Wie viele Juden leben (noch) in Zentralasien?
Der »Berman Jewish Databank« von 2016 zufolge umfasste die damalige jüdische Bevölkerung Zentralasiens 15.900 Personen (siehe Tabelle 1 auf S. 7). Dies entspricht einem Neuntel der 137.950 Juden, die 1989 in der Region lebten, und einem Zwölftel der 197.700 Juden, die dort noch 1970 ansässig waren.
Gegenwärtig sind 6.500 Juden in Kasachstan und rund 1.000 in Kirgistan wohnhaft. Diese Zahlenangaben sind lokal jedoch umstritten. So behaupten beispielsweise Vertreter jüdischer Organisationen in Kasachstan, dass es über 50.000 Juden im Land gäbe. Ähnlich ist die Situation in dem kasachstanischen Gebiet Karaganda: Dort liegt die Anzahl der Personen, die beim jüdischen Gebietsverband registriert sind, bei rund 1.300, während die tatsächliche Anzahl der Juden vermutlich bis zu 4.000 beträgt. Die vom Autor zitierten Zahlen für Kirgistan variieren zwischen 200 bzw. 250 und rund 1.500 jüdischen Personen. Allgemein werden die Juden Zentralasiens innerhalb der Gesellschaft und der staatlichen Bürokratien – wie bereits zu Zeiten der Sowjetunion – eher als ethnische Gruppe denn als religiöse Gemeinschaft betrachtet.
Wer sind die jüdischen Gemeinschaften in Kasachstan und Kirgistan?
Nahezu sämtliche Juden in Kasachstan und Kirgistan sind Nachfahren von aschkenasischen Juden aus Ost- und Mitteleuropa. Sie oder ihre Vorfahren sind während der Sowjetzeit zunächst aus Belarus, der Ukraine und Russland sowie später aus den baltischen Sowjetrepubliken emigriert. In der Periode von 1928 bis 1939 wurden zahlreiche Bürger der Sowjetunion aus Europa in den Süden der UdSSR entsandt, um dort die Industrie und große Infrastrukturprojekte zu unterstützen. Gemeinsam mit ihnen kamen auch zahlreiche jüdische Pioniere, Arbeiter, Mitglieder der kommunistischen Partei und Beamte nach Zentralasien. Hierdurch verfünffachte sich die Anzahl der aschkenasischen Juden in Kasachstan von ursprünglich 3.600 im Jahr 1926 auf 19.200 im Jahr 1939. In den Gebieten Karaganda und Akmola trafen auch jüdische Deportierte und Gulag-Häftlinge ein, von denen nicht wenige nach dem Verbüßen der Strafmaßnahmen dort verblieben. Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion führte in den Jahren 1941 bis 1942 zu einer dritten Einwanderungswelle von aschkenasischen Juden nach Zentralasien.
In der Nachkriegszeit zogen Großprojekte verschiedene Bevölkerungsgruppen in die zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion. Zu diesen Projekten gehörten die Landgewinnungskampagne in Nordkasachstan (1954–1962), die Errichtung von neuen multiethnischen Industriestädten und der Ausbau von Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Die sowjetischen Binnenmigranten setzten sich aus Fachleuten und qualifizierten Arbeitern unterschiedlicher Art sowie deren Familien zusammen. Unter ihnen waren auch Juden aus der Ukraine, dem Baltikum und Belarus. Somit reicht eine nennenswerte Präsenz von Aschkenasim in Kasachstan und Kirgistan lediglich drei bis vier Generationen zurück. Im benachbarten Usbekistan hingegen stellen die bucharischen Juden eine deutlich ältere Gemeinschaft in der Region dar, welche bereits seit Jahrhunderten in Zentralasien ansässig ist. Insgesamt lässt sich festhalten, dass jüdisches Leben in Zentralasien länger besteht als der Staat Israel. Daher werden Juden durch die restliche Bevölkerung nicht notwendigerweise mit Israel assoziiert oder etwa als israelischer Einfluss wahrgenommen.
