopoler Richter Ihor Brazhnyk konzentrieren. Im Jahr 2023 führten neue Gruppen wie Nation’s Resistance, S.R.O.K. und 1918 Aktionen durch, die Brandstiftung oder auch die Markierung von besetztem Eigentum umfassen (Nation’s Resistance 2023).
Basierend auf Open-Source-Daten lässt sich die Gesamtzahl der aktiven Partisanen auf wenige Tausend schätzen, wobei einzelne Einheiten in der Regel Dutzende bis mehrere Hundert Mitglieder umfassen. Trotz des verstärkten russischen Vorgehens bleibt der Widerstand bestehen. Die britische Forscherin Jade McGlynn beobachtete zuletzt eine steigende Zahl von Operationen und dokumentierte 11 bestätigte Partisanenangriffe zwischen Ende März und Anfang April 2025, darunter Aktionen in Rjasan, Kemerowo und Abakan – also tief auf russischem Gebiet (Ukraine: The latest, 11. April 2025).
Zusammengefasst stellt die ukrainische Partisanenbewegung weiterhin eine erhebliche, wenngleich lokal begrenzte Bedrohung für die russische Kontrolle über die besetzten Gebiete dar. Von Sabotageakten bis hin zu gezielten Tötungen stören die Aktionen der Partisanen die russische Logistik, demoralisieren die Besatzungstruppen und untergraben die Legitimität der russischen Regierung. Da sich sowohl der zivile als auch der bewaffnete Widerstand intensiv auf digitale Hilfsmittel stützt, soll im Folgenden auch die digitale Dimension der Bewegung betrachtet werden.
Digitaler Widerstand
Russlands Krieg gegen die Ukraine – und damit auch sein hybrider Krieg gegen den Westen – wird sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in der digitalen Welt geführt. Die russische digitale Kriegsführung zielt nicht nur auf Infrastrukturen wie Server und Netzwerke ab, sondern auch darauf, die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen, insbesondere in den besetzten Gebieten, indem sie jene Praktiken des »vernetzten Autoritarismus« (Locot, 2023) fördert, die innerhalb der eigenen Grenzen entwickelt wurden.
Als Reaktion auf Russlands digitale Kriegsführung hat sich ein starker digitaler Widerstand entwickelt. Dieser Widerstand setzt strategisch Technologien ein, um russische Kontrolle, Zensur und Überwachung zu unterminieren. Verschlüsselte Messaging-Apps wie Telegram, Signal und Threema sowie VPNs ermöglichen es lokalen Gruppen, Widerstandshandlungen zu organisieren – vom Verteilen von Flugblättern bis hin zu Sabotageakten (Canevez, Maikovska & Zwarun, 2024).
In den ersten Monaten der Invasion spielten ukrainische Zivilist:innen eine Schlüsselrolle, indem sie den ukrainischen Streitkräften russische Truppenbewegungen meldeten. Mehr als tausend solcher Nachrichten wurden verarbeitet und halfen bei militärischen Operationen (Kravchenko, 2023). Ein Beispiel ist der Telegram-Kanal Ruzzians Go Home, der am 25. Februar 2022 in Cherson von etwa 20 Mitgliedern gegründet wurde, um Informationen direkt an die ukrainischen Streitkräfte weiterzuleiten (Luxmoore, 2022).
Um diese zivil-militärische Koordination zu vereinfachen, hat das Ministerium für digitale Transformation im März 2022 den Chatbot eEnemy eingeführt. Mit ihm können Ukrainer:innen Fotos und Videos von russischen Truppen, ihren Bewegungen und ihrer Ausrüstung übermitteln. Bis Mai 2023 hatten fast 500.000 Nutzer Berichte eingereicht, darunter 10.000 über Kollaborateure (Armyinform, 2023). Ein weiteres Tool, der offizielle @stop_russian_war_bot, hat Tausende von Meldungen über Saboteure und feindliche Anlagen erhalten, die alle an den ukrainischen Sicherheitsdienst gerichtet waren (Security Service of Ukraine, 2023).
