Einleitung
Auch im Jahr 2024 setzt sich der Trend zur mannigfaltigen Unsicherheit im globalen Maßstab fort. Die Kriege u. a. in der Ukraine, im Gazastreifen und Sudan dauern ohne Aussicht auf Frieden an, während die geopolitischen Spannungen um Taiwan und im südchinesischen Meer weiter zunehmen. Unterdessen spitzten sich die Klimakrise und die Migrationskrise in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zu. Im Kontext dieser Entwicklungen rücken Fragen der Energiesicherheit und der Kontrolle über Lieferketten ins Zentrum der Strategien von staatlichen und internationalen Akteuren.
Mit seiner geographischen Lage im Herzen Eurasiens ist Usbekistan eines der Länder, die am stärksten mit diesen Fragen konfrontiert sind und gleichzeitig die rapide Neukonfiguration der geopolitischen Verhältnisse auf der Welt navigieren müssen. Ein unweigerlicher Teil dieser Neukonfiguration ist der Aufstieg Asiens zum Hauptwachstumsmotor der Weltwirtschaft und Stichwortgeber in Sachen technologischer Entwicklung und Innovation. Russlands Hinwendung nach Osten seit der Krim-Annexion 2014 ist mit der umfassenden Invasion in die Ukraine 2022 in eine Phase der wirtschaftlichen Absorbierung durch China übergegangen, was den tiefgreifenden Wandel der globalen Machtverhältnisse unterstreicht. In diesem Kontext des globalen geopolitischen Wandels konvergieren die Interessen der zentralasiatischen Staaten bei der Schaffung eines regionalen Binnenmarktes, der Umsetzung von Maßnahmen für den Klimaschutz, einer flächendeckenden Umstellung auf Green Economy sowie des Ausbaus der Transportrouten von Ost nach West und Nord nach Süd.
Sich seiner dafür zentralen Bedeutung bewusst, ist Usbekistan mittlerweile der wichtigste Akteur für die multilaterale Harmonisierung zentralasiatischer Ziele und die Förderung von regionaler Zusammenarbeit zugunsten geteilter Interessen. Vor dem Hintergrund dieser präzedenzlosen Behauptung der regionalen Autonomie und Souveränität Zentralasiens, hat Präsident Schawkat Mirsijojew Ende 2023 sein Ziel verkündet, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2030 und in Einklang mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung und dem Übereinkommen von Paris auf 160 Mrd. US-Dollar zu verdoppeln. Dabei hat Mirsijojew anerkannt, dass sowohl eine verbesserte Energieeffizienz als auch eine Reduzierung der CO2-Emissionen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Abmilderung der Folgen des Klimawandels unerlässlich sind. Allerdings stellt die fortdauernde Abhängigkeit der usbekischen Wirtschaft von Erdgas diese Ambitionen vor gewaltige Herausforderungen. Auch baut Taschkent aktuell mit Moskau die Energiekooperation in den Bereichen Erdgas und Atomkraft aus, was zwar kurzfristig die Energiesicherheit verbessern kann, langfristig jedoch eine Gefahr für die strategische Autonomie und Energiesouveränität des Landes darstellt. Daher ist es für Taschkent absolut notwendig, veraltete Infrastruktur zu ersetzen, nachhaltigkeitsschädliche Subventionen zu beseitigen, staatliche Unternehmen zu reformieren und einen regulatorischen Rahmen für Investitionen zu schaffen, durch den in großem Maßstab Privatkapital mobilisiert werden kann. Schließlich liegt im weiteren Ausbau der regionalen Zusammenarbeit im Wasser- und Energiebereich der Schlüssel für langfristiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum in ganz Zentralasien.
