Polizeireform in Kirgistan: Mechanismen der Gemeindesicherheit als Schritt zum fundamentalen Wandel?

Von Philipp Lottholz (Birmingham)

Zusammenfassung
Der folgende Beitrag erörtert die jüngsten Entwicklungen bei der Reformierung der Polizei in Kirgistan. Als Teil des Rahmenkonzepts der Sicherheitssektoren-Reform (Security Sector Reform) ist diese ein mehr oder weniger integraler Bestandteil der Transformationsprozesse in Zentralasien. Der unterschiedliche Grad an Kooperationsbereitschaft in Demokratisierungs- und Reformfragen und spezifische nationale politische Entwicklungspfade in den zentralasiatischen Republiken kristallisieren sich allerdings auch im Bereich der Reform von Polizei und Rechtspflegeorganen heraus. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in dieses Feld ist in Kirgistan zwar vergleichsweise groß, doch der Reformprozess ist weiterhin ein zähes Unterfangen, in dem die Regierung und das Innenministerium um die Sicherung der Kontrolle sowie die Begrenzung der Geschwindigkeit und der Reichweite der Reformen bemüht sind. Die folgende Analyse ist auf die Aktivitäten der Bürgervereinigung »Für Reformen und ein Ergebnis« und anderer internationaler Akteure fokussiert. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Versuche, transparentere und partizipatorische Reformpraktiken einzuführen, um Prozesse nachvollziehbarer für die Bürger zu gestalten und deren Beziehung zu Rechtspflegeorganen nachhaltig zu verändern. Neben Erfolgen und Einschränkungen dieser Initiativen werden auch das Potenzial und die Herausforderungen der Arbeit in partizipatorischen Community Security (dt. Gemeindesicherheits)-Projekten diskutiert.

Vergangene Entwicklungen und neue Initiativen

Reformen der Polizei, der Strafverfolgungsorgane bzw. des Sicherheitssektors als solchem gelten als wichtiger Bestandteil von demokratischem Wandel und als Basis einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung. Ungeachtet der sehr unterschiedlichen Bereitschaft zur Kooperation und Orientierung an Prinzipien der Demokratisierung und des sozialen Wandels haben die verschiedenen zentralasiatischen Staaten das Thema Polizeireform jedoch zum Feld der Behauptung ihrer Souveränität und Kontrolle über innere Angelegenheiten gemacht. Sie haben sich entsprechend entweder ganz gegen eine Kooperation entschieden oder die Geschwindigkeit und Reichweite der Angleichung nationaler Strukturen mit von Gebern und internationalen Organisationen angebotenen Ordnungskonzepten beschränkt. So kann auch die Polizeireform in Kirgistan als Bereich gesehen werden, in dem die bisherigen Regierungen des Landes nur bedingt Kooperationsbereitschaft zeigten oder zumindest keine substanziellen Maßnahmen zur Umsetzung ihrer Ankündigungen und Pläne ergriffen. Dieser Widerstand gegen den Reformdruck mag vor allem vor dem Hintergrund zweier Revolutionen im Lande im vergangenen Jahrzehnt verständlich sein, insbesondere angesichts des Ausmaßes der Gewalt in der Aprilrevolution 2010 und bei den Unruhen im Süden des Landes im Juni desselben Jahres. Bei politischen Entscheidungsträgern scheint die Besorgnis zu bestehen, dass der Reformprozess durch eine zu offene Debatte über Funktionsmechanismen, interne Strukturen und Organisationsprinzipien der Polizei von nationalen oder externen Nicht-Regierungsakteuren »übernommen« werden könnte. Dies könnte im Umkehrschluss zum Umbau der Strukturen für innere Sicherheit führen, der den Zugriff und die Kontrolle seitens der Regierungsakteure sowie die effektive Umsetzung von Politiken hemmen könnte. Prinzipien wie die strikte Kommandohierarchie, interne Rechenschaftspflicht und die Vertraulichkeit interner Informationen und Strukturen scheinen den Entscheidungsträgern zu wichtig zu sein, als dass sie diesbezüglich Zugeständnisse machen könnten. Die Reformbestrebungen seitens der Regierung und des Innenministeriums waren somit auf die Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Modernisierung der materiellen Basis der Polizeieinheiten beschränkt. Ein konstruktiver Dialog mit der Bevölkerung und die Zusammenarbeit mit derselben zur nachhaltigen Kriminalitäts- und Gewaltprävention bzw. -bekämpfung sind indes laut Angaben mehrerer Beobachter ausgeblieben.

