Laut dem Weltklimarat der UN ist Zentralasien eine der Weltregionen, die am schwerwiegendsten von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein wird. Zentralasien erwärmt sich bereits jetzt schneller als der weltweite Durchschnitt, was sich unter anderem in einer raschen Zunahme von Aridisierung, Desertifikation und Bodendegradierung in der Region zeigt. In der Folge steigt die Vulnerabilität in Bereichen wie Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Energie- und Wasserversorgung, Gesundheit, Luftqualität sowie Transport und Mobilität (Daloz 2023). Im Juli sah sich der Präsident Kirgistans dazu gezwungen, einen dreijährigen Notstand im Energiesektor zu verhängen, da die nationale Stromversorgung aufgrund eines dramatisch niedrigen Pegelstandes im größten Wasserkraftwerk des Landes kurz vor dem Kollaps stand. Im kasachstanischen Gebiet Mangystau wurde im Juni der Notstand ausgerufen, nachdem der Wasserstand des Kaspischen Meeres einen für die Schifffahrt kritischen Pegel unterschritten hatte. Afghanistan gehört weltweit sogar zu jenen Ländern, in denen der Klimawandel mit einer seit drei Jahren andauernden Dürre bereits das Ausmaß einer humanitären Katastrophe annimmt (IRC 2023), während durch Starkregen ausgelöste Überflutungen u. a. in Kabul und Maidan Wardak im Juli mindestens 31 Menschen das Leben gekostet haben. Zur Abmilderung der auch durch westliche Sanktionen verschärften Ernährungsunsicherheit haben die seit 2021 regierenden Taliban den Bau des Kusch-Tepa-Kanals in Nordafghanistan wiederaufgenommen, der durch eine jährliche Abzweigung von bis 15 % der Wassermenge vom Amu Darja wiederum zu Wassermangel in Usbekistan und Turkmenistan führen und die dortige Landwirtschaft gefährden könnte (Pannier 2023).
Trotz der eigentlich gebotenen Dringlichkeit sind der Klimawandel, seine Auswirkungen und die Frage, wie ihm die Menschen in der Region begegnen, eine der am wenigsten erforschten Thematiken im Feld der Zentralasienstudien (Vakulchuk et al. 2023). Diese klaffende Lücke in der Wissenschaft macht es daher umso notwendiger, dass sich Experten zum Zweck der Kooperation vernetzen, um das verfügbare Wissen zu bündeln und zur Entwicklung von innovativen und inklusiven Lösungen für eine erfolgreiche Energiewende auf nachhaltiger und sozialer Basis nutzbar zu machen. Genau darum ging es schließlich bei der eintägigen Konferenz »Energy transition, Sustainability and Inclusive Development in Central Asia«, die am 20. Juni 2023 im Global Village Berlin stattfand und vom Nachhaltigkeits-Think-Tank SPCE Hub, dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) und der Intersectoral School of Governance Baden-Württemberg (IsoG BW) organisiert wurde. Die Konferenz bildete den Abschluss einer zehntägigen Studienreise von Nachhaltigkeitsexperten aus Zentralasien, die u. a. Living Labs zur Energiewende in Deutschland besucht haben. Während der zwei Podien zu den Themen »Energie und Energiewende in Zentralasien« und »Nachhaltigkeit, Inklusion und Partizipation« stellten sich die Diskussionsteilnehmer aus Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Deutschland schließlich gemeinsam der zentralen Frage, unter welchen Bedingungen gegenseitiges Lernen und der Austausch von Wissen und Erfahrung am besten in wirkungsvolle Energie- und Nachhaltigkeitsprojekte übersetzt werden können.
Nach einer Einführung von SPCE-Hub-Mitbegründer Sebastian Schiek diskutierten ZOiS-Zentralasienexpertin Beate Eschment und Aijan Sharshenova vom Think Tank Crossroads Central Asia (Bischkek) aktuelle politische Trends in Zentralasien. Sharshenova beobachtet wie Russlands Angriffskrieg in der Ukraine die westliche Wahrnehmung von Zentralasien verändert hat und die Region aufgrund ihrer geographischen Lage zwischen China und Europa und ihrer Fülle an fossilen wie alternativen Energiequellen zuletzt vermehrt in den Fokus westlicher Interessen gerückt ist. Für die Menschen in Zentralasien sei der Klimawandel bittere Erfahrungsrealität, die sich in der Erosion landwirtschaftlicher Lebensgrundlagen und der Zunahme von sozioökonomischer Unsicherheit manifestiert. Auf soziale Unzufriedenheit reagieren die herrschenden Regime mit autoritärer Repression, weshalb im Gegenzug das Gewaltpotential von Protesten zunimmt. In hochgepriesenen Reformprogrammen der Präsidenten von Kasachstan und Usbekistan erkennt Sharshenova lediglich »nationales Rebranding«, unter dem aber kein tatsächlicher Wandel stattfindet. In Fragen der Zusammenarbeit zwischen Europa und Zentralasien sollte das Ziel schließlich die Etablierung von Partnerschaften auf Augenhöhe sein.
