Eine weitere Parlamentswahl in Usbekistan … ohne Auswahl

Von Alisher Ilkhamov (Central Asia Due Diligence (CADD), London)

Am 27. Oktober fanden in Usbekistan landesweite Parlamentswahlen statt, zusammen mit der Wahl für die Regionalparlamente (Kengashes). Zur Einordnung der Wahlergebnisse ist ein Blick auf das usbekische Regierungssystem und die Rolle des Parlaments darin notwendig.

Das politische Regime unter dem ehemaligen Präsidenten Islam Karimow (1990–2016) wird vom US-amerikanischen Politologen Henry Hale als offen diktatorisch beschrieben.[1] Mit dem Amtsantritt von Schawkat Mirsijojew 2016 wurden Reformen eingeleitet, die das autoritäre System leicht abgemildert haben. Diese Reformen haben zwar eine gewisse Öffnung gefördert, das Land jedoch nicht in einem Maße demokratisiert, um von einer Abkehr vom Autoritarismus sprechen zu können. Trotz begrenzter Fortschritte bei Menschenrechten und ökonomischen Freiheiten fehlen Gewaltenteilung und tatsächliche Rechtsstaatlichkeit weiterhin. Die Verfassung postuliert zwar Gewaltenteilung sowie die Unabhängigkeit von Parlament und Justiz, doch bleiben diese – wie bereits unter Karimow – faktisch unter der Kontrolle des Präsidenten. Geschlechterfragen und Medienfreiheit weisen zwar eine positive Tendenz auf, doch stagniert die Entwicklung der Menschenrechte insgesamt seit einigen Jahren. Hinsichtlich der Gewaltenteilung gibt es sogar Rückschritte.

Im Unterhaus des usbekischen Zweikammerparlamentes (Oliy Majlis) sind heutzutage und anders als zu Sowjetzeiten mehrere Parteien vertreten. Allerdings fungieren diese als bloße Blockparteien, weshalb das Parlament eine Scheininstitution ohne unabhängige Kompetenzen bleibt. Die Stabilität dieses Systems beruht auf der nach wie vor uneingeschränkten Kontrolle des Präsidenten über den Sicherheitsapparat, zu dem das Innenministerium, der Staatssicherheitsdienst (SSS), die Nationalgarde und die Streitkräfte gehören. Dieser Apparat wird von Mirsijojew weiterhin zur Unterdrückung jeder abweichenden Meinung eingesetzt, die seine Autorität infrage stellt.

Dementsprechend ist im Land auch keine tatsächliche Opposition gestattet. Die einzige jemals erlaubte Opposition war die Demokratische Partei »Erk«, die jedoch nur für kurze Zeit zwischen 1991 und 1993 tätig war, bevor sie von Karimow unterdrückt wurde und sich ihr Parteiführer Muhammad Salih zur Flucht ins Ausland gezwungen sah. Nachfolgenden Oppositionsparteien wird seitdem einfach von vornherein die Registrierung verweigert, wodurch diese in einem Status der Illegalität bleiben. So kämpft die vor kurzem gegründete Sozialdemokratische Partei »Wahrheit und Fortschritt« unter Führung des Ökonomen Chidirnasar Allakulow noch immer für eine Registrierung zur offiziellen Teilnahme an Wahlen. Außerdem befinden sich aufgrund der systematischen staatlichen Repressionen, u. a. im Zusammenhang mit fingierten Gerichtsprozessen und anschließenden Haftstrafen, viele Oppositionsführer als politische Flüchtlinge im westlichen Exil. Der im schwedischen Exil lebende Anführer der Oppositionspartei »Birlik«, Pulat Achunow, hat die usbekische Regierung aufgerufen, bei den Wahlen für die Kengashes oppositionelle Parteien zuzulassen – ohne Erfolg.

