Kasachstans langer Weg zur atomaren Abrüstung und nuklearen Nichtverbreitung

Von Togzhan Kassenova (State University of New York at Albany (SUNY) / Carnegie Endowment for International Peace, Washington D.C.)

Zusammenfassung
Der Osten Kasachstans wurde Mitte der 1940er Jahre zum Zentrum des sowjetischen Atombombenprojektes, in Semipalatinsk entstand das größte Kernwaffentestgelände der Sowjetunion. Zwischen 1949 und 1989 wurden ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung in Semipalatinsk Hunderte Kernwaffentests durchgeführt, deren verheerende Folgen für Mensch und Umwelt von der sowjetischen Führung jahrzehntelang verschwiegen wurden. Während der Öffnung unter Gorbatschow ist in der späten Sowjetrepublik Kasachstan eine internationale Anti-Atom-Bewegung entstanden, die entscheidende Impulse für den Weg der Denuklearisierung setzen konnte, den Kasachstan nach der Unabhängigkeit eingeschlagen hat. Nach dem Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag 1993 ist Kasachstan seit 1995 atomwaffenfrei und hat die Bemühungen um eine Welt ohne Kernwaffen seitdem zu einem Eckpfeiler der Außenpolitik gemacht. Mehrgenerationale gesundheitliche Folgen und anhaltende Traumata manifestieren das atomare Erbe Kasachstans, das bis heute die Debatten über mögliche Formen der zivilen Nutzung von Kernenergie prägt.

Sowjetische Kernwaffentests in Kasachstan

Kasachstans nukleare Geschichte beginnt im Jahr 1947, als Stalin den Osten der damaligen Sowjetrepublik als Testgebiet für das sowjetische Kernwaffenprogramm auswählte. Die sowjetische Regierung steckte ihre ganze Kraft in die Schaffung des Kernwaffentestgeländes Semipalatinsk. Zwei Jahre lang mussten Tausende Soldat:innen, Bauarbeiter:innen und Gefangene für den Bau des Testgeländes schuften. Nach der Fertigstellung übernahm das Militär ein Gebiet von der Größe Belgiens für seine nuklearen Experimente.

Das Testgelände war ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Auf und unter der Erde wurde eine komplexe Infrastruktur errichtet, mit speziellen Gebäuden, in denen Hunderte Messinstrumente und andere Gerätschaften untergebracht waren. Über Kilometer hinweg war der Boden des Geländes von elektrischen Kabeln durchzogen. Ab 1963 legte das Militär außerdem Dutzende Tunnel an und führte Bohrungen durch, um unterirdische Atomexplosionen durchführen zu können. Zusätzlich zu den Kernwaffentests experimentierte das Militär auch mit radiologischem Material.

Am 29. August 1949 führte das sowjetische Militär seinen ersten Kernwaffentest durch, womit ein dunkles, 40 Jahre andauerndes Kapitel militärischer Nuklearversuche begann. Mehr als 450 Atomtests zerstörten die Gesundheit Zehntausender Menschen, die in den umliegenden Ortschaften lebten. Schon in den 1950er-Jahren wurden die unbestreitbaren Folgen ionisierender Strahlung bekannt. Trotzdem liefen die Versuche weiter. Die Atmosphäre der Geheimhaltung, der Mangel an wahrheitsgemäßen Informationen, die Priorisierung nationaler Sicherheitsinteressen zulasten der öffentlichen Gesundheit und die Kontrolle des Militärs über das Narrativ, das um das Testprogramm gesponnen wurde, führten dazu, dass die lokale Bevölkerung über Jahrzehnte hinweg keine Möglichkeit besaß, über ihr eigenes Schicksal mitzuentscheiden.

Das Militär hatte kein Interesse am Schutz der lokalen Bevölkerung, sondern war vielmehr daran interessiert, die Auswirkungen der Strahlung auf den menschlichen Körper zu untersuchen und so wertvolle Daten für militärische Planungen zu gewinnen. Alle Untersuchungen, die von Expert:innen des militärisch-industriellen Establishments der Sowjetunion durchgeführt wurden, blieben unter Verschluss. Weder lokale Führungspersonen noch die örtlichen Gesundheitsdienste erfuhren von den Ergebnissen. Stattdessen wurde es den lokalen Ärzt:innen sogar verboten, Krebserkrankungen oder andere Krankheiten zu diagnostizieren, die auf die schädliche Wirkung der Strahlung zurückgeführt werden konnten.