Im Rahmen des ersten Podiums zum Thema »Energie und Energiewende in Zentralasien« diskutierten Bahtiyor Eshchanov, Energieökonom an der Internationalen Landwirtschaftsuniversität Taschkent, Alexey Kobzev von der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty, die QazaqGreen-Vorstandsvorsitzende Ainur Sospanova und Yana Zabanova vom Potsdamer Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) Stand und Perspektiven der Energiewende in Zentralasien. Moderiert wurde die Diskussion von ZOiS-Wissenschaftlerin Beril Ocakli. Vor allem Kasachstan und Usbekistan stehen vor der Herausforderung, von einem kohlenwasserstoffzentrierten Wirtschafts- und Wachstumsmodell, das auf dem Export von fossilen Energieträgern basiert, zu einer flächendeckenden Green Economy mit erneuerbaren Energien als Grundlage überzugehen. Im Angesicht von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum sowie schrumpfenden Reserven oder stagnierenden Förderkapazitäten werden sich beide Länder zwischen 2024 und 2026 von Nettoexporteuren in Nettoimporteure von Erdgas verwandeln. Usbekistan hat im Oktober mit dem Import von Erdgas aus Russland begonnen, um den immer schneller wachsenden Bedarf auf dem Binnenmarkt abdecken und gleichzeitig eigene Exportverpflichtungen gegenüber China weiterbedienen zu können. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Umstieg auf Green Economy immer weniger als lediglich anzustrebende Option denn als wirtschaftlicher Sachzwang dar, unter dem Erdgas nur noch die Rolle einer Brückentechnologie zukommen kann.
Dabei ist bisher nicht abzusehen, wie Kasachstan und Usbekistan der massiven Herausforderung begegnen werden, die das über Jahrzehnte etablierte Modell einer kohlenwasserstoffzentrierten Wirtschaft für den grünen Wandel darstellt. Auch ist schwer zu antizipieren, wie sich die für den grünen Wandel notwendige Diversifizierung der Wirtschaft auf die Beziehungen zwischen beiden Staaten auswirken wird. Im Dezember 2021 haben die Präsidenten beider Länder die strategische Partnerschaft offiziell auf das Niveau eines Bündnisses gehoben und damit einen neuen Maßstab für die regionale Zusammenarbeit im bilateralen Format definiert. Der Übergang zu erneuerbaren Energien, der bedeutende Investitionen und Technologietransfers voraussetzt, könnte gleichermaßen den innerregionalen Wettbewerb verstärken als auch ein Kooperationsfeld eröffnen, um die neue Allianz mit Inhalt und gemeinsamer Agenda zu füllen. So vermag Usbekistan das große Potential zur Erzeugung von sauberer Energie bisher nur langsam umsetzen, da der grüne Wandel dort vor allem staatlich implementiert wird und es bisher auch keinen Plan für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gibt. Derweil hat Kasachstan bereits 2017 ein Konzept vorgelegt, um mehr Privatinvestitionen für den Ausbau erneuerbarer Energien anzuziehen, u. a. durch »grüne Anleihen« und die Einführung eines Systems für elektronische Auktionen. Dem Mangel an heimischen Akteuren für den Aufbau von Kapazitäten in Usbekistan können vor allem internationale Finanzakteure mit der Stärkung des usbekischen Privatsektors entgegenwirken. Ein weiteres Problem besteht darin, dass es in Zentralasien bisher zu wenig Studenten im Feld der erneuerbaren Energien gibt, dem mit mehr Studienangeboten und -anreizen Abhilfe verschafft werden könnte. Zuletzt wurde auf dem Podium betont, dass Zentralasien das »fehlende Verbindungsstück« für den grünen Wandel im weiteren Eurasien ist, nachdem die Region seltene Erden und andere Mineralien liefern kann und gleichzeitig das Potential aufweist, zum zentralen Knotenpunkt für die Bereitstellung von grünem Wasserstoff zu werden. Während ihres Besuches in Astana im Oktober 2022 hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schließlich die Eröffnung eines »Wasserstoffdiplomatiebüros« angekündigt, das den geplanten Handel mit diesem zukunftsträchtigen Energieträger zwischen Kasachstan und Deutschland organisieren soll.
Im Rahmen des zweiten und letzten Podiums zum Thema »Nachhaltigkeit, Inklusion und Partizipation« diskutierten Henryk Alff von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Kubatbek Muktarbek uulu von der Technischen Universität Bischkek, Ainura Sagynova, Gründerin von TAZAR, einer Initiative zur Abfallverringerung in Kirgistan, sowie Nadira Rakhimova von Tech4Impact, einer im Feld grüne Innovationen und weibliches Unternehmertum tätigen NGO in Usbekistan. Moderiert wurde die Diskussion von Sebastian Schiek. Als zentrale Herausforderungen für eine nachhaltige und inklusive Entwicklung wurden das Problem der Finanzierung und die Schwierigkeit der »Hochskalierung« von erfolgreichen Projekten identifiziert. Diese sind mittlerweile zahlreich und erstrecken sich allein in Usbekistan und Kirgistan über Bereiche wie Abfallentsorgung und –Wiederverwertung, die Förderung von weiblichem Unternehmertum oder den Ausbau von Radinfrastruktur in Bischkek, um Radfahren gleichzeitig sicherer und attraktiver zu machen. Laut Kubatbek Muktarbek uulu verdeutlicht die »Radfrage« sinnbildlich die Notwendigkeit, nationale Verkehrsstandards zu entwickeln, die auf die spezifische Verkehrssituation in Kirgistan zugeschnitten sind; die bloße Übernahme von deutschen Verkehrsstandards in den kirgisischen Kontext reiche nicht aus. Ainura Sagynova hat wiederum auf die inhärente Multidimensionalität von inklusiven Entwicklungsansätzen hingewiesen. So konnten für die Verbreitung und Beschleunigung des erfolgreichen Abfallentsorgungsprojektes ihrer Initiative TAZAR religiöse Autoritäten wie Imame von Moscheen als »Multiplizierer« gewonnen werden. Das Beispiel verdeutliche einmal mehr, dass innovative Ideen und Ansätze für grünen Wandel und nachhaltige Entwicklung am besten dann entfaltet werden können, wenn sich Akteure aus unterschiedlichen Bereichen wie Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik vernetzen. Die Konferenz hat dafür einen zentralen Beitrag geleistet.
Richard Schmidt, Redakteur der Zentralasien-Analysen