Das Wechselspiel wirtschaftlicher Probleme und sicherheitspolitischer Risiken in Zentralasien nach dem russischen Überfall auf die Ukraine

Von Mariya Omelicheva (National Defense University, Washington D.C.)

Zusammenfassung
Die russische Wirtschaft ist unter dem Gewicht der westlichen Sanktionen eingebrochen, was zu schockwellenartigen Auswirkungen in den Ländern geführt hat, die mit Moskau eng über eine Kooperation in den Feldern Handel und Investitionen verbunden sind. Vor allem die zentralasiatischen Republiken sind besonders vulnerabel gegenüber Abwärtstrends in der russischen Wirtschaft. Der Beitrag untersucht, wie wirtschaftliche Herausforderungen und Sicherheitsfragen in Zentralasien verschränkt sind und welche langfristigen Implikationen für die regionale Sicherheit mit den westlichen Sanktionen gegen Russland einhergehen.

Einleitung

Russlands ungerechtfertigte Aggression gegen die Ukraine hat die globale wirtschafts-, sicherheits- und geopolitische Landschaft innerhalb weniger Tage radikal verändert. Für die internationale Wirtschaft, die bereits vorher durch Covid-19 geschwächt war, ist der Krieg zu einem Wendepunkt geworden, der die Schwächen der globalen Energiearchitektur offengelegt hat. Der Krieg hat die ohnehin schon begrenzten Ressourcen für die Auslandshilfe weiter strapaziert und die normativen Grundlagen der internationalen Ordnung mit ihrer zentralen Institution der staatlichen Souveränität untergraben. Neben dem Leid und der Zerstörung in der Ukraine, der Destabilisierung der globalen Wirtschaft und der humanitären Krise in Europa hat der Krieg auch die mit Moskau durch eine vielfältige wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit verbundenen Nachbarstaaten Russlands massiv unter Druck gesetzt.

In ihrer Verurteilung des Krieges vereint haben die USA und ihre westlichen Partner:innen beispiellose Sanktionen gegen Russland erlassen. Trotz ihrem eigentlichen Zweck als Strafmaßnahmen gegen Putins Regime haben die Sanktionen auch in Zentralasien Handel, Versorgungsketten und Remissenzahlungen beeinträchtigt. Die Sanktionen beschleunigen die Inflation in der Region und entwerten die Einkommen der Menschen, indem sie die Preise für Nahrungsmittel, Energie und andere Grundbedarfsgüter in die Höhe treiben. Gleichzeitig hat der Krieg weitreichende politische und insbesondere sicherheitspolitische Implikationen für Zentralasien, die bisher wenig Beachtung gefunden haben.

Ziel des Beitrages ist aufzuzeigen, wie wirtschaftliche Herausforderungen, Problematiken politischer Art und Sicherheitsfragen in Zentralasien seit jeher eng verflochten sind. In Wechselbeziehung stehende Entwicklungen, die schon vor dem Krieg in der Region zu beobachten waren, werden sich durch die neuen wirtschaftlichen Belastungen weiter beschleunigen und erhebliche Folgen für die Sicherheit und Stabilität in einigen Teilen Zentralasiens nach sich ziehen. Während Instabilität mannigfaltige Gründe hat, werden im Folgenden zwei spezifische Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen Problemen und regionalen Sicherheitsfragen diskutiert: zum einen die Verbindung zwischen sozioökonomischen Herausforderungen und der Bedrohung des Islamismus, die nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zugenommen hat. Zum anderen der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Abwärtstrends und ihrer sicherheitsrelevanten Problematik einer potenziellen Zunahme politischer Unruhen. Angesichts der wachsenden sozioökonomischen Problematiken, vor denen die Region wegen des russischen Krieges und der damit einhergehenden Sanktionen steht, werden sich die Staaten Zentralasiens in den nächsten Jahren in einem volatilen und herausfordernden geopolitischen Umfeld behaupten müssen.

