Die russische Aggression gegen die Ukraine verursacht nicht nur enormes menschliches Leid, sondern auch folgenschwere Umweltschäden. Die bereits zu beobachtende Zerstörung natürlicher Habitate, von Wasserressourcen und Böden—und ihre unmittelbaren Folgen für empfindliche Ökosysteme, bedrohte Arten sowie die Lebensgrundlagen der Bevölkerung—geben nur einen begrenzten Einblick in das Ausmaß dieser fortschreitenden Tragödie. Die Bewältigung des »Ökozids«, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits 2022 betonte, wird daher ein zentraler Bestandteil der Wiederherstellung eines umfassenden Friedens in der Ukraine sein.
Die Grenzen des Völkerrechts
Der Begriff »Ökozid« wurde erstmals in den 1970er Jahren als Antwort auf die katastrophalen Auswirkungen von »Agent Orange« während des Vietnamkriegs etabliert und beschreibt ein vorsätzliches Verhalten, das zu weitreichenden Umweltschäden führt (Gardashuk 2023, S. 383–384). Im heutigen ukrainischen Recht wird Ökozid als »Massenvernichtung von Flora und Fauna, Vergiftung der Atmosphäre oder der Wasserressourcen sowie andere Handlungen, die zu einer ökologischen Katastrophe führen können« definiert und mit acht bis 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet (Strafgesetzbuch der Ukraine 2001, Artikel 441). Während ukrainische Gerichte zwar eine wichtige Rolle bei der Verfolgung von Ökozid-Verbrechen im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt spielen, hätte ihre internationale rechtliche Anerkennung eine größere normative und symbolische Wirkung. Durch diesen rechtlichen und moralischen Druck könnte die Abschreckungskraft erweitert und so die Entscheidungsprozesse zentraler Akteure beeinflusst werden, sodass weitere Umweltzerstörung verhindert werden kann. Zugleich würde eine solche Anerkennung die Position der Ukraine in künftigen Friedensverhandlungen stärken. Bislang existiert jedoch keine völkerrechtlich anerkannte Definition von Ökozid.
Jüngste Entwicklungen lassen Fortschritte bei der Schließung dieser Lücke erkennen. Im April 2024 hat das Europäische Parlament die Richtlinie 2024/1203 verabschiedet, die strafrechtliche Verfolgung von Umweltzerstörung, die einem Ökozid gleichkommt, in allen Mitgliedstaaten harmonisiert. Im selben Jahr haben Vanuatu, Fidschi und Samoa einen gemeinsamen Vorschlag eingereicht, der vorsieht, Ökozid als fünftes Kernverbrechen in das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) aufzunehmen—neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression (Eco Jurisprudence Monitor). Aufbauend auf einem Entwurf einer unabhängigen Expertengruppe aus dem Jahr 2021 zielt dieser Vorschlag darauf ab, Umweltschutz in Kriegs- und Friedenszeiten vor dem Hintergrund der Klimakrise auszuweiten (Eco Jurisprudence Monitor, vgl. Permanent Mission of the Republic of Vanuatu 2024). Trotz dieser vielversprechenden Bemühungen bleibt offen, ob sich daraus in absehbarer Zeit eine wirksame internationale Strafverfolgung ergeben wird.
Kann Ökozid in der Ukraine als Kriegsverbrechen geahndet werden?
Bis zum Erreichen einer Reform auf internationaler Ebene muss eine mögliche Strafverfolgung innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens des humanitären Völkerrechts geschehen. Die wichtigste Bestimmung in diesem Zusammenhang findet sich in Artikel 8(2)(b)(iv) des Römischen Statuts des IStGH, der das »vorsätzliche Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch […] weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen« als Kriegsverbrechen einstuft. Obwohl die Russische Föderation keine Vertragspartei des Statuts ist, erlauben die kürzlich erfolgte Ratifizierung durch die Ukraine sowie deren zuvor erklärte Anerkennung der Zuständigkeit für Verbrechen, die seit November 2013 auf ihrem Staatsgebiet begangen wurden, dem IStGH Maßnahmen zu ergreifen (International Criminal Court 2025).
Gleichzeitig setzt Artikel 8(2)(b)(iv) einen überaus hohen Maßstab. Zunächst einmal muss der verursachte Schaden »weit reichend«, »langfristig« und »schwer« sein—alles Begriffe, die im Gesetzestext nicht weiter definiert sind. Diese Unklarheit wirft mehrere Fragen auf. Zum Beispiel, ob »langfristig« ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert oder sogar einen noch längeren Zeitraum voraussetzt. Der benötigte Nachweis, dass alle drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sind, schränkt die Anwendbarkeit des Artikels weiter ein. Auch die Feststellung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit erfordert eine hohe Beweislast: Es muss nachgewiesen werden, dass der Beschuldigte vorsätzlich und bewusst in Kauf genommen hat, dass die verursachte Zerstörung den militärischen Nutzen des Angriffs deutlich übersteigt. Angesichts des Chaos in bewaffneten Konflikten und des begrenzten Zugangs zu wissenschaftlicher Beratung ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Entscheidungsträger sämtliche Umweltauswirkungen ihres Handelns vollständig erfassen können, was ihre rechtliche Verantwortlichkeit einschränkt. In Anbetracht dieses engen gesetzlichen Rahmens und der praktischen Herausforderungen bei der Beweissicherung in Konfliktgebieten verwundert es nicht, dass die Natur oft ein stilles Opfer von Kriegen bleibt.