Die wirtschaftliche Strategie bis 2030
Am 21. Februar 2024 erließ Präsident Mirsijojew das Dekret »Über die Umsetzung der Strategie Usbekistan 2030« (im Weiteren: die Strategie). Die Kernziele dieser Strategie umfassen u. a. den staatlichen Rückzug aus der Wirtschaft, eine Steigerung der Investitionen, den Übergang zu einer flächendeckenden Green Economy und den Ausbau der Infrastruktur, um das Land stärker in die globale Wirtschaft zu integrieren. Die Strategie erklärt außerdem das ambitionierte Ziel eines jährlichen BIP von 4.000 US-Dollar pro Kopf bzw. von insgesamt 160 Milliarden US-Dollar bis zum Ende des Jahrzehnts. Zur Realisierung dieser Ziele wird das Land in den kommenden sieben Jahren demnach Investitionen von mindestens 250 Milliarden US-Dollar benötigen, von denen mindestens 110 Mrd. US-Dollar auf ausländische Direktinvestitionen (FDI) entfallen sollen. Um die Anziehung dieser beachtlichen Investitionssumme zu gewährleisten, soll die makroökonomische Stabilität des Landes durch eine Reihe von Maßnahmen weiter konsolidiert werden, u. a. durch die strikte Begrenzung der Inflation bei maximal neun Prozent und der Begrenzung des Haushaltsdefizites bei maximal vier Prozent vom BIP. Gleichzeitig soll der Leitzins von zuletzt 23,2 Prozent langfristig auf zwei bis drei Prozent gesenkt werden. Zur Bewerkstelligung von diesem Ziel sollen wiederum die weitere Abwertung der nationalen Währung gebremst, Gebühren angehoben und Subventionen reduziert werden. Der bereits geltende Grenzwert für externe öffentliche Schulden von 60 Prozent des BIP wird beibehalten, während gleichzeitig dauerhaft eine große Reserve in ausländischen Währungen gehalten werden soll.
Neben den Zielen definiert die Strategie folgende wirtschaftliche Prioritäten: die Steigerung der Erzeugung von grünem Strom durch flächendeckende Nutzung erneuerbarer Energien; eine Reform der Stromtarife; die Schaffung einer Energieaufsichtsbehörde; die Verabschiedung eines einheitlichen Gesamtkonzeptes für die Strominfrastruktur und zur Regelung für die Nutzung von Übertragungs- und Verteilerleitungen; die Liberalisierung des Gasmarktes; sowie die Ausgabe von grünen Zertifikaten und die Schaffung eines Marktes für den Handel mit CO2-Emissionsgutschriften. Gleichzeitig soll die Entwicklung der Landwirtschaft gefördert und die landwirtschaftliche Nutzung von Wasserressourcen verbessert bzw. rationalisiert werden. Dafür sollen weitere Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels umgesetzt, Bewässerungssysteme modernisiert und Instrumente zur Messung des Wasserverbrauches installiert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Ausbau von Verkehrsinfrastruktur durch öffentlich-private Partnerschaften (PPP) zur Verbesserung der inländischen sowie innerregionalen Konnektivität. Auch soll im Rahmen einer umfassenden Dekarbonisierung der Wirtschaft durch die Einführung von »grünen Hypotheken« privates Kapital freigesetzt werden, während neue Bauvorschriften die Energieeffizienz von Neubauten gewährleisten sollen. Das Investitionsklima soll verbessert, die Ausfuhren durch Schaffung neuer Industriezonen erhöht, der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt gestärkt, der Zugang zu externen Märkten erleichtert, staatliche Unternehmen schrittweise privatisiert, sowie der Kapitalmarkt langfristig weiterentwickelt werden.