Identität und soziale Organisation
Bei näherer Betrachtung der jüdischen Bevölkerungsgruppen von Kasachstan und Kirgistan lassen sich verschiedene soziale und kulturelle Charakteristika bzw. Dynamiken feststellen. Nahezu sämtliche Juden in Kasachstan und Kirgistan sind aschkenasischer Abstammung und sprechen muttersprachlich Russisch. Obwohl Jiddisch bis heute in Folklore und Umgangssprache präsent ist, besitzt es nicht mehr den Stellenwert, wie noch vor einigen Generationen. Die jüdische Bevölkerung lebt nahezu ausschließlich in Städten und bleibt somit ihren traditionellen Siedlungsmustern in der Region treu. So leben beispielsweise in Kirgistan über 90 % der Juden in der Hauptstadt Bischkek. Die größte jüdische Gemeinschaft Kasachstans befindet sich in Almaty. Auch im Gebiet Karaganda gibt es einen jüdischen Bevölkerungsanteil: 75 % sind in der gleichnamigen Gebietshauptstadt ansässig, die restlichen 25 % verteilen sich auf kleinere Industriestädte. Weitere nennenswerte jüdische Gemeinden befinden sich in Schymkent und in den nordkasachstanischen Städten Semej (Semipalatinsk) und Pawlodar. Für genaue Aussagen zur Demografie fehlen zuverlässige Statistiken. Die Feststellungen dazu basieren daher auf eigenen Beobachtungen, der Eigenreputation lokaler jüdischer Gemeindemitglieder und den Berichten Dritter. Diese legen nahe, dass der Anteil der jüdischen Bevölkerung im Rentenalter höher ist, als der muslimische Bevölkerungsanteil im Pensionsalter. Dieser Umstand ist sowohl auf die Geburtenraten als auch die beträchtliche Emigration zurückzuführen. Zweifelsfrei gibt es unter den Juden auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, der Altersdurchschnitt der jüdischen Bevölkerung ist jedoch relativ hoch. Der Erfahrung nach gehören die meisten Juden in Kasachstan und Kirgistan zur sogenannten »urbanen Mittelschicht«. Diese Zugehörigkeit ist dabei weniger unter soziologischen Aspekten zu verstehen, sondern entspricht eher der Selbstwahrnehmung der Betroffenen. Viele verfügen über einen Hochschulabschluss und nehmen Führungspositionen im Management der eigenen Firma oder ausländischer Privatgesellschaften wahr. Die berufstätige jüdische Bevölkerung verteilt sich ansonsten auf unterschiedliche Bereiche, darunter Handel und Buchhaltung, sogenannte »freie Berufe« (Ärzte oder Zahnärzte) und den Bildungssektor (wobei hier in Kirgistan ein Rückgang zu verzeichnen ist). Ein weiterer Teil der jüdischen Bevölkerung arbeitet in den Regionalbüros von internationalen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (im Falle Kirgistans angeblich ebenfalls weniger als noch vor 7–10 Jahren).
Sozioökonomische Position(en)
Im Gegensatz zu den Uiguren und den Koreanern, welche über eine große Präsenz in der Nahrungsmittelproduktion, der spezialisierten Landwirtschaft, den technischen Berufen oder bestimmten Bereichen der »Basar-Wirtschaft« verfügen, gibt es keine Wirtschaftsbranchen, in denen Juden eine dominierende Stellung innehätten. Nur wenige sind im höheren Staatsdienst tätig, da sie (wie auch andere ethnische Minderheiten) für gewöhnlich nicht über die nötigen familiären und klientelistischen Netzwerke verfügen, um in Regierungsstellen angestellt zu werden. Weiterhin ist ein großer Anteil von »gemischten Ehen« zwischen Juden und Angehörigen anderer ethnischer Minderheiten beobachtbar – wie bereits zu Zeiten der Sowjetunion. Im Jahr 1993 lag der Anteil der Kinder mit einer jüdischen Mutter und einem nicht-jüdischen Vater in Kasachstan bei 65,2 % und in Kirgistan bei 47,1 %. Laut einigen Befragten stammen über 90 % der jüdischen Familien in Kasachstan und Kirgistan, zu einem gewissen Grad, von »gemischten Vorfahren« ab oder leben in »gemischten Ehen«. Es lassen sich also enge demografische bzw. kulturpsychologische Verbindungen zu anderen ethnischen Gruppen feststellen. Diese Verbindungen bestehen primär zu slawischen Bevölkerungsgruppen und lediglich in seltenen Fällen zu kasachischen bzw. kirgisischen Teilen der Bevölkerung.