Dennoch könnten manche Vorfälle in der Ukraine als Kriegsverbrechen eingestuft werden
Unter den zahlreichen Bedrohungen für die Umwelt in der Ukraine stechen drei Fälle besonders heraus. Der erste ist die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Jahr 2023. Die Umstände dieses Dammbruchs, eine interne Explosion unter russischer Kontrolle, deuten stark auf eine Verantwortlichkeit Russlands hin (Glanz et al. 2023, Truth Hounds 2024). Durch die Detonation wurden seltene Habitate und Brutgebiete überflutet oder durch Austrocknung bedroht (Stakhiv und Demydenko 2023, S. 7–9). Dies gefährdet Fischbestände und Vogelzugrouten und zieht vorhersehbare, langfristige Auswirkungen auf die Biodiversität nach sich (Stakhiv und Demydenko 2023, S. 7–9). Die Überschwemmungen führten zudem zur Freisetzung von Pestiziden, Öl und anderen Schadstoffen in der Umgebung (Stakhiv und Demydenko 2023, S. 9). Gleichzeitig lösten sie eine humanitäre Krise aus: weite Teile der Landwirtschaft wurden zerstört, mehrere Menschen starben und rund eine Million Menschen verloren ihr Zuhause und den Zugang zu Trinkwasser (Gardashuk 2023, S. 392, vgl. Stakhiv und Demydenko 2023, S. 7–8). Der Vorfall zeigt somit auch, dass Ökozid gezielt als Waffe eingesetzt werden kann, um menschliches Leben zu zerstören.
Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel findet sich in der Zerstörung der geschützten Habitate des Dzharylhach-Nationalparks. Im Jahr 2022 richtete Russland auf der Insel Dzharylhach im Schwarzen Meer einen militärischen Übungsplatz ein und intensivierte etwa ein Jahr später dessen militärische Nutzung, wobei die Insel künstlich mit dem Festland verbunden wurde (Conflict and Environment Observatory 2024). Diese Umwandlung und die damit verbundene Verschmutzung stellen eine ernste Bedrohung für die empfindlichen Ökosysteme der Insel sowohl an Land als auch in den umliegenden Gewässern dar (Conflict and Environment Observatory 2024). Erschwerend kommt hinzu, dass militärische Aktivitäten im Schwarzen Meer bereits den Tod von tausenden Meeressäugern nach sich gezogen haben (Kroeger 2023). Dass ihre Kadaver an den Küsten Rumäniens, Bulgariens und der Türkei angespült wurden, verdeutlicht die grenzüberschreitende Tragweite dieser Handlungen (Kroeger 2023).
Das wohl eindrücklichste Beispiel für ein potenzielles Kriegsverbrechen im Sinne von Artikel 8(2)(b)(iv) des Römischen Statuts stellt das massive Strahlenrisiko dar, das durch vorsätzliche Angriffe oder die Besetzung von Kernkraftanlagen entstehen kann. Russlands frühere Angriffe auf Tschernobyl und die seit 2022 andauernde gewaltsame Besetzung des Kernkraftwerks Saporischschja bergen die Gefahr eines Strahlenlecks, das sowohl der Umwelt als auch der gesamten Zivilbevölkerung in der Region weit reichenden Schaden zufügen könnte (Croft 2025). Angesichts der anhaltenden Kampfhandlungen im Gebiet Saporischschja ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass sowohl Russland als auch die Ukraine die Regeln des humanitären Völkerrechts einhalten, um eine solche nukleare Katastrophe zu verhindern. Jüngste Hinweise darauf, dass Russland versuchen könnte, das Kraftwerk Saporischschja an sein nationales Stromnetz anzuschließen, geben wegen der möglichen Wasserknappheit für die Kühlung der Reaktoren in Folge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Anlass zu weiterer Besorgnis (Méheut 2025).
Auf dem Weg zu mehr Verantwortlichkeit und einer dauerhaften Friedenssicherung
Das Ausmaß der durch den Krieg in der Ukraine verursachten Umweltzerstörung unterstreicht die Dringlichkeit, Ökozid international anzuerkennen und strafrechtlich zu verfolgen. Angesichts der derzeitigen rechtlichen Hindernisse, schwere Schäden an Ökosystemen als Kriegsverbrechen zu ahnden, sind die Bemühungen zur Änderung des Römischen Statuts ein willkommener Schritt, müssen jedoch durch einen starken politischen Willen zur Reform und zur Gewährleistung ihrer künftigen Wirksamkeit unterstützt werden. Die Europäische Union kann hier mit gutem Beispiel vorangehen, dank ihres kürzlich harmonisierten Ansatzes zur Bekämpfung von Umweltverbrechen. In der Zwischenzeit muss der IStGH der Verfolgung von Ökozid in der Ukraine im Rahmen seines derzeitigen Mandats höhere Priorität einräumen. Die Verantwortlichen für Umweltkriegsverbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, wobei alle potenziellen Entschädigungszahlungen direkt in die Wiederherstellung der Natur fließen müssen. Zu diesem Zweck müssen rechtliche Ermittlungen von koordinierten institutionellen und zivilgesellschaftlichen Bemühungen zum Schadensmonitoring und zum Wiederaufbau begleitet werden. Letztendlich wird die Friedenssicherung in der Ukraine ohne Umweltgerechtigkeit unvollständig bleiben.