Am 1. März 2020 waren fast fünf Millionen Berechtigte in Tadschikistan dazu aufgerufen, eine neue Repräsentantenversammlung (Majlisi namoyandagon), das Unterhaus des nationalen Parlamentes Majlisi Oli zu wählen. Wie zu erwarten verkündete die zentrale Wahlkommission am 2. März mit einem vorläufigen amtlichen Endergebnis von 50,4 % der Stimmen und 35 gewonnenen Direktmandaten die erneute absolute Mehrheit für die Volksdemokratische Partei von Präsident Emomali Rahmon, der das Land seit 1994 ununterbrochen regiert. Die Sozialdemokratische Partei, bei der es sich um die letzte verbliebene Oppositionspartei des Landes handelt, hat nach dem Endergebnis von 0,3 % der Stimmen die Fünf-Prozent-Hürde deutlich verfehlt, und wird, ohne ein Direktmandat erlangt zu haben, erneut kein Teil der Legislative sein.
Bei den restlichen fünf Parteien, von denen die Partei der ökonomischen Reformen mit 16,6 % der Stimmen das zweitbeste Ergebnis erzielen konnte, handelt es sich um eine klassische Systemopposition, von der auch im Vorfeld dieser Wahlen keinerlei Abweichungen von der strikten innenpolitischen Linie des Präsidenten vernommen werden konnten. Dessen Macht hat seit 2015 einen neuen Grad der Konsolidierung erreicht, nachdem er vom Parlament zum mit lebenslanger Immunität ausgestatteten »Führer der Nation« (Peschwoi millat) erklärt und die oppositionelle Partei der Islamischen Wiedergeburt verboten wurde. 2016 kam ein erfolgreiches Verfassungsreferendum hinzu, das u. a. die Beschränkung der Amtszeiten für den Präsidenten aufgehoben hat. Das Parlament in seiner jetzigen Verfasstheit wird in diesem auf das Staatsoberhaupt zugeschnittenen politischen System auch weiterhin den legislativen Unterbau für die Stabilisierung und Verstetigung der Herrschaft Rahmons und seiner Familie darstellen.
Das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE hat in seinem Bericht zur Vorbewertung der Wahlgesetzgebung und des Wahlumfeldes vom Dezember 2019 u. a. auf nicht vorhandene politische Alternativen, die weitgehende Abwesenheit unabhängiger Medien sowie eine massive Verschlechterung der Situation hinsichtlich der Grundfreiheiten seit der letzten Wahlen 2015 hingewiesen. Dementsprechend hat die Abstimmung in einem seit dem Ende des Bürgerkrieges 1997 weitgehend apolitisierten gesellschaftlichen Kontext stattgefunden, der von fehlender Pluralität, staatlicher Mediendominanz und einer immer repressiver agierenden Regierung geprägt ist. Zudem wurde eine ganze Reihe an Unregelmäßigkeiten gemeldet, die sowohl die Stimmabgabe als auch die Stimmauszählung betroffen haben sollen. Der Wahlbericht des ODIHR, das unter den gegebenen Umständen auf eine volle Wahlbeobachtermission verzichtete, und stattdessen nur eine deutlich kleinere Wahlbeurteilungsmission entsendet hat, steht diesbezüglich noch aus.
Dass nicht nur das Unterhaus des Parlamentes eine legitimatorische Funktion im personalisierten System des Präsidenten einnimmt, zeigen die Resultate der Wahlen zur tadschikischen Nationalversammlung (Majlisi milli), die am 27. März 2020 stattfanden. Bei den indirekten Wahlen zur oberen Kammer des Parlamentes wählen die Regional- und Bezirksräte der drei Gebiete, die Räte der Bezirke, die der Republik unterstellt sind, sowie der Hauptstadtbezirks- und Stadtrat von Duschanbe 25 der 33 Senatoren, der Präsident bestimmt die restlichen acht. Bei der diesjährigen Abstimmung zur Nationalversammlung ist Rustam Emomali, der älteste Sohn von Präsident Rahmon, von den insgesamt 217 Stadtrats- und Hauptstadtbezirksabgeordneten von Duschanbe einstimmig zum Senator gewählt worden. Rustam Emomali gilt schon lange als wahrscheinlichster Nachfolger für seinen Vater, von dem er im Januar 2017, nachdem er zuvor mit dessen Hilfe beim Zolldienst und in der staatlichen Antikorruptionsbehörde Karriere gemacht hat, zum Bürgermeister von Duschanbe ernannt wurde. Nur drei Monate später sollte er außerdem in den Stadtrat von Duschanbe und kurz darauf zu dessen Sprecher gewählt werden. Die am 13. März 2020 angekündigte Kandidatur für die Wahl zur Nationalversammlung am 27. März 2020 stellte somit einen nächsten logischen Schritt dar, wobei sein weiterer Werdegang als Senator praktisch bereits ab dem Moment der Aussprache seiner Kandidatur dafür beschlossene Sache war.
Viele Beobachter gehen davon aus, dass Emomali nach seinem Einzug in die Nationalversammlung nun ebenfalls zu ihrem Sprecher gewählt wird. Damit würde er in die verfassungsrechtliche Position vorrücken, die präsidialen Amtgeschäfte seines Vaters interimsmäßig übertragen zu bekommen, sollte dieser zurücktreten oder ableben. Nachdem das Mindestalter für Präsidenten in dem Verfassungsreferendum von 2016 von 35 auf 30 gesenkt wurde, ist darüber hinaus die direkte Kandidatur des 32-jährigen Emomalis für die diesjährigen Präsidentschaftswahlen, für die noch kein offizieller Termin bekannt gegeben wurde, möglich. Emomalis reibungslos verlaufender Marsch durch die staatlichen Institutionen täuscht bei all dem nicht darüber hinweg, dass es letztlich sein Vater ist, der allein über die tatsächlichen Modalitäten der Machttransition entscheiden wird.