Die aktuelle wirtschaftliche Situation seit 2023 und die wirtschaftlichen Prognosen für 2024
Das reale BIP-Wachstum stieg von 5,7 Prozent im Jahr 2022 auf 6,0 Prozent im Jahr 2023 und fiel damit aufgrund der Zunahme industrieller Produktion und trotz des wirtschaftlichen Schocks nach dem russischen Überfall auf die Ukraine höher als erwartet aus. Das Wachstum des Dienstleistungssektors verlangsamte sich allerdings von 8,5 auf 6,8 Prozent, was vor allem am inflationsbedingten Rückgang des privaten Konsums lag, dessen Wachstumsrate von 11,0 auf 6,3 Prozent zurückging. Auch hat sich der Einbruch von Rücküberweisungen usbekischer Arbeitsmigranten aus dem Ausland 2023 negativ auf die realen Einkommen der Haushalte ausgewirkt. Die gesamtwirtschaftlichen Umsätze im Zusammenhang mit Rücküberweisungen aus dem Ausland sind weiterhin höher als jene Umsätze, die durch Konsumausgaben von Privateinkommen aus beruflichen Tätigkeiten in der heimischen Industrie generiert werden.
Für das Jahr 2024 wird ein Rückgang des BIP-Wachstums auf 5,5 Prozent prognostiziert, da der Anstieg der subventionierten Energiepreise die real verfügbaren Haushaltseinkommen verringert und damit die Binnennachfrage drückt. Trotz der Anpassung von öffentlichen Gehältern und Pensionen zur Abfederung der Inflation, wird das Wachstum des privaten Konsums voraussichtlich auf 5,0 Prozent zurückgehen. Das industrielle Wachstum für das Jahr 2024 wird auf sechs Prozent geschätzt, während für den Dienstleistungssektor ein Rückgang des Wachstums auf 5,5 Prozent prognostiziert wird. Aufgrund der zunehmenden Wasserknappheit wird sich das Wachstum der Landwirtschaft schätzungsweise weiter, auf 3,5 Prozent, verlangsamen. Ungeachtet der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums sind umfangreiche Investitionen in das Gesundheitswesen, in die urbane Infrastruktur und den Ausbau von Industrieanlagen geplant. Daher werden die öffentlichen und privaten Investitionen 2024 voraussichtlich um acht Prozent zunehmen, wobei eine Zunahme der angezogenen FDI um zehn Prozent erwartet wird.
Die Inflation ist im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr von 11,4 Prozent auf 10,0 Prozent zurückgegangen. Im März 2023 senkte die Zentralbank ihren Leitzins um nur 100 Basispunkte bzw. einen Prozentpunkt auf 23,2 Prozent. Für Lebensmittel ging die Inflation zwar von 15,3 auf 12,1 Prozent zurück, nahm für Dienstleistungen jedoch von 7,0 auf 8,2 Prozent zu. Laut der aktuellen Prognosen wird die Inflation 2024 aufgrund des Anstiegs der subventionierten Energiepreise im Vergleich zum Vorjahr bei 10,0 Prozent verharren. Vor diesem Hintergrund bleibt die Zentralbank hinsichtlich einer weiteren Lockerung der Zinssätze zurückhaltend, da der Bekämpfung der Inflation weiterhin Priorität eingeräumt wird, um Unternehmen die größtmögliche Sicherheit bei der Planung und Kalkulation in der nationalen Währung zu gewährleisten. Auch besteht angesichts einer möglichen Eskalation der aktuellen globalen Konflikte die Gefahr, dass sich die Inflation im Inland weiter verschärft, während sich gleichzeitig die externen finanziellen Bedingungen verschlechtern. Das würde nicht nur zu höheren Kosten für die externe Kreditaufnahme bei internationalen Finanzinstitutionen führen und die Umsetzung von kapitalintensiven Projekten verteuern, sondern auch die Eventualverbindlichkeiten von staatlichen Unternehmen und PPP erhöhen und das wiederum die fiskalische Tragfähigkeit des staatlichen Haushaltes und das Wirtschaftswachstum gefährden.