Ursachen der Instabilität in Zentralasien

Mit Ausnahme eines verheerenden Bürgerkriegs in Tadschikistan von 1992 bis 1997 sind die zentralasiatischen Republiken von schweren Konflikten und Gewalt bislang verschont geblieben. Trotz der relativen Stabilität der Region ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Gewaltausbrüchen niedrigerer Intensität gekommen, darunter Grenzkonflikte, Putschversuche, Terrorangriffe und staatliche Maßnahmen von tödlicher Gewalt gegen Zivilisten während öffentlicher Unruhen. Kirgistan hat seit der Unabhängigkeit bereits drei politische Umwälzungen erlebt, die alle zum Sturz der Regierung und erheblichen Verlusten an Menschenleben führten. In Teilen Zentralasiens kommt es zudem wiederholt zu interethnischen Konflikten und Gewalt durch organisierte Kriminalität.

Die Ursachen dieser Gewaltausbrüche sind komplex und vielfältig, haben jedoch einen gemeinsamen Nenner: sie alle geschahen vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher Probleme, dem Versagen autoritärer Regierungen und einer allgegenwärtigen Korruption. Seien es die Ereignisse des »Blutigen Januars« 2022 in Kasachstan, die gewalttätigen Proteste, die 2020 den Sturz der kirgisischen Regierung herbeiführten, oder die anhaltenden Gefechte zwischen der Zentralregierung und ethnischen Pamiris in Tadschikistan: in allen diesen Fällen waren oder sind es wachsende ökonomische Disparitäten, fehlende soziale Perspektiven und die allgemeine Frustration über eine korrupte Zentralverwaltung, die als wiederkehrende Ursachen hinter Gewalt und regionaler Destabilisierung stehen.

Die COVID-19-Krise hat die wirtschaftlichen und administrativen Probleme Zentralasiens zum Vorschein gebracht und die tief verwurzelte Korruption sowie die Mängel der staatlichen Notfallsysteme und des öffentlichen Gesundheitssektors offengelegt. Die regionalen Volkswirtschaften, die bereits von Handelsausfällen, sinkenden Remissen und den ökonomischen Kosten geographischer Isolation beeinträchtigt sind, sind gegenüber den Folgen der Sanktionen, die der Westen aufgrund des Angriffskriegs in der Ukraine gegen Russland erlassen hat, besonders empfindlich.

Die Währungen Kasachstans und Kirgistans, zwei Staaten, die durch den Handel innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion besonders eng an Russland gebunden sind, sind mit dem Wert des Rubel verschränkt. Zwar sind sowohl der kasachstanische Tenge als auch der kirgisische Som einem ungebremsten Währungsverfall entgangen, ihre Abwertung gegenüber Dollar und Euro bei gleichzeitiger Aufwertung gegenüber dem russischen Rubel hat jedoch eine Inflationsspirale ausgelöst, die vor allem für die ärmsten Teile der Bevölkerung, die ca. zwei Drittel ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, schwerwiegende Folgen hat. Die erhöhte Nachfrage nach wichtigen Grundbedarfsgütern wie Zucker, Mehl und Speiseöl, deren Export Moskau zwischenzeitlich ausgesetzt hat, hat die Inflation weiter verschärft.

Kirgistan und Tadschikistan sind die am stärksten von Remissen abhängigen Volkswirtschaften Zentralasiens. Usbekistan ist zwar wirtschaftlich weniger anfällig für äußere Erschütterungen, als bevölkerungsreichstes Land der Region stellt es jedoch die größte Anzahl an Arbeitsmigrant:innen in Russland. Saisonale Migration war für diese Länder bisher überlebenswichtig, da sie die Anzahl der Arbeitslosen und damit die Belastung der öffentlichen Dienste in den Heimatländern verringerte. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags hat zwar noch kein massenhafter Exodus von Arbeitsmigrant:innen aus Russland stattgefunden, viele Beschäftigte haben jedoch ihren Arbeitsplatz verloren, als internationale Firmen aus Russland abzogen und viele russische Unternehmen zur Schließung gezwungen waren. Die meisten zentralasiatischen Arbeitsmigrant:innen sind in Russland geblieben, jedoch haben ihre Remissen einen Viertel ihres Wertes verloren, was sowohl für die privaten als auch die nationalen Haushalte eine schwere Belastung darstellt.