Zivilgesellschaftliche Akteure, vor allem zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, waren dagegen sehr bemüht größere Fortschritte in den Polizeireformprogrammen, die sich bereits seit dem Jahr 1998 hinzogen, zu bewirken. Es liegt im Interesse dieser Akteure wie auch der Bevölkerung, dass die Polizei gewissenhaft ihren Auftrag erfüllt und dass sich die Beamten dabei an das Gesetz halten. Die alltäglichen Erfahrungen vieler Kirgisen widersprechen diesem Idealzustand: Korruption – z. B. in Form von Bestechungsgeldforderungen von Verkehrspolizisten – oder die Vernachlässigung von Dienstpflichten durch Beamte, die Anzeigen nicht aufnehmen und keine Ermittlungen einleiten, sind für viele Menschen eher der Normalfall als die Ausnahme. Die harsche Kritik an den Polizeikräften, zum Beispiel aufgrund von Menschenrechtsverletzungen im Nachgang zu den »Osch-Ereignissen«, wird durch die Vertreter des Innenministeriums und die Regierung generell zurückgewiesen. Die Zivilgesellschaft hat sich angesichts dieser Probleme weitgehend auf die Identifizierung von Verfahrensfehlern und Menschenrechtsverletzungen sowie deren Korrektur mittels öffentlicher Kampagnen oder auf dem Rechtsweg konzentriert. Es gibt jedoch keine Hinweise, dass sich nichtstaatliche Akteure um die Ausarbeitung konkreter institutioneller Veränderungsmaßnahmen bemüht hätten, welche die Arbeit der Polizei verbessern könnten.

Die Arbeit der Bürgerallianz »Für Reformen und ein Ergebnis« (Graschdanskij Sojus »Za reformy i resultat«) ist in diesem Zusammenhang einzigartig, da sie es geschafft hat, sich aktiv an der Diskussion, Planung und Umsetzung der Polizeireform in Kirgistan zu beteiligen. Das Netzwerk von 28 Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) wurde zum ersten Mal im Jahre 2013 zu Beratungen mit nationalen Entscheidungsträgern eingeladen und hat in der Folge sowohl auf nationaler Ebene versucht, Veränderungen zu erwirken, als auch in ausgewählten Ortschaften in ganz Kirgistan partizipatorische sog. Community Security (dt. Gemeindesicherheits)-Ansätze in die Praxis umgesetzt.

Wandel in der Rhetorik, nicht in der Praxis

Mitbestimmung in der nationalen Politik war anfangs das Hauptziel der Aktivisten der Bürgerallianz »Für Reformen und ein Ergebnis« und wurde somit auf der Tagesordnung des im Juli 2012 gegründeten Netzwerkes als wichtigstes Thema definiert. Mitgliedsorganisationen hatten vor der Gründung bereits mehr als 30 öffentliche Anhörungen in der ganzen Republik veranstaltet und auf deren Basis ein »Alternatives Konzept für die Reform der Strafverfolgungsorgane« erarbeitet, welches die wichtigsten Versäumnisse und Unzulänglichkeiten im Reformansatz des Innenministeriums thematisierte und Verbesserungsvorschläge machte. Der erste Erfolg des neu etablierten Aktivistennetzwerkes war die Sammlung von 10.950 Unterschriften zur Unterstützung einer Petition, die das Parlament und die Regierung aufforderte, ihr »Alternatives Konzept« als Basis für die Polizeireform in Betracht zu ziehen. Die breite allgemeine Unterstützung der Initiative der Bürgerallianz bewirkte, dass ausgewählte Aktivisten bald zu Beratungen mit offiziellen staatlichen Vertretern bis hin zum damaligen Premierminister Dschantoro Satybaldijew eingeladen wurden, der bei einem Treffen im Februar 2013 ihre Forderungen zu berücksichtigen versprach.

Diese Einbindung der Bürgerallianz in den Reformprozess kann als großer Erfolg gewertet werden, vor allem angesichts der Übernahme einiger ihrer Vorschläge in den Regierungsbeschluss Nr. 220 vom 30. April 2013, der die Bildung eines Koordinierungsrates bei der Regierung vorsieht, in dem Vertreter der Behörden sowie der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen den Fortschritt der Reformen bewerten und weitere Maßnahmen diskutieren sollten. Es muss aber auch konstatiert werden, dass der Umgang zwischen Aktivisten und Regierungsvertretern nicht nur konstruktiv war. Dies mag u. a. am scharfen Ton der Petitionen und öffentlichen Aussagen der Allianz gelegen haben, in denen immer wieder eine kritische Haltung gegenüber den Versäumnissen der Behörden ausgedrückt wurde. Ein weiterer den Einfluss der Bürgerallianz limitierender Faktor war der Generationsunterschied zwischen den zumeist in der Sowjetunion ausgebildeten und praxiserprobten Strafverfolgungsexperten und den »jungen Leuten«, deren Interesse an Themen wie Sicherheit und Rechtspflege als bestenfalls ungewöhnlich, potenziell gar als verdächtig angesehen wird.