Die Steuereinnahmen stiegen von 29,7 Prozent des BIP im Jahr 2022 auf geschätzte 33,0 Prozent im Jahr 2023 und stabile Preise für den Export von Gold und Kupfer aus der Produktion staatlicher Unternehmen gewährleisteten stete Haushaltseinnahmen. Da die nationalen Ausgaben schneller als die staatlichen Einnahmen wuchsen, vergrößerte sich das Haushaltsdefizit jedoch von 3,9 Prozent des BIP im Jahr 2022 auf 5,5 Prozent des BIP im Jahr 2023. Die staatlichen Ausgaben stiegen dabei von 33,9 Prozent des BIP im Jahr 2022 auf geschätzte 38,5 Prozent des BIP im Jahr 2023. Diese Zunahme der staatlichen Ausgaben ist Resultat der Erhöhungen bei den Sozialausgaben, den öffentlichen Gehältern und den Renten, als auch den höheren Subventionen für staatliche Unternehmen.
Das gestiegene Haushaltsdefizit wurde über Auslandskredite finanziert, wodurch auch die staatliche Auslandsverschuldung von 36,4 Prozent des BIP auf 37,7 Prozent im Dezember 2023 anwuchs. Die aus dem Ressourcenexport resultierenden hohen Devisenreserven mildern die Risiken ab, die sich aus den in Fremdwährungen aufgenommenen Auslandsschulden ergeben. Die Devisenreserven bleiben weitgehend stabil: Sie sanken von 35,8 Milliarden US-Dollar Ende 2022 nur leicht auf 35,6 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023. Für das Jahr 2024 wird aufgrund gewachsener Goldreserven ein Anstieg der Devisenreserven auf 36 Milliarden US-Dollar erwartet, was die Importe für elf Monate absichern würde.
Beobachter erwarten, dass die Regierung das Haushaltsdefizit 2024 wieder unter 4,0 Prozent drücken möchte und dafür die Energiesubventionen und die Förderung für staatliche Unternehmen zurückfahren, zahlreiche Steuervergünstigungen abschaffen und eine Feinabstimmung der staatlichen Sozialleistungen für deren gezieltere Verteilung vornehmen wird. Allerdings machen die aktuellen Strukturreformen und die steigenden Sozialausgaben das anvisierte Ziel beim Haushaltsdefizit ebenso zur Herausforderung, wie die hohen Ausgaben für kapitalintensive Projekte und das Bildungs- und Gesundheitswesen. Um die Gesamtauslandsverschuldung unter 60 Prozent des BIP zu halten, hat die Regierung 2024 eine Obergrenze von fünf Milliarden US-Dollar für die Aufnahme von Auslandskrediten festgelegt, wobei die staatliche Auslandsverschuldung 2024 wohl weiterhin bei rund 37 Prozent liegen wird. Die Ratingagentur Fitch hat im Februar 2024 bekanntgegeben, dass Usbekistans langfristiges Emittentenausfallrating in Fremdwährung weiterhin mit BB mit stabilen Aussichten bewertet wird. Der entscheidende Faktor zur Bewahrung des Vertrauens von Investoren wird die Fähigkeit der Regierung sein, den Eventualverbindlichkeiten im Zusammenhang mit PPP-Projekten – deren Zahl und Größe in den Bereichen Energie und Infrastruktur erheblich zunehmen soll – langfristig nachzukommen.