Den verheerenden Konsequenzen nach zu urteilen, die bereits mit der ersten Krise 2014 einhergingen, als die russische Wirtschaft von fallenden Ölpreisen und den ersten Sanktionen nach der Krim-Annexion getroffen war, hat die momentane Krise vor allem in kurzfristiger Hinsicht das Potenzial, die zentralasiatischen Volkswirtschaften zu ruinieren. Die wirtschaftlichen Risiken sind dabei nicht gleichmäßig in der gesamten Region verteilt, sondern davon abhängig, wie exponiert die einzelnen Republiken gegenüber den weiteren Entwicklungen in Russland sind und wie die einzelnen Regierungen politisch reagieren werden. Alle zentralasiatischen Staaten werden jedoch in irgendeiner Form mit Sicherheitsrisiken zu ringen haben, deren Gründe in der zunehmenden Aktivität gewalttätiger religiöser Akteure und der politischen regionalen Volatilität liegen.

Das Risiko islamistischer Gewalt

Für die säkularen Führungen Zentralasiens, die mehrheitlich muslimische Bevölkerungen regieren, war der aufkeimende religiöse Sektor in ihren Ländern schon immer ein Grund zur Beunruhigung. Aus Angst, der Islam könne dem Widerstand gegen ihre autoritäre Herrschaft als Mobilisierungsplattform dienen, gehen sie gegen alle religiösen Ausdrucksformen, die nicht mit der vagen Interpretation eines unklaren offiziellen Islam übereinstimmen, hart vor. Während die religiöse Frömmigkeit in Teilen der Region zugenommen hat, vertritt die Mehrheit der zentralasiatischen Muslime moderate und traditionelle Formen des Islam. Zwar haben konservative Glaubensgemeinschaften an Beliebtheit gewonnen, viele von ihnen lehnen jedoch Gewalt ab und verfügen soweit bekannt auch über keine Verbindungen zu gewalttätigen islamistischen Organisationen. Nichtsdestotrotz hat es in Zentralasien sporadische Terroranschläge gegen die herrschende Regime und kleinere Aufstände gegeben. Diese Vorfälle religiös motivierter Gewalt haben zu einer Wahrnehmung des islamischen Terrorismus als massiver Gefahrenquelle geführt. Aus Befürchtung vor einer gewaltsamen Radikalisierung haben die Behörden harte Antiterrormaßnahmen ergriffen und das religiöse Leben eingeschränkt. Der globale »Krieg gegen den Terror« und die unerwartet hohe Anzahl von Bürger:innen zentralasiatischer Staaten, die im letzten Jahrzehnt zum Kämpfen nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, haben die regionalen Regierungen in ihrer Überzeugung bestärkt, dass ihre Bevölkerungen und Territorien akut von islamistischer Gewalt bedroht sind.

Seit der Machtübernahme der Taliban nach dem Abzug der NATO- und US-Truppen aus Afghanistan ist die Terrorgefahr in Zentralasien gestiegen. Am Tag der Einnahme Kabuls durch die Taliban warnte der usbekische Analyst Yuri Sarukhanyan davor, dass die größte Gefahr, die von der erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ausginge, eine »Talibanisierung« der Gesellschaften Zentralasiens sei. Während diese unheilvolle Prognose die islamistische Gefahr in der Region übertreibt, ruft sie gleichzeitig die Kooperation extremistischer Kämpfer aus Zentralasien mit den Taliban und anderen islamistischen Gruppierungen ins Bewusstsein. In vielen afghanischen Provinzen, die zentralasiatischen Kämpfern als Rückzugsorte dienen, ist die öffentliche Ordnung nicht in der Hand der Taliban. Ursprünglich aus Zentralasien stammende Terrorgruppen wie die Islamische Bewegung Usbekistan, die Islamische Dschihad-Union und Jamaat Ansarullah, sowie aus Syrien oder dem Irak zurückkehrende Kämpfer mit zentralasiatischem Hintergrund, wurden in verschiedenen Teilen Afghanistans gesichtet. Der Erzfeind der Taliban – der selbsternannte »Islamische Staat in Khorasan« (IS-K) – hat die Versuche zur Rekrutierung verarmter Afghan:innen, u. a. über das Internet, zuletzt verstärkt. In einer Phase, in der immer mehr zentralasiatische Arbeitnehmer:innen aufgrund der ökonomischen Krise und der zunehmend unprofitablen Arbeitsmigration in die Erwerbslosigkeit rutschen, wird der Pool potenzieller Rekrut:innen für islamistische Gruppierungen größer, auch unter denjenigen, die sich in Russland durchschlagen.