Parallel dazu hat die IT-Armee der Ukraine – eine im Februar 2022 gegründete Gruppe von Freiwilligen, sog. Cyberkriegern – Tausende von Offensivaktionen gegen russische Ziele durchgeführt. Im Juni 2024 verübte die IT-Armee einen umfangreichen DDoS-Angriff (Distributed Denial of Service) auf das russische Bankensystem, der das gesamte elektronische Zahlungssystem in Russland über mehrere Tage lahmlegte und Finanznetzwerke störte. Die Aktivitäten der IT-Armee haben die digitale Infrastruktur Russlands erheblich beeinträchtigt, wobei Berichten zufolge die DDoS-Angriffe im Jahr 2024 um mindestens 50 % zugenommen haben (Kirichenko, 2025). Die Bemühungen der Gruppe haben Russland Berichten zufolge wirtschaftliche Verluste in Höhe von schätzungsweise 1–2 Mrd. US-Dollar zugefügt (Kirichenko, 2024).
Im Gegensatz zur digitalen Kriegsführung Russlands, die in der Regel von FSB-Einheiten geleitet wird, ist der digitale Widerstand in der Ukraine dezentralisiert und anpassungsfähig. Er verbindet die Top-Down-Koordination des Ministeriums für digitale Transformation mit Graswurzelnetzwerken, die oft von zivilen IT-Fachleuten geführt werden, wie im Fall der Gelbe Schleife-Bewegung. Diese Gruppen sind in Städten wie Melitopol (Genaral Chereshnia, Telegram), Enerhodar, Cherson (Baza Zradnykiv Khersonu, Telegram) und auf der Krim (Crimean Wind, Telegram) aktiv und sammeln nachrichtendienstliche Informationen, verfolgen Truppen- und Ausrüstungsbewegungen, identifizieren Kollaborateure und leiten diese Informationen an die militärische Führung zur Einsatzplanung weiter.
Zusammenfassung und Ausblick
Der Widerstand in den besetzten Gebieten ist vielfältig und reicht von symbolischen Aktionen, um die Zugehörigkeit zur Ukraine und die Ablehnung der russischen Herrschaft in der Ukraine zu zeigen, bis hin zu robusten Aktionen gegen die Infrastruktur, die Ausrüstung und auch gegen Personen, die mit den Besatzern zusammenarbeiten oder Teil von ihnen sind. Jede dieser Aktionen ist äußerst mutig, da den Aktivist:innen bei Aufdeckung schwere Strafen drohen.
Auch wenn die direkte Auswirkung des Widerstands auf die Schwächung oder Unterminierung der Besatzung fraglich bleibt, stellt er eine wichtige Facette des ukrainischen sozialen Zusammenhalts und des Aufbaus der Nation dar. Das Ineinandergreifen von rechtlichen und institutionellen Strukturen, Streitkräften und zivilem Aktivismus verläuft reibungslos und erfolgreich – dies setzt ein hohes Maß an Vertrauen, Kooperation und auch technischer Finesse voraus, da die russischen Dienste bei jeder Kommunikation umgangen werden müssen. Gleichzeitig spielt der Widerstand eine moralisch wichtige Rolle, die bereits jetzt einen wesentlichen Beitrag zum Selbstverständnis und der Erinnerungskultur der Ukraine leistet. Welchen Wert Widerstand für die Zukunft einer Gesellschaft haben kann, zeigen zahlreiche Beispiele wie die französische Résistance oder die polnische Armia Krajowa während der deutschen Nazi-Besatzung, sowie natürlich der ukrainische Untergrundwiderstand selbst gegen die deutsche Nazi- und gegen die sowjetische Besatzung während und nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der ukrainischen Gesellschaft nach dem Krieg werden die Widerstands-Aktivist:innen Anerkennung für ihren Mut fordern, sei es in Form von Geld, Politik oder Symbolen. Die Aushandlung dessen und die Bedeutung des Gedenkens an den Widerstand werden ein zentraler Aspekt gesellschaftlicher Debatten in der Nachkriegsukraine sein.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Gastaufenthaltes von Yuriy Matsievsky als KIU Research Fellow an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Der Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU) wird gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.