Der Organisationsgrad von jüdischen Gruppen lässt sich im Falle Kasachstans anhand von rund zwanzig lokalen, ethnisch-kulturellen, jüdischen Vereinen feststellen, die sich unter dem Namen »Mizwa« vereinigt haben. Mizwa agiert als jüdische Dachorganisation, welche als Vermittlungsstelle zwischen der jüdischen Minderheit und staatlichen Stellen fungiert. Die kirgisische Schwesterorganisation »Menorah« übt eine ähnliche Funktion aus. Beide Staaten verfügen über einige wenige jüdische Privatschulen, welche auch nicht-jüdischen Schülern offenstehen. Außerdem gibt es jüdische Wohlfahrtszentren, die sogenannten Chesed (hebräisch für »Mitgefühl«). Kasachstan verfügt über 13 derartige Einrichtungen, Kirgistan über eine. Die Chesed werden überwiegend von Freiwilligen und einigen wenigen Fachkräften betrieben. Sie bieten hauptsächlich Winterhilfe, medizinische Betreuung, Lebensmittelpakete und andere soziale bzw. humanitäre Hilfestellungen für Familien in Not an.
Der Hauptförderer dieser Wohlfahrtszentren und ihrer Hilfsleistungen ist nicht die israelische Regierung, sondern das jüdisch-US-amerikanische »Joint Distribution Committee« (JDC). Das JDC wurde 1914 in den Vereinigten Staaten (wo es bis heute seinen Sitz hat) mit dem Ziel gegründet, jüdische Siedlungen in Palästina, der Ukraine, Belarus, Russland und auf der Krim durch humanitäre Hilfe bzw. Förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen. Das JDC ist eine der weltweit größten jüdischen humanitären Nichtregierungsorganisationen, die jüdische Bevölkerungsgruppen auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion unterstützt. 2016 hat das JDC 299 Mio. US-Dollar für den post-sowjetischen Raum bereitgestellt, was 43,7 % des weltweiten Budgets der Organisation entspricht. So erhielten beispielsweise im Gebiet Karaganda 381 Personen (überwiegend Rentner) Unterstützung von einem durch das JDC finanzierten Chesed. Auf dem Gebiet Akmola waren es 96 Personen. Auch das Chesed in Bischkek wird durch das JDC gefördert.
Wie steht es um das Judentum?
Die meisten Befragten betrachten sich als Juden oder als kasachstanische (bzw. kirgistanische) Bürger mit jüdischer Ethnizität. Jüdische Identität wird zu großen Teilen säkular (im Sinne von nichtreligiös) verstanden und vor allem über Herkunft und Genealogie definiert. Hinzu kommen die weitreichende Assimilation in die sowjetische Kultur der UdSSR sowie der große Anteil gemischter Ehen (primär mit Angehörigen slawischer Bevölkerungsgruppen). Außerdem gibt es eine Reihe von Attribuierungen, welche spezifisch jüdische Charakteristika betreffen. Hierzu gehören vor allem Urbanität, ein hoher Bildungsgrad, eine bedeutende Stellung in den Bereichen Wissenschaft und Kunst, eine eher geringe Präsenz im staatlichen Leben, erkennbare Muster im Freizeitverhalten sowie eine bestimmte, durch einen nichtkonformen Humor geprägte Lebensweise. Hierbei handelt es sich um Selbstwahrnehmungen und Fremdzuschreibungen zugleich.
