Bis zum 30. April 2020 hatte die Covid-19-Pandemie Tadschikistan nach Angaben der Behörden noch nicht erreicht. Unter den Einwohnern des Landes kursierten zuvor verschiedenste Ansichten, was die Gründe für die bis dahin anhaltende »Verschonung« Tadschikistans sein könnten: Das Land habe »früh genug die richtigen Maßnahmen ergriffen«, es werde »nicht ordentlich getestet«, oder »die Behörden würden die Wahrheit verschleiern«. Solange es noch keine gemeldeten Fälle einer Infektion mit dem Virus in der VMKB gab, sorgten sich die Menschen vor allem um die gesundheitliche Situation »ihrer« Migranten in Russland und um die kommende Wirtschaftskrise in der Region, die ein hohes Maß an Armut und Ernährungsunsicherheiten mit sich bringen könnte. Die weltweit um sich greifende Angst vor dem Coronavirus schien nun auch langsam im Pamir Einzug zu halten, auch wenn sich die meisten Menschen in der VMKB von der globalen Krise immer noch »weit weg« fühlten. Nachdem sich ein lokaler Freund über die Lage meiner Familie und Freunde in Europa erkundigt hatte, fragte er: »Wenn schon reiche Länder nicht klarkommen mit diesem Virus, dann wird es hier eine Katastrophe werden«, womit er auf das regionale Gesundheitssystem anspielte, welches als sehr schwach wahrgenommen wird.
Tadschikistans Hochgebirge, das häufig als »eine der abgeschiedensten Regionen der Welt« dargestellt wird, bietet sich für eine Diskussion des Begriffs der »Abgeschiedenheit« an. Ob sich Menschen »weit weg« oder »betroffen« von einem Problem wie diesem fühlen, wird durch verschiedene Faktoren geprägt. Dabei spielen ihre Mobilitätspraktiken und ihre Annahmen vom Integrationsgrad ihrer Gemeinschaft in globalisierte Prozesse eine Rolle. Diesen Artikel habe ich Anfang Mai 2020 während meines Aufenthaltes in der Gebietshauptstadt Khorog und in dem Dorf Basid im Bartangtal verfasst. Die in diesem Artikel gegebenen »Einblicke aus dem Feld« stammen von meinen Begegnungen mit den Einwohnern dieser Orte.
Geografische Abgeschiedenheit als Bezugspunkt lokaler Selbstverortung
Obwohl »Abgeschiedenheit« ein sehr ambivalenter und kritikwürdiger Begriff ist, verstehen die Bewohner des Pamirs in Tadschikistan ihre Region für gewöhnlich selbst als abgeschieden oder »weit weg« (dur). Um von der Hauptstadt Duschanbe bis nach Khorog zu kommen braucht man mit dem Auto etwa 14 Stunden, die Hälfte davon führt über eine unbefestigte Straße. Mittlerweile wird die Region von keiner Fluggesellschaft mehr regulär angeflogen, und aus allen Nachbarländern führt der Weg über sich lange Zeit hinziehende Hochgebirgsstraßen. Ab Februar und März 2020 wurden die Straßen, die von China, Kirgistan und Afghanistan aus in die Region führen, geschlossen. Die Einschränkungen der Mobilität und die Entfernung von den anderen Regionen Tadschikistans gab einigen Einwohnern das Gefühl, dass sie von der Covid-19-Pandemie verschont bleiben könnten. Für manche erfüllten die Berge ihre alte Funktion als »Zufluchtsort« (panohgoh): »Das Virus wird hier nicht hinkommen, wir sind zu weit weg von großen Städten«, sagte einer meiner Gesprächspartner in Khorog.
Seit die internationalen Verbindungen der VMKB im März gekappt wurden, konnte das Virus ausschließlich über andere Regionen Tadschikistans in das Gebiet gelangen. Würde das Virus Tadschikistan erreichen – so die Annahme –, träfe es zuerst die anderen Regionen, in denen 97 % der Bevölkerung Tadschikistans lebt, und würde die VMKB möglicherweise verschonen. Zwar fahren täglich private Sammeltaxis auf der Strecke »M41« zwischen Duschanbe und Khorog, seit der Unabhängigkeit gibt es jedoch keine öffentlichen Transportmittel mehr in die Region. Die eher begrenzte Mobilität zwischen der VMKB und dem Rest der Welt wurde als Schutz der Region vor der Pandemie gesehen.