Seit 2002 hat Usbekistan ein Zweikammerparlament. Die Mitglieder des Senats werden von den Regionalparlamenten bestimmt, die ebenfalls am 27. Oktober gewählt wurden. Früher wurden 84 Senatoren von den Kengashes gewählt (sechs aus jedem Gebiet), einschließlich des Parlaments der Republik Karakalpakstan und des Stadtrates von Taschkent. 16 weitere wurden vom Präsidenten ernannt. Ein im Januar verabschiedetes Gesetz hat die Zahl der Senatoren auf 65 reduziert, wobei nun 56 von den Regionalparlamenten gewählt und neun vom Präsidenten ernannt werden.[2] An der Machtdynamik hat das wenig geändert, da der Präsident weiterhin die regionalen Gouverneure (Hokime) ernennt, die über alle staatlichen Stellen in ihrem Zuständigkeitsbereich, einschließlich den Kengashes, bestimmen. Ein erst im September verabschiedetes Gesetz untersagt es Hokimen, Vorsitzende von Kengashes zu sein,[3] was ihre Macht leicht einschränkt. Allerdings bleibt die tatsächliche Wirksamkeit dieser Änderung ungewiss, da es auch auf regionaler Ebene kaum politischen Wettbewerb oder Opposition zu den Hokimen gibt.

Bis 2019 hat Usbekistan ein Mehrheitswahlsystem genutzt, in dem es ausschließlich Direktwahlkreise gab. Gemäß dem bis dahin geltenden Wahlrecht konnten Kandidaten sowohl von offiziell registrierten Parteien als auch zivilgesellschaftlichen Initiativgruppen nominiert werden. Dieses Recht bot oppositionellen Kandidaten zwar theoretisch eine Möglichkeit, blieb aufgrund nahezu unüberwindbarer Hürden jedoch bedeutungslos. So mussten Initiativgruppen die Unterschriften von mindestens acht Prozent der Wahlberechtigten im Wahlkreis sammeln – proportional über alle Lokalgemeinden verteilt.[4] Dieses formale Recht von Initiativgruppen zur Nominierung von Kandidaten wurde in späteren Änderungen des Wahlrechts gestrichen. Jetzt können nur noch politische Parteien Kandidaten nominieren. Dafür müssen nun die Unterschriften von mindestens einem Prozent aller – landesweiten – Wahlberechtigten erbracht werden.[5] Die Erfüllung dieser Anforderung ist nur mit administrativen Ressourcen möglich, wodurch der Nominierungsprozess fest unter staatlicher Kontrolle bleibt.

Im November 2023 hat die Oliy Majlis ein Gesetz über den Wechsel vom Mehrheitswahlsystem zu einem gemischten Wahlsystem aus Mehrheits– und Verhältniswahl verabschiedet. Laut dem Gesetz werden fortan 75 Mandate für das Unterhaus durch Direktwahl in Einzelwahlkreisen vergeben, die anderen 75 Mandate durch landesweite Verhältniswahl über Parteilisten.[6] Die jüngsten Wahlrechtsänderungen hatten allerdings kaum Auswirkungen auf die Stellung der Oliy Majlis. Eine Ausnahme bildet die Einführung einer Frauenquote von 30 Prozent. Da jedoch auch die Mandate für Frauen auf Grundlage ihrer Loyalität zur Regierung vergeben werden, stellen sie ebenfalls keine unabhängigen Stimmen im Parlament dar. Die 2023 vorgenommene Verfassungsänderung hat das Parlament außerdem wichtiger Befugnisse beraubt, darunter der Kompetenz, den Premierminister, die Mitglieder des Kabinetts, den Generalstaatsanwalt und den Vorsitzenden des SSS zu bestätigen.[7] Aufgrund des Fehlens von tatsächlicher Opposition im Parlament war diese Kompetenz zwar überwiegend symbolisch, jedoch ändert der Wechsel im Wortlaut von »bestätigen« (usbekisch: tasdiqlash) zu »unterstützen« (usbekisch: maqullash) das parlamentarische Verfahren beträchtlich. So impliziert »unterstützen« nicht mehr eine unabhängige parlamentarische Entscheidung, sondern lediglich eine passive Zustimmung für die Entscheidung des Präsidenten.