Jedoch treiben herausfordernde wirtschaftliche Umstände allein noch keinen Menschen in die Radikalisierung. Allerdings können schwerwiegende und plötzliche Veränderungen des Einkommensniveaus in Kombination mit einer wachsenden sozialen Ungleichheit Empfindungen der Unzufriedenheit und Entfremdung verstärken, die den Einzelnen für die Rekrutierung durch Terrorgruppen empfänglicher machen können. Insbesondere junge Menschen sind während Wirtschaftskrisen vom Risiko einer Radikalisierung betroffen, da Bedürfnisse nach Identität und Zugehörigkeit im Kontext erodierender Sozial- und Familienbindungen nicht erfüllt werden können. Stressfaktoren wie der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Zwangsversteigerung des eigenen Hauses können die Beziehungen zu Angehörigen belasten. Radikale Gruppen geben ihren Rekrut:innen in einer solchen Situation das Gefühl, relevant und wichtig zu sein, was besonders auf junge Menschen eine starke Anziehungskraft ausüben kann. In Zentralasien wurde in den sozialen Medien viel über das »Islamische Emirat« der Taliban diskutiert und teilweise als mögliches Gegenmodell zu den westlichen, russischen oder chinesischen Alternativen dargestellt.

Diese Risiken spitzen sich im Zuge des russischen Kriegs in der Ukraine weiter zu. Moskau galt in der Region bisher als Sicherheitsgarant und hat den zentralasiatischen Republiken beim Grenzschutz und dem Ausbau ihrer Antiterrorkapazitäten geholfen. Allerdings wurden die militärischen Ressourcen Russlands bereits vor dem Angriff auf die Ukraine, u. a. durch Einsätze in Berg-Karabach, Belarus und Syrien, stark beansprucht. Schließlich hat der Kreml nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine eine schlechte Bilanz, was Sicherheitsverpflichtungen gegenüber den eigenen Verbündeten in der Region angeht. Drei Monate nach dem Angriff hat sich der Fokus des Kreml nahezu gänzlich auf Kiew verlagert, was in den zentralasiatischen Hauptstädten Zweifel hervorruft, ob Moskau überhaupt zur Bereitstellung militärischer Unterstützung in der Lage wäre, wenn sich Kämpfer aus Afghanistan dazu entscheiden sollten, die Grenze zu überqueren und Angriffe in der Region zu verüben. Bisher hat Russland in der Ukraine unerwartet hohe Verluste erlitten und es wird immer deutlicher, dass der Zustand der russischen Truppen bei weitem nicht so gut ist, wie viele, insbesondere die russische Führung selbst, zuvor gedacht hatten. Was die Regierungen Zentralasiens an Vertrauen in die Stärke des russischen Militärs besaßen, wurde durch die jüngsten Entwicklungen zweifelsfrei erschüttert. Auch das könnte denjenigen in die Hände spielen, die an einer Destabilisierung Zentralasiens interessiert sind.

Steigende politische Volatilität

Ein zweites Sicherheitsrisiko, das aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine und seinen wirtschaftlichen Folgen für Zentralasien erwächst, ist die erhöhte politische Volatilität in der Region, die sich in zunehmenden Protesten und gewalttätigen Unruhen äußern könnte. Eine derartige Destabilisierung wird nicht auf eine einzige Ursache zurückführbar sein, sondern als Kombination wirtschaftlicher Unsicherheit, Korruption, interethnischer Spannungen und autoritärer Regierungsführung auftreten, die neue Unruhen hervorruft.