Die Lebensumstände in den Bergen Tadschikistans sind durch einen gewissen Lokalismus geprägt. Die meisten Einwohner bleiben in ihrem Dorf, wo sie ihren täglichen Aktivitäten nachgehen. Darunter fallen hauptsächlich Arbeiten im Haushalt, Subsistenzlandwirtschaft und die Viehzucht. Einige wenige sind im Staatsdienst als Lehrer oder im medizinischen Bereich tätig. Obwohl Mobilität und Migration wesentlich zum Lebensunterhalt der Pamiris beitragen, verlassen die meisten Dorfbewohner ihr Tal selten. Gründe für dieses eingeschränkte Mobilitätsverhalten sind die langen sowie umständlichen Reisewege, fehlende finanzielle Kapazitäten und der allgemeine Mangel an Fahrzeugen.
Die meiste Zeit verbringen die Menschen im Haus, im Garten oder in der näheren Umgebung. Als einige meiner Bekannten mich nach meinen Verwandten in Europa fragten und ich erzählte: »Ihnen geht es gut, aber sie müssen zuhause bleiben«, folgte ein Gespräch darüber, welche unterschiedlichen Auffassungen von »zuhause sitzen« (dar xona neschastan) existieren, je nachdem, wo man lebt und welchen täglichen Aktivitäten man nachgeht.
Einer meiner Bekannten in Khorog bemerkte mit einem Lächeln im Gesicht: »Hier leben wir quasi das ganze Jahr in Quarantäne.« Obwohl er bewusst übertrieb, spiegelte seine Aussage den eher lokalen und ortsgebundenen Lebensstil vieler, vor allem weiblicher Pamiris, die keiner geregelten Tätigkeit nachgehen, wider. Als meine Gesprächspartner aus dem Bartangtal von den Lockdowns und empfohlenen Kontaktbeschränkungsmaßnahmen an vielen Orten der Welt hörten, hatten sie den Eindruck, dass ihr Lebensstil sie beschütze, da er nur wenige soziale Zusammenkünfte einschließt und sie die meiste Zeit im Haus verbringen.
Die gesundheitliche Situation zwischen Mythos und Strukturschwäche
Angesichts eines herannahenden, tödlichen Virus betonten einige meiner Gesprächspartner den Gedanken, dass Pamiris kräftige Bergbewohner seien, die den meisten Krankheiten standhalten könnten. Manche Pamiris behaupteten sogar: »Wir sind Bergmenschen, das Virus wird uns nichts anhaben.« Dies passt zu Geschichten, die ich über die Jahre hinweg während meiner Feldforschung gehört habe: »Hier haben wir saubere Luft, biologische Lebensmittel, wir arbeiten viel, deshalb haben wir so starke Organismen.«
Darin findet sich auch ein Widerhall einiger traditioneller Mythen, dass die Pamiris gegen viele Krankheiten immun seien. Überall im Pamir, ob in Khorog oder in den kleinen Dörfern Barruschon, Basid oder Roschorv, wo ich mich von März bis Mai 2020 aufhielt, erzählten mir die Bewohner regelmäßig von spand, einem lokalen Kraut, dass die Menschen rauchen oder als Räuchermittel verbrennen. Dem Rauch des verbrannten Krauts werden viele positive Wirkungen auf das Atemsystem nachgesagt, und die Menschen verwenden es während der kalten Jahreszeit häufig, wenn beispielsweise jemand an der Grippe erkrankt. Spand wurde daher als eine bevorzugte lokale und natürliche Medizin für den Fall eines Covid-19-Ausbruchs wahrgenommen.
Trotz optimistischer Annahmen über die Gesundheit und Kraft der Pamiris verschärfte das herannahende Virus die Kritik am mangelhaften Gesundheitssystem. Meine Gesprächspartner beschwerten sich oft über fehlende Infrastruktur sowie Ausstattung und machten sich Sorgen über die möglichen Konsequenzen einer Epidemie im Pamir. Scheinbar beschäftigten sich die Einwohner von Khorog mehr mit diesem Thema als die Bewohner der abgeschiedenen Dörfer des Bartangtals, die eine extrem limitierte medizinische Versorgung gewöhnt sind. Allerdings sorgten sich manche Menschen im Dorf Basid, dass sich der einzige Arzt des Dorfes, in dem etwa 700 Menschen Leben, infizieren könnte.