Nach 1991 nahmen jüdische und judaistische Einflüsse aus den USA und Israel auf die zentralasiatischen jüdischen Gemeinschaften zu und belebten ihre Identität neu. Dennoch bleibt der Anteil der Juden in Kasachstan und Kirgistan, welche regelmäßig und aktiv den jüdischen Glauben praktizieren, gering. Seit 1991 ist allerdings eine deutliche Zunahme der jüdischen Religiosität beobachtbar, ähnlich wie auch unter den muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen. In Almaty gibt es zwei Synagogen; in Karaganda, Pawlodar, Bischkek und einigen anderen Städten jeweils eine. Die Synagogen als Teil des öffentlichen Raumes sind Manifestation einer ebenfalls von Glaube und Tradition geprägten jüdischen Präsenz. In diesem Sinne spielen sie eine wichtige Rolle für die Stiftung einer jüdischen Identität.
Die weitverbreitete Annahme, dass die jüdisch-religiöse Infrastruktur und das religiöse Leben in den jeweiligen Ländern vom israelischen Oberrabbinat oder dem israelischen Ministerium für Religionsfragen finanziert wird, ist falsch. Nahezu sämtliche Synagogen in Kasachstan und Kirgistan sind mit Unterstützung von Sponsoren aus der Wirtschaft errichtet worden. Diese können als »Geschäfts-Philanthropen« oder »ethnische Unternehmer« bezeichnet werden. Ein prominentes Beispiel ist der kasachstanische Großunternehmer Alexandr Maschkewitsch, der vor allem in der Metallurgie, dem Bergbau und im Bankenwesen tätig ist. Maschkewitsch stammt aus Frunse (dem heutigen Bischkek) und begann seinen unternehmerischen Aufstieg von Pawlodar aus. Der Wert seines Unternehmensnetzwerkes wird auf 2,3 Mrd. US-Dollar geschätzt. Damit besitzt er das elftgrößte Privatvermögen in Israel, wo er ansässig ist und dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Maschkewitsch unterstützt jüdische Gemeinschaften und deren Anliegen in Kasachstan und Kirgistan. Neben dem Bau von einem halben Dutzend Synagogen fördert er auch karitative Arbeit und jüdische Schulen. Maschkewitsch ist der einzige israelische Unternehmer aus Zentralasien, der den dortigen jüdischen Gemeinschaften derart umfangreiche Unterstützungsleistungen zukommen lässt. Gelegentlich kommt es jedoch zu situativ-spontanen Wohltätigkeitsspenden von jüdischen Unternehmern, welche bis heute in der Region leben oder bereits ausgewandert sind. Die Instandhaltung der Hauptsynagoge von Almaty wird beispielsweise zu einem Teil von lokalen, jüdischen Bauunternehmern finanziert.
Nahezu alle Synagogen in Kasachstan und Kirgistan (mit einer Ausnahme) werden von Rabbinern geleitet, die zur Chabad-Ljubawitsch-Bewegung gehören, einer orthodoxen chassidischen Strömung. Ihr Ursprung liegt in Westrussland, ihre heutige Basis befindet sich seit 1940 in den USA. Die Bewegung bemüht sich intensiv, auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion das Glaubensbewusstsein und die religiöse Praxis der jüdischen Bevölkerung wiederzubeleben. Hierfür wurden vier Sektionen in Kasachstan und eine in Kirgistan gegründet. In Kasachstan leiten Rabbiner der Chabad nahezu sämtliche Synagogen und stellen auch den Oberrabbiner. Die meisten Chabad-Rabbiner wurden dabei aus dem Ausland entsandt. Insgesamt ist die Präsenz der Bewegung in der Region und ihre Stellung im jüdischen Glaubensleben unter Juden vor Ort nicht unumstritten.