Zwar wurde versucht, diese Unterschiede in der sozialen Zusammensetzung und »Mentalität« durch die Einbindung ehemaliger Mitarbeiter der Strafverfolgungsorgane in die Bürgerallianz auszugleichen, diese und andere Maßnahmen konnten aber den offensichtlichen Mangel an konkreten Reformtätigkeiten in den folgenden Monaten und Jahren nicht verändern. Es wurden zwei weitere Regierungsbeschlüsse verabschiedet, die eine normativ-gesetzliche Grundlage für die »komplexe Bewertung der Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane« (24. Februar 2015) und für die engere Zusammenarbeit der Strafverfolgungsorgane mit der Zivilgesellschaft (30. Juli 2015) bildeten. Die Beschlüsse stellen inhaltlich einen Meilenstein in der Gestaltung der Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung dar. Ihre Umsetzung in konkrete Maßnahmen erwies sich jedoch als langwieriger Prozess, der teilweise auf Widerstand der Mitarbeiter der Behörden stieß. Der Koordinierungsrat konnte sich nicht bewähren, insofern er – über die Funktion einer Dialogplattform hinaus – kein Mandat hatte, konkrete Maßnahmen anzuordnen. Angesichts des stillen Widerstands seitens der Behörden und der insgesamt unbefriedigenden Umsetzung der neu konzipierten Polizeireform entschied sich die Bürgerallianz für eine teilweise Neuorientierung ihrer Tätigkeit in den Kommunen. Dies hatte den Zweck, mehr aktive Mitglieder anzuwerben und weiteres Potenzial zu bilden und zu konsolidieren, und war auf die praktische Anwendung partizipatorischer Community Security-Praktiken ausgerichtet, welche die Allianz auf der nationalen Ebene als wichtige Neuerung beworben hatte.

Gemeindesicherheits-Praktiken als Ausdruck institutionellen Wandels?

Durch ihre ersten Erfahrungen mit partizipatorischen Techniken während der Erhebung und Ausformulierung einer öffentlichen Meinung im Rahmen der Versammlungen im Jahre 2011 (Entwicklung des alternativen Konzepts; s.o.) war die Bürgerallianz »Für Reformen und ein Ergebnis« gut auf die eigenständige Realisierung der gesetzlich verordneten Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsorganen und Bevölkerung bei der Planung örtlicher Sicherheit und der Bewertung der Tätigkeit der Polizei vorbereitet. Das größte Vorhaben dieser Art wurde durch das Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen (UNODC) unterstützt. Im Rahmen dieser Kooperation wurden in 12 Kommunen, verteilt über alle sieben Gebiete Kirgistans, so genannte kommunale Arbeitsgruppen gebildet, die im Rahmen von regelmäßigen Arbeitstreffen die lokale Sicherheitssituation analysierten, Prioritäten definierten und auf dieser Basis kommunale Sicherheitspläne entwarfen. Mitglieder in diesen von den örtlichen Behörden beauftragten Arbeitsgruppen waren neben Vertretern der örtlichen Verwaltung und der Zivilgesellschaft auch die zuständigen Polizisten.

Das Projekt war vor allem in den Kommunen erfolgreich, in denen die Bürgerallianz bereits eine Unterstützerbasis in Form von NGOs oder einzelnen Aktivisten hatte. Hier war die Teilnahme während der Arbeitsgruppentreffen hoch; Diskussionen wurden offen und kontrovers geführt, wodurch fundierte Entscheidungen zu verschiedenen Sachverhalten getroffen werden konnten. Eine geringe Beteiligung an Arbeitsgruppentreffen und Motivationsmangel bei der Umsetzung der verschiedenen Projektkomponenten waren andernorts zwar zu beobachten, blieben aber eine Ausnahme.

Ein ernst zu nehmendes Problem des partizipatorischen Ansatzes ist das oft zu beobachtende stark vereinfachte Verständnis von Problemzusammenhängen und entsprechenden Lösungsansätzen bei sichtlich nicht ausreichender Beratung mit verschiedenen betroffenen Gruppen. Zum Beispiel planten einige Arbeitsgruppen Maßnahmen, um die Anfälligkeit junger Leute für Kriminalität und soziale Probleme zu vermindern, ohne nach deren Bedarfen und Ideen zu fragen. In einem anderen Fall diskutierte eine Gruppe die Eindämmung von Aktivitäten auswärtiger religiöser Missionare. Die Gruppe sah sich machtlos, da effektive gesetzliche Instrumente und Zwangsmaßnahmen in diesem Fall begrenzt bzw. nicht vorhanden waren, und schien die Möglichkeit langfristiger und »weicher« Maßnahmen nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Außerdem zeigte sich, dass viele in den Gruppen diskutierte Sicherheitsprobleme eng mit den sozio-ökonomischen Verhältnissen und der Armut im Land im Zusammenhang standen bzw. gänzlich in diesem Problemfeld anzusiedeln waren und nicht im Sicherheitsbereich. Zum Beispiel erörterten manche Gruppen die unzureichende und weiter verfallende Infrastruktur oder die Problematik des Diebstahls von Nutztieren. In diesen Fällen erwiesen sich die Arbeitsgruppen aber als nützliche Plattform um Probleme zu diskutieren und sie gegenüber der lokalen bzw. Stadtverwaltung, aber auch zum Beispiel der regionalen Verwaltung für innere Angelegenheiten, zur Sprache zu bringen.