Fehlender Staat – Fehlende Informationen – Lokale Maßnahmen
Ich kam am ersten Mai im Bartangtal-Dorf Basid an, gleich nachdem offiziell die ersten Infektionen im Land gemeldet und die Schulen sowie manche Universitäten geschlossen worden sind. Während der ersten Maitage kamen viele Studenten und arbeitslos gewordene Personen zurück ins Dorf. Als meine Mitreisenden und ich nachts im Dorf ankamen (wir waren 11 Passagiere in einem Geländewagen), wurden wir zum Temperaturmessen in das kleine Dorfkrankenhaus gebracht.
Niemand hatte Fieber, aber der Arzt sagte einer jungen Frau, sie solle für zwei Wochen zuhause bleiben, da sie aus Duschanbe gekommen war. Als ich einigen Dorfbewohnern erklärte, dass es nicht ausreiche, bei den Rückkehrern Fieber zu messen, sagten sie: »Die Menschen hier wissen das nicht, wir haben nicht genug Informationen.« Am nächsten Tag erzählten mir meine Gastgeber, dass der Arzt alle gewarnt habe, dass aus Duschanbe ankommende Personen die Quarantäne einhalten müssten. Wir sprachen darüber wie wichtig es sei zu verhindern, dass das Virus das Dorf erreicht, als eine Person meinte: »Die Menschen hier sind nicht diszipliniert genug, sie werden die Quarantäne nicht einhalten!«
In Basid und den höhergelegenen Dörfern des Bartangtals gibt es keine Polizeistation, was manche Bewohner dazu bewegt von »Freiheit« (ozodi) zu sprechen. Die Bartangis folgen den Regeln der lokalen Dorfgemeinschaft, was einige dazu verleitet, sich selbst als »weit weg« von den Gesetzen der Regierung zu betrachten. Unter diesen Umständen, also ohne die Präsenz staatlicher Autoritäten in den Dörfern (außer dem rais, dem Dorfbürgermeister), befürchteten manche meiner lokalen Bekannten, dass die Menschen von sich aus nicht die richtigen Maßnahmen ergreifen würden.
Während es z. B. anerkannt wurde, dass das Virus Duschanbe erreicht hatte, spekulierten die Leute darüber, wie viele Fälle es in Khorog bereits gäbe. Im Dorf kursierten widersprüchliche Informationen: »Zum Glück gibt es noch keinen Fall in Khorog«, »Es gibt etwa fünf Fälle in Khorog«, »Es gibt zwischen 50 und 60 Fälle in Khorog.« Der Mangel an verlässlichen Informationen in den Dörfern führte wahrscheinlich dazu, dass einige Dorfbewohner das Virus nicht sehr ernst nahmen. Zumindest betrachteten sie das Virus nicht als Gefahr, was sich möglicherweise zu einem lokalen Problem entwickeln könnte. Die Abgeschiedenheit wurde durch den Mangel an Informationen und ergriffenen Maßnahmen deutlich spürbar.