Emigration und Internationalisierung
Die große Mehrheit der Juden in Kasachstan und Kirgistan hat in Israel Verwandte ersten und zweiten Grades. Der Anteil der jüdischen Familien in Kasachstan, die Familienangehörige in Israel haben, liegt bei 65 bis 70 %. In Karaganda bestätigten mir rund 80 % der Teilnehmer einer Gruppendiskussion, dass dies bei ihnen der Fall sei. Es ist die Folge von mehreren Emigrationsbewegungen nach Israel. Zwischen 1970 und 2009 verließen etwa 1,92 Mio. Juden die Sowjetunion und ihre Nachfolgestaaten in Richtung Israel, USA, West- und Mitteleuropa (vor allem in die deutschsprachigen Länder). Besonders stark waren diese Bewegungen in den Jahren 1971–1978 und 1989–1999.
Einen Überblick über die Emigration von Juden aus Zentralasien (siehe Tabelle 2, S. 7) zeigt, dass die große Mehrheit der Juden, die in der Zeit von 1990 bis 2006 aus Kasachstan und Kirgistan emigrierten, nach Israel gingen. In der Phase von 1989 bis 1999 waren die Migrationsmotive vor allem sozioökonomisch begründet, da die jüdische Bevölkerung (wie alle anderen ethnischen Minderheiten auch) mit dem Kollaps der Industriewirtschaft und dem Zerfall der sowjetischen Sozial- und Bildungsinstitutionen konfrontiert war. Ihre zukünftige soziale Stellung in den zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion erschien angesichts verschiedener regionaler Dynamiken unsicher. In Tadschikistan brach unmittelbar nach der Unabhängigkeit ein mehrjähriger Bürgerkrieg aus. Außerdem herrschten Ängste über mögliche bevorstehende Unruhen in anderen Teilen der Region. Ähnlich wie es bei der deutschen Minderheit in der Sowjetunion der Fall war, wurde auch durch die israelische »Repatriierungspolitik« ein konkretes Bild einer möglichen neuen Heimat geschaffen. Hierzu trugen auch Familienmitglieder bei, die bereits in den 1970er Jahren nach Israel ausgewandert waren. Die unterschiedlichen Migrationsbewegungen resultierten schließlich in ausgeprägten transnationalen Verbindungen zwischen Israel und Zentralasien, die durch zunehmend preiswerte Kommunikationstechnologien weiter begünstigt werden.
Interaktion mit Israel
Eine Institution, die sich intensiv in der Diasporapolitik und für die Emigration nach Israel engagiert – mehr noch als die israelischen Botschaften – ist die »Jüdische Agentur für Israel« oder JAI. Sie wurde 1929 als ein Zweig der »Zionistischen Weltorganisation« gegründet, um die Einwanderung von Juden nach Palästina zu fördern. Heute ist die Agentur eine eigenständige, halbstaatliche Organisation mit Sitz in Jerusalem. Sie konzentriert sich hauptsächlich auf die Förderung und Stärkung der Verbindungen zwischen der jüdischen Diaspora und Israel, auf Angebote für jüdische Bildung und Hebräischkurse außerhalb Israels, sowie auf praktische Hilfe für in der Diaspora lebende Juden, die nach Israel auswandern wollen. Die von der israelischen Botschaft unabhängig agierende Außenstelle in Almaty ist für Kasachstan und Kirgistan zuständig und als Nichtregierungsorganisation registriert.
Die JAI verfügte vormals über Außenstellen in Karaganda, Öskemen (Ust-Kamenogorsk) und einigen anderen Orten Kasachstans. Mit dem Rückgang der Auswanderungen nach Israel sind diese inzwischen jedoch geschlossen worden. Antragsteller müssen sich nun persönlich an das Büro in Almaty wenden. Die jüdische Emigration aus Kasachstan und Kirgistan hat ihren Zenit in der Tat bereits seit einigen Jahren überschritten, zwischenzeitlich jedoch einige punktuelle Intensivierungen erfahren (insbesondere nach dem Ölpreiseinbruch in Kasachstan 2014 und den zahlreichen Momenten der politischen Unruhe, welche die kirgisische Geschichte der letzten zehn Jahre geprägt haben).