Die einzige von Kasachstan selbst geleitete medizinische Expedition zu den Dörfern in der Umgebung des Testgeländes dauerte nur drei Jahre (1957–1960). Mediziner:innen des kasachstanischen Instituts für Radiologische Pathologie dokumentierten die schweren Krankheiten, unter denen die Menschen vor Ort litten. Neurologische Erkrankungen verursachten Müdigkeit, Kopfschmerzen und Schwindel. Manche Menschen verloren ihren Schluckreflex, den Schutzmechanismus des Körpers gegen das Ersticken, und bei den Bewohner:innen der kontaminierten Siedlungen wurden Beeinträchtigungen der Blutzirkulation im Gehirn festgestellt. Menschen, die lange Zeit hohen Mengen an Radioaktivität ausgesetzt waren, erlebten Veränderungen ihrer Schmerzempfindungsschwelle, ihres Geschmacks- und Geruchssinns, sowie Veränderungen in Nase, Hals und Ohren. Frauen litten unter Störungen des Menstruationszyklus, Genitalpathologien und anderen gynäkologischen Problemen. Das sowjetische Militär sorgte dafür, dass die kasachstanische Expedition ihre Arbeit einstellen musste.

Im Jahr 1963 einigten sich die Atommächte – die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und das Vereinigte Königreich – darauf, Kernwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser zu verbieten. In Kasachstan wurden die Kernwaffentests nun unter der Erde fortgeführt. Unterirdisch durchgeführte Tests waren zwar weniger schädlich als in der Atmosphäre durchgeführte Versuche, sie waren jedoch keinesfalls harmlos. Radioaktive Partikel drangen in die Erde und das Grundwasser ein und radioaktives Gas, das als Abfallprodukt der Nuklearversuche entstand, konnte stellenweise über Risse im Erdboden austreten.

Die Entstehung einer kernwaffenkritischen Öffentlichkeit

Die sowjetischen Atomtests sollten erst in den späten 1980er Jahren vollständig zum Erliegen kommen. Grund dafür war das zufällige Zusammentreffen verschiedener Entwicklungen inner- und außerhalb der Sowjetunion. Zum einen konnten die negativen Auswirkungen von Kernwaffentests auf Mensch und Umwelt international nicht länger ignoriert werden, weder von den Atommächten selbst noch vom Rest der Weltbevölkerung. Zum anderen kam in der Sowjetunion der reformorientierte Michail Gorbatschow an die Macht. Für die Entwicklungen in Kasachstan war dies aus zwei Gründen eine wichtige Fügung: Erstens wollte Gorbatschow das Wettrüsten verlangsamen und zeigte sich einem Verbot von Kernwaffentests gegenüber aufgeschlossen, auch wenn seine Macht nicht ausreichte, um sich dem militärisch-industriellen Sektor entgegenzustellen. Zweitens schaffte seine Regierung im Zuge ihrer Öffnungs- und Reformagenda das politische Monopol der Kommunistischen Partei ab. Von nun an war es erlaubt, politische Parteien und Bewegungen ins Leben zu rufen, wodurch auch die Entstehung von Umweltbewegungen möglich wurde.

Wie in anderen Sowjetrepubliken widersetzten sich die lokale Bevölkerung und die kasachstanischen Regierungsorganisationen immer stärker der Herrschaft Moskaus. Die anhaltenden Kernwaffentests wurden vor diesem Hintergrund zu einem der umstrittensten Symbole für das mangelnde Interesse der Zentralregierung an den Menschen in den einzelnen sowjetischen Republiken. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 verstärkte die Angst der sowjetischen Öffentlichkeit vor atomarer Strahlung.

Der Wendepunkt kam am 12. Februar 1989, als die Information öffentlich wurde, dass nach einem unterirdischen Kernwaffentest radioaktive Gase ausgeströmt waren. Dadurch wurde eine Kette von Entwicklungen in Gang gesetzt, die nicht nur für das Testprogramm der Sowjetunion massive Konsequenzen hatte, sondern auch für das globale Verbot von Kernwaffentests an sich von großer Bedeutung war. Der lokale Parteichef von Semipalatinsk, Keschrim Bostajew, nutzte die Gelegenheit, um sich nach dem Test direkt an Gorbatschow zu wenden und den seit Langem vorhandenen Sorgen der Bevölkerung vor Ort Ausdruck zu verleihen.