Einer der wichtigsten Faktoren für die usbekische Wirtschaft bleibt Russland, wobei Usbekistans Handel mit Russland über 15 Prozent des gesamten usbekischen Außenhandels ausmacht. Russland ist weiterhin ein wichtiges Zielland für usbekische Arbeitsmigranten und ein wichtiger Absatzmarkt für usbekische Textilien und Agrarprodukte. 2023 nahmen die Importe aus Russland um 5,4 Prozent zu, während die usbekischen Exporte um 4,9 Prozent anstiegen. Die Wirtschaft Russlands hat sich den Sanktionen gegenüber bislang als widerstandsfähig erwiesen: Das russische BIP wächst um 3,6 Prozent und die Arbeitslosigkeit ging 2023 auf 2,9 Prozent zurück. Die Nachfrage in Russland nach Arbeitskräften aus Zentralasien bleibt zwar hoch, doch aufgrund der Rubel-Entwertung sind die Rücküberweisungen nach Usbekistan 2023 auf 17,7 Prozent des usbekischen BIP zurückgegangen, obwohl die Zahl usbekischer Arbeitsmigranten in Russland weiter anstieg. Der Rückgang der Rücküberweisungen hat maßgeblich zum Leistungsbilanzdefizit von 14,3 Prozent des BIP beigetragen. Zwar resultierten die hohen Goldpreise in einer Steigerung der Exporteinnahmen, aufgrund der Nachfrage der Industrie nach Kapitalgütern schnellten jedoch auch die Importe um 24 Prozent hoch. Für 2024 wird das Leistungsbilanzdefizit auf fünf Prozent des BIP geschätzt. Hierbei ist eine leichte Unschärfe der geschätzten Zahl zu berücksichtigen, da abnehmende Rücküberweisungen aus Russland zwar das Leistungsbilanzdefizit erhöhen, importierte Industriegüter jedoch als Rechnungsabgrenzungsposten mit späterem Kapitalertrag betrachtet werden können.
Angesichts der relativen wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland stellt die mögliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Russland ein Risiko für Usbekistans eigene wirtschaftliche Entwicklung dar. Allerdings nimmt Usbekistans relative wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland im Kontext der außenpolitischen Diversifizierung von Handels- und wirtschaftlichen Partnern ab. So hat 2023 China Russland als Usbekistans wichtigsten Handelspartner abgelöst, wobei der Handel mit China über 21 Prozent des gesamten usbekischen Außenhandelsvolumens ausmacht. Beide Länder streben eine erhebliche Steigerung des bilateralen Handelsvolumens von 14 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023 auf 20 Milliarden US-Dollar für 2024 an. Erst im Januar 2024 haben die Präsidenten beider Länder eine »Neue Ära« in der bilateralen Zusammenarbeit verkündet und die Beziehungen auf das Niveau einer »All-Weather Comprehensive Strategic Partnership« gehoben. Darüber hinaus verstärkt Usbekistan massiv seine Beziehungen zu den Golfstaaten. Beim zweiten Außenministertreffen für den strategischen Dialog zwischen den zentralasiatischen Staaten und dem Golfkooperationsrat in Taschkent im April wurde der »Gemeinsame Aktionsplan für die Jahre 2023 bis 2027« bekräftigt, der einen massiven Ausbau der interregionalen Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Transport und Energie vorsieht. Auch entwickelt Usbekistan vor dem Hintergrund des anvisierten aber weiterhin ausstehenden Beitritts zur Welthandelsorganisation (WTO) aktuell eine nationale Exportstrategie. Auf der innerregionalen Ebene haben Usbekistan und Kasachstan im Juni 2024 ihre Absicht erklärt, alle Handelsbarrieren zwischen den beiden Ländern zu beseitigen und den bilateralen Handel über die nächsten Jahre auf über zehn Mrd. US-Dollar zu verdoppeln.