Die Präsenz von Juden aus Zentralasien in Israel macht sich in den ursprünglichen Herkunftsländern auch durch Rücküberweisungen bemerkbar. Laut den Daten offen zugänglicher Quellen sind 2016 Überweisungen aus Israel im Umfang von 1 Mio. US-Dollar in Kasachstan und 8 Mio. US-Dollar in Kirgistan eingegangen. Diese Summen sind im Vergleich zu denen aus anderen Ländern recht bescheiden. Dafür stellen die Rücküberweisungen aus Israel für ihre Empfänger in Zentralasien auch keine existenzielle Versorgungssicherung dar. So wurden zum Beispiel die Lebensbedingungen und die soziale Absicherung in ihrem Land von den kasachstanischen Befragten als ausreichend bezeichnet.
Darüber hinaus kann auch eine Rückmigration beobachtet werden. So sollen rund 10 % der Juden und ihrer nichtjüdischen Angehörigen, die nach Israel ausgewandert sind, angeblich wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren, entweder auf bestimmte Zeit, oder endgültig. Die Motive der Rückkehrer sind unterschiedlich: Einige kehren zurück, um sich um pflegebedürftige Eltern zu kümmern, die wegen der in Israel schwierigen Integration in Zentralasien verblieben sind. Andere planen Geschäfte oder Investitionen in Zentralasien. Es bleibt offen, ob und wie kulturelle Anpassungen und gesellschaftliche Erfahrungen, welche die Rückkehrer in Israel vollbracht und erlebt haben, das Zusammenleben von jüdischen Gruppen in Zentralasien zukünftig beeinflussen werden. Die zweite Generation der nach Israel Emigrierten scheint im Vergleich zur ersten deutlich religiöser zu sein. Von den jüdischen Emigranten der ersten Generation behaupten 81 % von sich, säkular (hiloni) zu sein; nur 4 % bezeichnen sich als orthodox (charedim). Demgegenüber definieren sich jüdische Emigranten der zweiten Generation zu 60 % als säkular (hiloni), und zu 14 % als orthodox (charedim). Ob die Rückkehrer dieser zweiten Generation zu einer verstärkten Religiosität und einer stärkeren religiösen jüdischen Identität in Zentralasien beitragen werden, bleibt abzuwarten.
Aussicht
Der demografische Wandel und Emigration haben die Gegenwärtigkeit jüdischen Lebens in Kirgistan, Kasachstan und anderen Teilen der Region auf ein Minimum reduziert. Gleichwohl sind die zentralasiatischen Regierungen stets bemüht, die fortwährende jüdische Präsenz innerhalb ihrer Narrative über gesellschaftlichen Frieden und interreligiöse Toleranz zu betonen. Die künftige Entwicklung des jüdischen Lebens in der Region lässt sich indes nur schwer prognostizieren. Solange es nicht zu schwerwiegenden politischen Unruhen oder einer Zunahme von (wahrgenommenem oder tatsächlichem) Antisemitismus in den jeweiligen Gesellschaften kommt, ist nicht von neuen Emigrationsbewegungen auszugehen, und Juden werden wahrscheinlich auch weiterhin einen Teil der städtischen, russischsprachigen Bevölkerung Zentralasiens darstellen. Ferner werden ausländische jüdische Religionsverbände, jüdische humanitäre Organisationen sowie die zwischenmenschlichen Kontakte zu Verwandten in Israel das kulturelle Leben und das jüdische Bewusstsein der kasachstanischen und kirgistanischen Juden fortdauernd beeinflussen. Es ist davon auszugehen, dass sich Teile der jüdischen Bevölkerung in Zukunft vermehrt auf der religiösen denn auf der »ethnischen« Ebene mit dem Judentum identifizieren werden.
Aus dem Englischen von Hartmut Schröder