Als Olshas Sulejmenow, ein bekannter kasachischer Schriftsteller und Mitglied des sowjetischen Parlaments, von der radioaktiven Kontamination erfuhr, rief er die Menschen in Kasachstan dazu auf, sich gemeinsam gegen die Kernwaffentests im Land zu wehren. Als ersten Schritt lud er alle Interessierten zu einer Versammlung ins Haus der Schriftsteller in Almaty ein, wo sich normalerweise professionelle Autor:innen trafen. Am 28. Februar 1989 versammelten sich dort Tausende kasachstanische Bürger:innen. Im Konferenzsaal gab es nur einige Hundert Plätze, weshalb viele Menschen draußen in der Kälte standen. Die Versammlung entfaltete eine solche Energie, dass Sulejmenow spontan die Gründung einer öffentlichen Anti-Atom-Bewegung initiierte.

Innerhalb weniger Tage schlossen sich Millionen Menschen der neuen Bewegung mit dem Namen Nevada-Semipalatinsk an. Die Antiatomaktivist:innen aus Kasachstan suchten die Verbindung mit US-amerikanischen Friedensaktivist:innen, die gegen das Kernwaffentestgelände in Nevada protestierten. In den darauffolgenden zwei Jahren entbrannte eine komplexe Auseinandersetzung zwischen Kasachstan und Moskau um das Testgelände in Semipalatinsk, die auf mehreren Ebenen gleichzeitig geführt wurde. Gorbatschow und einige sowjetische Wissenschaftler:innen vertraten die Meinung, dass Kernwaffentests nicht mehr notwendig seien. Das sowjetische Establishment drängte jedoch darauf, sie weiter fortzusetzen, wenn auch nur für ein paar Jahre.

Im Zuge der Nevada-Semipalatinsk-Bewegung kam es zu massiven Protesten und Demonstrationszügen gegen die sowjetischen Kernwaffentests. Friedensaktivist:innen aus der ganzen Welt, einschließlich den USA, Kanada, Japan, verschiedenen europäischen Ländern und anderen Sowjetrepubliken, reisten nach Kasachstan, um an internationalen Antiatomveranstaltungen teilzunehmen.

Am 29. August 1991, auf den Tag genau 42 Jahre nach dem ersten sowjetischen Kernwaffentest und nur wenige Tage nachdem in Moskau ein Putschversuch gegen Gorbatschow gescheitert war, unterzeichnete der kasachstanische Präsident Nursultan Nasarbajew schließlich ein Dekret, das die Schließung des Kernwaffentestgeländes Semipalatinsk anordnete und weitere Atomtests auf kasachstanischem Territorium verbot. Damit ging ein Kapitel der nuklearen Geschichte Kasachstans zu Ende, während sich ein neues öffnete, dessen Ende noch nicht abzusehen war.

Atomare Erbschaften

Ende 1991 zerfiel die Sowjetunion und hinterließ Kasachstan mit einem gewaltigen nuklearen Erbe. Das Land war ein wichtiger Teil des sowjetischen Kernwaffenprogramms gewesen und beherbergte, als die Sowjetunion zusammenbrach, strategische Kernwaffensprengköpfe, ballistische Interkontinentalraketen, schwere Bomber und umfangreiche kerntechnische Anlagen, darunter Produktionsstätten für nukleares Material.

Auch wenn die Entscheidung, sich von diesem nuklearen Erbe zu lösen, nicht sofort fiel, folgte sie doch recht bald, nachdem die kasachstanische Führung nationale Sicherheitsinteressen sowie wirtschaftliche, politische und diplomatische Prioritäten abgewogen hatte. Die Entscheidung kam zustande, da Kasachstan sich in der glücklichen Lage befand, die eigenen Prioritäten einer internationalen Gemeinschaft darlegen zu können, die ihrerseits bereit war auf die Bedürfnisse des Landes einzugehen. Die kasachstanische Führung hatte verstanden, dass das Bild, das sie der Außenwelt von ihrem jungen Staat präsentieren wollte, mit einem Festhalten an der nuklearen Infrastruktur und den Kernwaffenbeständen des Landes unvereinbar war. Vor allem aber wussten die kasachstanischen Entscheidungsträger:innen, dass ein Beitritt zum Club der Atommächte Kasachstan von dem abschneiden würde, was der junge Staat zu dem Zeitpunkt am dringendsten benötigte: Sicherheitsgarantien, welche die Souveränität und territoriale Integrität gewährleisten würden, sowie ausländische Direktinvestitionen und Zugang zu internationalen Institutionen und Märkten.