Die Rolle der internationalen und regionalen Kooperation für den steinigen Weg zum grünen Wandel
Die usbekische Regierung will, wie bereits erwähnt, nicht nur das BIP bis 2030 verdoppeln, sondern dies vor allem auf eine nachhaltige Weise und in Einklang mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Abkommen vollbringen. Dafür sollen gleichzeitig Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels hoch- und die Emissionsintensität des BIP runtergeschraubt werden. Im Rahmen des Pariser Abkommens will Usbekistan bis 2030 mindestens 40 Prozent des Stroms mithilfe erneuerbarer Energien produzieren und die Treibhausgasemissionen auf 30 Prozent pro BIP-Einheit reduzieren (gemessen am Ausgangswert von 2010). Bis 2050 soll das Land vollständig klimaneutral sein. Zur Umsetzung dieser Ziele hat die Regierung bereits 2022 einen »Aktionsplan für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft« verabschiedet. Zwar werden durch den Einsatz erneuerbarer Energien bereits jetzt Fortschritte bei der Diversifizierung der Stromerzeugung gemacht, allerdings entfällt noch immer über 80 Prozent der verbrauchten Energie, entweder direkt oder mittelbar durch Stromerzeugung, auf Erdgas. Die Herausforderungen bei der Reform des Energiesektors werden durch die überwiegend veraltete Infrastruktur, das Andauern nicht nachhaltiger Subventionen und die beträchtlichen Schwankungen bei der Energienachfrage weiter verschärft. In den letzten Jahren war Usbekistan während der Wintermonate von massiven Stromengpässen betroffen, was die Einleitung von Reformen und die Erhöhung von Stromtarifen unabdingbar gemacht hat. Im Oktober 2023 wurden zuerst die Strompreise für Unternehmen und für Privathaushalte anschließend im Mai 2024 erhöht, was der Regierung auch eine teilweise Reduzierung der Subventionen ermöglicht hat. Laut Plan soll bis Ende 2024 eine einheitliche Plattform für den Stromhandel eingeführt werden und der Strommarkt bis 2026 vollständig liberalisiert sein.
Die Reduzierung der CO2-Emissionen ist keine Frage im Vakuum, losgelöst von der Notwendigkeit, die Verbraucher heute und zu erschwinglichen Preisen mit Energie zu versorgen. Längst nicht alle bestehenden Instrumente für die Energiewende – erneuerbare Energien, »grüner« Wasserstoff, neue Atomkraftwerke, Modernisierung der Übertragungsnetze, Nachfragesteuerung – sind gleichermaßen verfügbar. Schließlich variieren die Ressourcengrundlage, die Kosten, der Einfluss politischer Entscheidungen und deren Implikationen für die jeweilige Anwendung dieser Instrumente von Land zu Land. Die Entscheidung, welche Energiequelle wann und wo zu fördern wäre, ist keine binäre; sie verlangt zahlreiche Kompromisslösungen und gelegentlich eine dezidierte Vermittlung an die Öffentlichkeit seitens der Politik. In Zentralasien ist dieser Sachverhalt besonders für die Frage nach der Nutzung von Atomkraft relevant. Im Mai dieses Jahres hat Präsident Mirsijojew schließlich den Bau eines Atomkraftwerks im Gebiet Dschissach angekündigt, das aus sechs Reaktoren mit jeweils 55 Megawatt (MW) Leistung bestehen soll. Die Ankündigung für die Vergabe des Auftrags an den russischen Atomkonzern Rosatom fiel mit dem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Taschkent zusammen. Kasachstan war anscheinend nicht in diese Pläne eingeweiht und hat sich über die Ankündigung offen verwundert gezeigt; Usbekistan hatte das Projekt vorher nicht angekündigt, weshalb es mit Kasachstan auch keinen Austausch über die Implikationen für das geteilte Stromnetz der beiden Länder gab. Bereits 2018 hatten sich die usbekische Atombehörde UzAtom und Rosatom auf den Bau von zwei Atomkraftwerken mit einer Leistung von jeweils 1.200 MW verständigt, wobei der Baubeginn bis heute verzögert ist.