»Unsere Migranten«
Einige der Informationen über das Virus kamen aus Russland. Im Pamir ist die Emigration nach Russland ein Phänomen von zentraler Bedeutung. In Basid befanden sich 2017 etwa 12 % der Einwohner als Migranten in Russland. Die Situation der Migranten im Ausland, insbesondere in den russischen Städten, ist für die meisten Pamiris eine Quelle der Besorgnis. Als ich im April eine meiner Bekannten in Basid fragte, wie die Situation im Bartang sei, sagte sie mir: »Uns geht es gut. Aber wir machen uns vor allem Sorgen um unsere Migranten.«
Die meisten Migranten leben unter schwierigen Bedingungen in den städtischen Gebieten Russlands, haben keinen ausreichenden Zugang zum russischen Gesundheitssystem und möglicherweise auch nicht zu gesicherten Informationen über bzw. Schutzmöglichkeiten gegen das Virus. Obwohl sich die Menschen in den Dörfern nicht vollständig selbstversorgen, glauben sie, dass sie es auch ohne jegliches Einkommen für eine Weile aushalten können. Schließlich bauen sie u. a. Getreide, Kartoffeln, Möhren sowie Früchte an und halten Vieh. Aber was sollen die Migranten in Russland tun, wenn sie für einige Monate keine Arbeit und kein Einkommen haben? Und was, wenn die russische Wirtschaft durch die aktuelle Ölpreiskrise weiter geschwächt wird, wie es die Weltbank nahelegt? Da Tadschikistan eines der am meisten von Remissen abhängigen Länder der Welt ist, könnte der von der Weltbank für 2020 prognostizierte Rückgang an Remissen den Lebensunterhalt der Pamiris ernsthaft gefährden, und die Armut und Ernährungsunsicherheit in der VMKB verstärken. Angesichts der Tatsache, dass viele pamirische Migranten in Russland während der dortigen Epidemie ihre Arbeit verloren haben, und die Arbeitsmigration durch die geschlossenen Grenzen praktisch zum Stillstand gekommen ist, könnten sich die Lebensbedingungen für manche Familien im Pamir weiter erschweren.
Die sozioökonmischen Folgen der Mobilitätseinschränkungen
Täler wie das Bartangtal mögen zwar von Märkten, Verwaltungszentren und Gesundheitseinrichtungen abgeschieden sein, jedoch wäre es zu verkürzt die Bevölkerung als gänzlich isoliert bzw. immobil zu bezeichnen. Pamirtäler sind von den Lieferungen von Grundnahrungsmitteln (Tee, Zucker, Salz, Mehl, Reis, Nudeln oder Süßigkeiten) aus anderen Regionen Tadschikistans oder aus dem Ausland abhängig. Zudem stammt ein entscheidender Anteil des Geldes, das für diese Produkte ausgegeben wird, aus Remissen, die von Migranten geschickt werden.
Aufgrund der nun eingeschränkten Mobilität in Zentralasien und der geschlossenen Grenzen ist der Preis für Mehl, das größtenteils aus Kasachstan importiert wird, in Tadschikistan gestiegen, was die am meisten benachteiligten Familien vor große finanzielle Probleme stellt. Einige Jahre lang, insbesondere seit Anfang der 2010er Jahre, ist der Tourismus in der Region angestiegen und viele Haushalte haben, teilweise mithilfe internationaler Organisationen wie dem Aga Khan Development Network oder der GIZ, kleine Reiseagenturen gegründet oder Guesthouses gebaut. Auch die tadschikische Regierung hat den wirtschaftlichen Nutzen des Tourismussektors erkannt und die Jahre 2019 bis 2021 zu den »Jahren des Tourismus und des Kunsthandwerkes« erklärt.
Der Tourismus ist mittlerweile in manchen Dörfern, und insbesondere auch in Khorog, für einige Haushalte ein ertragreiches Geschäft geworden. Der durchschnittliche Preis pro Nacht in einem Guesthouse liegt zwischen 12 und 15 US-Dollar, während viele Staatsbedienstete, z. B. Lehrer, monatlich etwa 50 oder 60 US-Dollar verdienen. Aufgrund der Grenzschließungen ist daher mit einer katastrophalen Saison für den Tourismus zu rechnen, die für viele Menschen monatelange wirtschaftliche Unsicherheit bedeuten wird. Trotz der Abgeschiedenheit, die in den ländlichen Regionen des Pamirs feststellbar sein mag, sind ihre Bewohner dennoch in hohem Maße von verschiedenen Formen der Mobilität abhängig. Weniger Mobilität und weniger Remissenzahlungen könnten die Region in eine sozioökonomische Krise stürzen.
Die Rolle des Aga Khan – Globale Ismailitische Netzwerke
Obwohl die meisten meiner lokalen Bekannten ihre Besorgnis über die möglicherweise bevorstehende Wirtschaftskrise ausgedrückt haben, rechneten sie alle mit der Unterstützung ihres spirituellen Führers, des 49. Aga Khan, und seiner einflussreichen Stiftung. Das Aga Khan Development Network (AKDN) ist seit der Unabhängigkeit Tadschikistans eine der führenden Entwicklungsorganisationen im Pamir. Die »Rettung« der Pamiris während des tadschikischen Bürgerkrieges, der die VMKB (damals GBAO) in eine dramatische sozioökonomische Lage brachte, und zu einer massiven Ernährungsunsicherheit in der Bevölkerung führte, wird dem AKDN und seiner humanitären Intervention zugeschrieben.