Die größte Sorge der jungen Republik war ihre Sicherheit. Sie musste sich als frisch unabhängig gewordener Staat in einem geopolitisch herausfordernden Umfeld behaupten, mit zwei Atommächten – Russland und China – als Anrainern und einer instabilen zentralasiatischen Nachbarschaft. Deshalb waren von Atommächten, allen voran den Vereinigten Staaten ausgestellte Sicherheitsgarantien für Kasachstan von entscheidender Bedeutung.

Eine weitere Priorität der Regierung bestand darin, ausländische Direktinvestitionen ins Land zu holen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kollabierte die kasachstanische Wirtschaft. Große Hoffnung, wieder festen Boden unter den Füßen zu kriegen, ging von den reichhaltigen natürlichen Ressourcen des Landes aus. Um sie nutzen zu können waren jedoch Investitionen und technische Mittel notwendig, über die Kasachstan zu diesem Zeitpunkt nicht verfügte. Tengis, das größte Ölfeld des Landes, versprach dringend benötigte Einnahmen, allerdings waren Investitionen, technische Ressourcen und Technologien aus dem Ausland erforderlich, um diese Einnahmequelle erschließen zu können. Deshalb schloss die kasachstanische Regierung 1993 eine Kooperationsvereinbarung mit dem US-amerikanischen Ölgiganten Chevron, die dem Unternehmen Zugang zu neuen Ölreserven verschaffte und Kasachstan seine erste ausländische Großinvestition einbrachte. Damit öffnete sich das Land für amerikanische und internationale Geschäftsinteressen. Kasachstan trat als neues Land auf die internationale Bühne und wollte so schnell wie möglich Teil der internationalen Gemeinschaft, ihrer Organisationen und Märkte werden.

Vor allem sorgte sich die kasachstanische Führung um die finanziellen Ressourcen und die technische Expertise, die für eine sichere Denuklearisierung notwendig waren. Dank des Nunn-Lugar-Kooperationsprogramms zur Reduktion von Bedrohungen (Nunn-Lugar Cooperative Threat Reduction Program) konnte die US-Regierung Kasachstan beides anbieten. Auch andere Länder und internationale Organisationen leisteten Unterstützung. Diese praktische Unterstützung sollte für die erfolgreiche Denuklearisierung des Landes eine unmittelbare Rolle spielen.

Dass Kasachstan schließlich einen atomwaffenfreien Weg beschritt, ist auch der innenpolitischen Situation jener Zeit zu verdanken. Das Trauma der sowjetischen Atomwaffentests hatte in der kasachstanischen Gesellschaft eine starke Ablehnung der Kernenergie hinterlassen. Kasachstans Entscheidungsprozesse liefen stark zentralisiert ab und es gab keine nennenswerten Interessensgruppen im Land, die sich für einen Erhalt der nuklearen Bestände einsetzten. Der kasachstanische Präsident und seine Berater:innen hatten deshalb nicht im gleichen Maß mit Widerständen zu ringen, wie das zum Beispiel bei der ukrainischen Regierung der Fall war, die in einem politisch vielfältigeren Umfeld agieren musste.

Besondere Beachtung muss an dieser Stelle dem normativen Aspekt der Entscheidungsprozesse im jungen unabhängigen Kasachstan zuteilwerden. Außenpolitische Berater:innen, die sich in den frühen Tagen der Unabhängigkeit mit Nuklearfragen auseinandersetzten, waren der Meinung, dass Kasachstan den Atomwaffensperrvertrag (NPT) – den wichtigsten Grundlagenvertrag der internationalen nuklearen Ordnung seit 1970 – untergraben würde, wenn sich das Land einer Unterzeichnung verweigerte. In den frühen 1990er Jahren, als Kasachstan die Entscheidung zur Denuklearisierung traf, war der NPT gerade an einen entscheidenden Moment gelangt. 1995 würden die Unterzeichnerstaaten darüber entscheiden, ob der Vertrag nach einer bestimmten Zeit auslaufen oder zeitlich unbegrenzt fortgeführt werden soll. Kasachstans Entscheidung, kein Mitglied im Club der atomaren Staaten zu werden, hat die internationale Norm zur Nichtverbreitung von Kernwaffen gestärkt und die Entscheidung über eine zeitlich unbegrenzte Verlängerung des NPT begünstigt.