Nun ein paar Worte zu den fünf offiziellen Parteien. Diese sind die Liberaldemokratische Partei, die Demokratische Partei der Nationalen Wiedergeburt »Milliy Tiklanisch«, die Sozialdemokratische Partei »Adolat«, die Volksdemokratische Partei (Nachfolgerin der Kommunistischen Partei Usbekistans) und die Ökologische Partei. Bei den Parlamentswahlen 2019 haben diese Parteien jeweils 53, 36, 24, 22 bzw. 15 Mandate für das Unterhaus der Oliy Majlis errungen.[8] Bei den diesjährigen Wahlen hat die Liberaldemokratische Partei 64 der 150 Mandate errungen, wodurch sie ihre Mehrheit im Parlament leicht ausbaut. Milliy Tiklanisch erhielt 29 Mandate, Adolat 21, die Volksdemokratische Partei 20 und die Ökologische Partei 16.[9] Das quantitative Kräfteverhältnis zwischen den Fraktionen bleibt somit im Grunde unverändert und nahezu identisch zur vorherigen Wahlperiode.

Laut der Zentralen Wahlkommission (CEC) lag die Wahlbeteiligung bei 74,72 Prozent.[10] Dieser Wert wirkt zwar weniger aufgeblasen als in anderen autoritären Staaten, dennoch erscheint er unrealistisch hoch. So spiegelt der Wert keineswegs den Umstand wider, dass es in den sozialen Medien und sogar in der Presse keine öffentlichen Diskussionen über die Wahlen oder die Rolle der zugelassenen Parteien gab. Auch wurde im Vorfeld nur eine einzige Fernsehdebatte zwischen den Parteiführern abgehalten.[11] Diese haben versucht, ihre Redebeiträge dafür zu nutzen, ihre Parteien mit einem politischen Profil zu versehen und sich zu einigen Fragen sogar kritisch geäußert. Die Zentralregierung und der Präsident blieben dabei allerdings von jeglicher Kritik ausgenommen.

Während der Wahlen wurden keine Nachwahlbefragungen durchgeführt. Auch gab es in den Wahllokalen keine Wahlbeobachter von unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, da diese aufgrund administrativer Hürden so gut wie keine Chance hatten, bei den Behörden eine Registrierung zu erwirken. Somit bleibt es schwer einzuschätzen, wie verlässlich die von der CEC verkündeten Wahlergebnisse tatsächlich sind. Das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE war mit einer begrenzten Mission von 60 Wahlbeobachtern aktiv, weshalb eine flächendeckende Wahlbeobachtung unmöglich war. Die ODIHR-Mission hat die Wahlen jedoch als technisch gut organisiert bewertet. Da die Opposition von den Wahlen ausgeschlossen blieb, hätten die Wähler allerdings keine echte Wahl gehabt.[12]

Abschließend sei auf den symbolischen Charakter der neuen Sitzverteilung verwiesen, die offenbar im Voraus hinter verschlossenen Türen auf höchster Ebene festgelegt wurde. Die unveränderte Zusammensetzung der im Parlament vertretenen Parteien verdeutlicht die Prioritäten des Präsidenten, der liberale Reformen betont – allerdings ausschließlich im wirtschaftlichen Bereich – während soziale und ökologische Themen für die offizielle Agenda weiterhin zweitrangig bleiben.

Aus dem Englischen von Hartmut Schröder

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Verweise

[1] Hale, Henry. Patronal Politics: Eurasian Regime Dynamics in Comparative Perspective. New York: Cambridge University Press, 2015. S. 242–243

[2] https://uza.uz/ru/posts/informaciya-o-sorok-devyatom-plenarnom-zasedanii-senata-oliy-mazhlisa-respubliki-uzbekistan_559317

[3] https://lex.uz/ru/pdfs/7162476

[4] https://lex.uz/acts/70553: siehe dort § (statja) 22.1 (russischsprachiger Text).

[5] https://lex.uz/acts/70553

[6] https://www.gazeta.uz/ru/2023/11/25/mixed-electoral-system/

[7] https://lex.uz/docs/6445145

[8] https://en.wikipedia.org/wiki/2019%E2%80%9320_Uzbek_parliamentary_election

[9] https://www.gazeta.uz/ru/2024/10/28/parties/

[10] https://www.gazeta.uz/ru/2024/10/28/votes/

[11] https://www.gazeta.uz/ru/2024/09/27/debates/

[12] https://www.osce.org/odihr/elections/579385

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