Seitdem war die Organisation an vielen Entwicklungs- und humanitären Projekten beteiligt, und hat die landwirtschaftliche Produktivität, den Zugang zu Mikrokrediten, die grenzüberschreitende Kooperation mit Afghanistan und die Mobilität gefördert, letzteres u. a. durch die Renovierung von Straßen und Brücken.
Anfang 2020 versorgte das AKDN den Pamir präventiv mit Informationen und Ausstattung. Mithilfe der University of Central Asia in Khorog, die Teil des Netzwerkes ist, erstellte und verteilte das AKDN in der gesamten Region Informationsposter zum Virus und seinen Symptomen. Vor kurzem erließ der Aga Khan ein Edikt (farmon), das betont, wie wichtig es für den Einzelnen sei, sich vor dem Virus zu schützen. Dieses farmon wurde während lokaler Treffen in den Dörfern verbreitet. Der Aga Khan und das AKDN spielen durch ihre Bereitstellung einer Art der spirituellen Unterstützung eine zentrale Rolle im Pamir, und werden in Krisenzeiten als Garanten für sozioökonomische Sicherheit wahrgenommen. Als Teil einer starken transnationalen Religionsgemeinschaft verlassen sich die ismalitischen Pamiris, trotz ihrer physischen Abgeschiedenheit, auf die Unterstützung der jamoat, der internationalen ismailitischen Gemeinde.
Nur eine weitere vorübergehende Krise?
Die Pamiris haben sich in ihrer jüngeren Geschichte an Entbehrungen gewöhnt. Vor allem in ländlichen Regionen haben viele Bewohner Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, ökonomische Unsicherheit ist ein fester Bestandteil ihrer Lebensumstände. Der Untergang der Sowjetunion, der damit einhergehende sozioökonomische Kollaps und die schwierige Zeit des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren haben die Pamiris – laut Selbstreputation – zu einem gewissen Grad resilient gemacht. Aufgrund der angenommen Widerstands- und Anpassungsfähigkeit, welche die Pamiris demnach entwickelt haben, erklärten manche meiner Bekannten: »Solange wir Milchtee (schirtschoy) zu trinken haben, wird alles gut«, »Wir haben schon Mai, die Früchte werden bald reif und alles wird gut sein.« Die hier beschriebenen Selbstzuschreibungen der Pamiris sollen jedoch nicht von den Tatsächlichkeiten ablenken: Die aktuelle Situation birgt potenziell schwerwiegende Konsequenzen. Dennoch erscheint die Wiedergabe der Pamiri-Perspektive sinnvoll, da diese verdeutlicht, wie die Bewohner der VMKB eine globale Krise wahrnehmen und erfahren.
Die Pamiris sind selbsterklärend ein Teil der internationalen und globalisierten Welt und bleiben von der aktuellen Situation nicht verschont. Dennoch gibt es einen Fokus der Bewohner auf lokale Besonderheiten, auf die sie sich sowohl berufen als auch verlassen. Die Covid-19-Krise konfrontiert die Gesellschaft im Pamir erneut mit grundlegenden Fragen über ihre geografische Abgeschiedenheit als auch ihre Verschiedenheit zum Rest des Landes. Insbesondere die Einwohner entlegener Täler behaupten, in einer Art Refugium zu leben, das von den vielen hauptsächlich die Städte bedrohenden »Gefahren« – wie Viren – abgeschirmt sei. Einige Gesprächspartner behaupten sogar, dass sie durch die umgebende Berglandschaft mit einer starken Immunität ausgestattet wurden, welche sie vor dem Virus bewahren könne. Allerdings sind die sanitären Bedingungen auch ein Anlass zur Reflexion der Schwächen des Gesundheitssystems, das als weitestgehend ungenügend wahrgenommen wird. Die aktuelle Situation im Pamir zeigt eindrücklich sowohl seine Abgeschiedenheit als auch seine Abhängigkeit von verschiedenen Formen der Mobilität auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.
Übersetzung aus dem Englischen: Armin Wolking