Die vorteilhafte Kombination der nationalen Prioritäten Kasachstans und der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, auf Kasachstans Absichten einzugehen, resultierte in der Entscheidung des kasachstanischen Parlaments vom Dezember 1993, dem NPT als künftig kernwaffenfreier Staat beizutreten. Dadurch ging Kasachstan eine nun rechtlich bindende internationale Verpflichtung ein, das eigene Atomarsenal aufzugeben.

Bis 1995 wurden alle Kernwaffen aus Kasachstan entfernt und nach Russland gebracht. Zusammen mit Partner:innen aus den Vereinigten Staaten, Russland und anderen Ländern arbeitete Kasachstan in den darauffolgenden Jahren daran, die Infrastruktur atomarer Waffen zu demontieren, Nuklearmaterial zu sichern und beseitigen und Forschungsreaktoren auf den Betrieb mit niedrig angereichertem Uran umzustellen (bis dahin verwendetes hochangereichertes Uran stellt die Grundlage von Kernwaffen dar).

Nukleardiplomatie und die bleibenden Narben des atomaren Testprogramms

Die Erfahrung der sowjetischen Kernwaffentests wurde zu einem integralen Bestandteil der Identität Kasachstans als einer Nation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die atomare Gefahr einzuhegen. Nukleardiplomatie wurde zu einem Eckpfeiler der kasachstanischen Außenpolitik. 2006 erklärte ein gemeinsamer Vertrag zwischen Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan Zentralasien zur kernwaffenfreien Zone, ein Schritt, mit dem sich für Kasachstan ein symbolischer Kreis schloss – von einer Sowjetrepublik im Zentrum des sowjetischen Atomprogramms zu einem unabhängigen Staat, der Kernwaffen für immer von seinem Territorium verbannt hat. Der Central Asian Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty ist nach dem Ort seiner Unterzeichnung bis heute als Vertrag von Semipalatinsk bekannt.

Die Geschichte des Testgeländes Semipalatinsk ist eine Geschichte von Schwertern zu Pflugscharen. Errichtet, um die tödlichsten Waffen der Welt zu testen, dient es nun den Zielen des Friedens und der ethischen Wissenschaft. Zum Beispiel stellte Kasachstan das ehemalige Testgelände für Feldübungen der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Test Ban Treaty Organization, CTBTO) zur Verfügung. Der namensgebende, 1996 von der UN-Vollversammlung angenommen Vertrag, der ein umfassendes Verbot aller Kernwaffenversuche zum Ziel hat, soll nach der Ratifizierung durch mindestens 44 Unterzeichnerstaaten in Kraft treten. Ab diesem Moment wird die internationale Gemeinschaft auf die Verifikationsmechanismen der CTBTO angewiesen sein, um sicherzustellen, dass der Vertrag von allen Unterzeichnerstaaten eingehalten wird. Im Jahr 2008 war Kasachstan deshalb Gastgeber der bisher umfangreichsten Simulationsübung der CTBTO, bei der vierzig internationale Inspektor:innen mutmaßliche Kernwaffentests eines fiktiven Landes untersuchten. Vierzig Tonnen Equipment wurden dafür nach Kasachstan verfrachtet. Kaum ein anderer Ort der Welt hätte realistischere Bedingungen für die Übung bieten können als das ehemalige Testgelände Semipalatinsk.

Trotz aller positiven Entwicklungen nach der Unabhängigkeit bestehen das Erbe der sowjetischen Kernwaffentests und das kollektive Trauma, das sie hinterlassen haben, noch immer fort. Bis heute herrscht in der kasachstanischen Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der Kernkraft. Bereits mehrere Versuche der Regierung, in Kasachstan den Bau eines Kernkraftwerkes durchzusetzen, sind gescheitert, was sich zumindest teilweise auf die weitverbreitete Skepsis der Bevölkerung gegenüber der etwaigen Nutzung von Kernkraft zurückführen lässt. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem letzten Kernwaffentest in Semipalatinsk leidet die lokale Bevölkerung noch immer unter schweren gesundheitlichen Folgeschäden. Vom kasachstanischen Institut für Strahlenmedizin und Ökologie durchgeführte Studien zeigen, dass vor Ort weiterhin ein erhöhtes Risiko schwerer Erkrankungen besteht, das auch die Kinder und Enkelkinder derjenigen betrifft, die während der Zeit der Kernwaffentests radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren.

Aus dem Englischen von Armin Wolking

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