Neben dem Ausbau der Atomkraft nimmt Usbekistans Abhängigkeit von Russland noch in einem anderen Energiebereich zu. Aufgrund erschöpfter Lagerstätten und veralteter Infrastruktur hat Usbekistan seit 2022 einen dramatischen Rückgang der einheimischen Gasproduktion erlebt. Um den immer schneller wachsenden Bedarf auf dem Binnenmarkt abdecken und gleichzeitig eigene Exportverpflichtungen gegenüber China weiterbedienen zu können, begann Usbekistan im Oktober 2023 mit dem Import von Erdgas aus Russland. Vereinbart wurde ein jährlicher Gasimport von 2,8 Milliarden m3 für eine Laufzeit von zwei Jahren (mit einer möglichen Erhöhung auf jährlich zehn Mrd. m3 bis 2030). Der russische Konzern Gazprom hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine einen erheblichen Teil seines zuvor wichtigsten Absatzmarktes in Europa verloren und sucht seither nach neuen Absatzmärkten für die überschüssige Produktionskapazität von jährlich 150 Mrd. m3. Zentralasien ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine Alternative als Absatzmarkt für russisches Erdgas, sondern auch als Transitregion für die Durchleitung nach China oder die Erschließung neuer Absatzmärkte in Südasien. Vor allem letzterer Punkt könnte für Russland noch von zentraler Bedeutung werden, nachdem mit China erhebliche Unstimmigkeiten hinsichtlich der geplanten Pipeline »Kraft Sibiriens 2« aufgetreten sind, wobei Beijing auf niedrigeren Preisen und Moskau auf einer höheren garantierten Abnahmemenge beharrt. Währenddessen hat Russland im Juni 2023 das erste Mal per Tanklastzug Flüssiggas über Usbekistan und Afghanistan nach Pakistan exportiert.
Wie erwähnt wird in Usbekistan 80 Prozent der Gesamtnachfrage nach Energie und Strom durch Erdgas abgedeckt. Die weitreichende Abhängigkeit von Erdgas geht mit einem erheblichen Risiko für die weitere Dekarbonisierung des Landes einher. Um das erklärte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, muss der Gasverbrauch um mindestens 40 Prozent reduziert werden. Eine Verringerung der Gasimporte auf ein Minimum würde auch Usbekistans strategische Autonomie erheblich stärken. Die dafür notwendige Dekarbonisierung hängt allerdings nicht nur von Erdgas, sondern auch von anderen grenzüberschreitenden Energieflüssen ab. In diesem Zusammenhang ist die Kooperation bei grenzüberschreitenden Stromlieferungen und der Entwicklung eines flexiblen regionalen Strommarktes unerlässlich – wie die suboptimale Kommunikation bei der Planung des Atomkraftwerkes in Dschissach illustriert. Gute Beispiele für eine bereits funktionierende Zusammenarbeit in diesem Bereich sind der Wiederanschluss von Tadschikistan an das einheitliche regionale Stromnetz und das von Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan gemeinsam finanzierte Wasserkraftwerk Kambar-Ata 1 am Fluss Naryn in Kirgistan. Eine optimale gemeinsame Nutzung der regionalen Ressourcen würde Stromengpässe der Vergangenheit überantworten und die Energiesicherheit von Usbekistan und seinen zentralasiatischen Nachbarn massiv erhöhen.
Vor diesem Hintergrund muss jedoch auch die Bedeutung der schwindenden Wasserressourcen berücksichtigt werden. Die drohende Wasserkrise in Zentralasien stellt eine erhebliche Gefahr für die regionale Sicherheit dar und schon jetzt bergen einseitige Entscheidungen einzelner Länder hohes Konfliktpotenzial. Ein markantes Beispiel hierfür ist der aktuell von den Taliban gebaute Kusch-Tepa-Kanal in Nordafghanistan, der bis zu 20 Prozent des Wasservolumens vom Amu-Darja abzweigen könnte und damit die Landwirtschaft von Usbekistan und Turkmenistan gefährdet. Laut der Weltbank könnten die regionalen Ernteerträge bei weiterer Untätigkeit angesichts der Wasserknappheit bis 2050 um 30 Prozent zurückgehen und dadurch allein in Zentralasien 5,1 Mio. Menschen zu Klimaflüchtlingen machen. Wenn nicht sofort Investitionen in die Verbesserung des Managements von Wasserressourcen getätigt werden, könnte das Wasserdefizit in Usbekistan bis 2030 auf sieben Milliarden m3 steigen. Allein zur Modernisierung des Bewässerungssystems sind bis 2030 Investitionen im Wert von 8,7 Milliarden US-Dollar notwendig. Die Wasserknappheit hat die usbekische Regierung auch zu einer Reform der Gebühren veranlasst und diese für Trinkwasser und Abwasser 2023 um das Dreieinhalbfache angehoben. Im Januar 2024 hat Mirsijojew schließlich ein Dekret über die Verbesserung von Wassersystemen erlassen, wobei zur Beschaffung von wassersparenden Technologien für den Bau von neuer bzw. die Modernisierung von bestehender Wasserinfrastruktur Kreditlinien und Subventionen bereitgestellt werden sollen.