Wirtschaftliche Not erzeugt politische Spannungen, verstärkt Empfindungen von Ungerechtigkeit und führt zu sozialer Deprivation. Es besteht ein breiter Konsens über die Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen auf politische Polarisierungsprozesse und verschiedene Arten von gewalttätigem und »abweichendem« Verhalten, zum Beispiel in Form von Kriminalität. Da Wirtschaftskrisen menschengemachte Katastrophen sind, geben die Bürger:innen oft ihren Regierungen die Schuld dafür, sie nicht verhindert oder nicht angemessen auf sie reagiert zu haben. Aus Unmut über die staatliche Politik hervorgerufene Entfremdungsgefühle sind inner- und außerhalb Zentralasiens eine beständige Quelle von Protesten und Gewalt. Auch langanhaltende Phasen wirtschaftlicher Rezession haben in der Vergangenheit politische Unruhen ausgelöst.

Die Unruhen in Kasachstan im Januar 2022, die in der Stadt Schangaösen begannen, wurden durch eine Erhöhung der Preise für Flüssiggas (LPG, Liquified Petroleum Gas) ausgelöst. Es war nicht das erste Mal, dass die unter geringer Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen leidenden Angestellten vor Ort streikten. Der Sturz Dscheenbekows in Kirgistan im Herbst 2020 hing mit einem verbreiteten Unmut in der Bevölkerung über seine unfähige und korrupte Regierung zusammen, die es nicht geschafft hatte, ihre wirtschaftlichen Versprechen zu erfüllen. Bereits zuvor waren die Staatsoberhäupter anderer zentralasiatischer Länder mit einer ähnlichen Unzufriedenheit konfrontiert, weshalb die Behörden versuchen, öffentlichen Widerspruch, oppositionelle Stimmungen und die offene Zurschaustellung von Religion einzudämmen. Selbst in Usbekistan, wo es selten zu Protesten kommt, hat die Unzufriedenheit der Menschen über Engpässe bei der Stromversorgung wiederholt zu Unruhen geführt.

In Zentralasien, wo Moskaus Aggression sowohl glühende Unterstützer:innen als auch Gegner:innen findet, hat der Krieg in der Ukraine teilweise zu verstärkten Protesten geführt. Unabhängig von ihrer Haltung zum Krieg haben sowohl die Bürger:innen als auch die politischen Führungen der zentralasiatischen Republiken genug von ihrer fortwährenden Abhängigkeit von Russland mit Hinblick auf Exportmöglichkeiten, Sicherheitsgarantien und Zugang zu Arbeitsmärkten. Diese Abhängigkeit macht sie anfällig für die Folgen des russischen Handelns und westliche Sanktionen. Die Regierungen in der Region versuchen einen schwierigen Drahtseilakt zu vollführen und weder den Kreml noch den Westen zu verärgern. Die Kompromisse, um die sie sich fortwährend bemühen, könnten von ihrer eigenen Bevölkerung womöglich als unbefriedigend wahrgenommen werden.

Fazit

Zentralasien grenzt an vier Länder, von denen drei – Iran, Afghanistan und Russland – vom Westen mit Sanktionen belegt wurden. Für die Region spielen jedoch die gegen Russland verhängten Sanktionen eine weitaus größere Rolle als die Sanktionen gegen den Iran oder Afghanistan, da viele zentralasiatische Staaten durch Handelsbeziehungen und Remissenzahlungen eng mit Moskau verbunden sind. Bisher galt Russland für die zentralasiatischen Republiken als eine Quelle von Stabilität und Sicherheit, deren Regierungen nicht gewillt sind, ihre Staaten zu demokratisieren, und weiter damit hadern, den wiederauflebenden Islam in ihre säkularen politischen Systeme zu integrieren. Die wirtschaftlichen Herausforderungen, vor die Zentralasien als Ergebnis der westlichen Sanktionen gegen Russland gestellt ist, werden die bereits bestehenden sozialen Risse in der Region weiter vertiefen und zu Instabilität beitragen. Die Kombination aus Instabilität und der Existenz extremistischer Gruppen in der Region und Afghanistan könnte sich als Nährboden für eine langfristige Gefährdung der Sicherheit Zentralasiens herausstellen.

Aus dem Englischen von Armin Wolking

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