Fazit
Die für das usbekische Energiesystem notwendigen Investitionen werden auf über 200 Milliarden US-Dollar geschätzt, wenn das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden soll. Angesichts begrenzter staatlicher Mittel wird der private Sektor in Zukunft die Hauptlast der Finanzierung des grünen Wandels tragen müssen. Dafür sind die weitere Förderung des privaten Sektors und die Schaffung eines günstigen Investitionsklimas von entscheidender Bedeutung. Insbesondere die geplante flächendeckende Dekarbonisierung und die Anpassung an den Klimawandel bieten eine Chance, als Katalysator für Wirtschaftsreformen zu wirken.
Die Regierung hat ihre Absicht betont, durch weitere Strukturreformen, insbesondere bei staatlichen Unternehmen, die Anziehung von FDI zu fördern. Die Reform der staatlichen Unternehmen ist notwendig, um die Privatisierung voranzutreiben und mehr Transparenz in Bezug auf CO2-Emissionen zu schaffen. Zudem ist es wichtig, ein Inventar der Subventionen für fossile Brennstoffe zu erstellen, um die Energiepreise anzupassen und dabei Anreize für grüne Investitionen zu schaffen. Diese Preisanpassungen müssen jedoch schrittweise erfolgen, um die Modernisierung der Versorger finanzieren zu können und gleichzeitig soziale Spannungen zu vermeiden.
Ein umfassendes Reformpaket ist unerlässlich, um das Wirtschaftswachstum und den Übergang zur Klimaneutralität zu fördern. Dazu gehören Maßnahmen wie die Stärkung des Wettbewerbs durch transparentere Ausschreibungen, der Abbau von umweltschädlichen Subventionen und die Förderung des Handels, unter anderem durch einen möglichen Beitritt zur WTO. Eine berechenbare und mittelfristig ausgerichtete Politik ist essenziell, um das Vertrauen von Investoren zu gewinnen, ebenso wie die Schaffung eines wirksam regulierten Finanzrahmens und eines nachhaltigen Marktes für grüne Investitionen.
Um die Kosten der Modernisierung auszugleichen und gleichzeitig eine Nachfrage nach dem grünen Wandel zu schaffen, ist eine weitere Erhöhung der Energiepreise unerlässlich. Dies sollte allerdings nicht zu einer weiteren Belastung von ärmeren Teilen der Bevölkerung führen. Daher sind Schutzmaßnahmen für einkommensschwache Haushalte ebenso wichtig wie die Förderung von Bildungsinitiativen und technischen Fähigkeiten, um die Menschen für die grüne Wirtschaft fit zu machen.
Zu guter Letzt spielt die regionale Zusammenarbeit im Energiebereich eine zentrale Rolle für den Erfolg des grünen Wandels. Die Schaffung grenzüberschreitender Plattformen für den Stromhandel und zur gemeinsamen Koordinierung der verfügbaren Wasserressourcen könnte den Ausbau erneuerbarer Energien begünstigen und dabei auf nachhaltige Weise zur Energiesicherheit in der Region beitragen. Dies würde nicht nur Stromengpässe beenden, sondern auch das regionale Wirtschaftswachstum ankurbeln und damit den Weg für die Entwicklung einer nachhaltigen und sozial gerechten Wirtschaft in ganz Zentralasien ebnen.