Der wohl wichtigste Aspekt dieser Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene war jedoch der Signaleffekt der Interaktion zwischen Strafverfolgungsorganen und der Bevölkerung, bzw. lokaler Verwaltung und Zivilgesellschaft. Ein solches Zusammenspiel war in den 12 ausgewählten Kommunen eine seltene, wenn nicht einmalige Gelegenheit und wies auf die Bereitschaft der Beamten hin, der Bevölkerung zuzuhören und sich vor ihr zu verantworten. Wie oben erwähnt schien eine Generalüberholung des Polizeiapparates bis auf das kommunale Niveau angesichts des Widerstandes gegenüber konkreter Reformmaßnahmen auf nationaler Ebene nur in sehr langfristiger Perspektive möglich, wenn überhaupt. In der Zwischenzeit verwirklichte die Bürgerallianz »Für Reformen und ein Ergebnis« die Maßnahmen zur kooperativen Herstellung der Gemeindesicherheit immerhin mit sofortiger Wirkung. Diese Priorisierung der Sicherheit von Kommunen und ihrer Einwohner – zumindest in den 12 für das Projekt ausgewählten Orten – reflektiert im weiteren Sinne den Ansatz der menschlichen Sicherheit (engl. human security), der menschlichen Bedürfnissen und dem alltäglichen Leben mehr Beachtung zugesteht als institutionellen Strukturen und nationalen Sicherheitsimperativen. Die gesetzliche Verordnung und praktische Umsetzung von Gemeindesicherheitsmechanismen wird von vielen Experten als Zeichen eines fundamentalen Umdenkens seitens der Behörden gewertet.

Die Wahrnehmung der Polizei in der Bevölkerung verändern

Eine der aktivsten Organisationen im Bereich der Polizeireform in Kirgistan ist die in Großbritannien registrierte internationale NGO »Saferworld«, die großen Wert auf die Unterstützung ihrer Maßnahmen durch die Regierung und die Ministerien legt und an der nachhaltigen Förderung von Frieden und nachhaltiger sozialer Entwicklung arbeitet. Eine ihrer wichtigsten Aktivitäten ist zugleich auch am wenigsten sichtbar: die Erhöhung des Kapazität kirgisischer NGOs (inklusive der Bürgerallianz), sich an Debatten zur nationalen Politik bzw. der Mitsprache an Entscheidungen in Bischkek zu beteiligen. Diese Art von Unterstützung wird in der Form von kontinuierlicher Kommunikation und Beratung geleistet – Aktivitäten, die nicht immer auf Projektbasis finanziert werden können und somit umso wertvoller sind.

Zu den nach außen hin sichtbaren Aktivitäten gehört die Unterstützung des Projektes »Meine Polizei beschützt mich«. Unter diesem Titel organisierte eine NGO im Süden des Landes die Produktion eines Dokumentarfilms über die Polizei; eine Fotoausstellung und einen Malwettbewerb zum Thema und die Gestaltung von Street Art-Graffitis, die Polizeibeamte im freundlichen Umgang mit jungen Menschen darstellen. Diese Idee wurde weiterhin in einer Aktion für ein positives Image der Polizei verwendet, im Rahmen derer Plakate aufgehängt wurden, die den Alltag der Interaktion zwischen Bürgern verschiedenen Hintergrunds und Polizeibeamten zeigen und mit Untertiteln wie »Wenn ich groß bin, will ich Polizist werden« oder »Wir sind immer bereit zu helfen« beschreiben. Neben diesen Initiativen, die, ob bewusst oder unbewusst, offensichtlich die Beziehung der Bevölkerung zur Polizei verändern werden, stellt Saferworld auch die Anerkennung der Bemühungen auf Seiten der Zivilgesellschaft und seitens der Polizeibeamten und Behörden sicher. Die Verleihung von Ehrenurkunden, Geschenken und Preisen an die Partner im Rahmen festlicher Veranstaltungen wie der jüngsten Preisverleihung für die »Beste Initiative von Frauen und Jugendlichen« im Februar 2016 erhöht deren Motivation sich nachhaltig zu engagieren und trägt zum Aufbau eines Netzwerkes von Gleichgesinnten in staatlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft bei.

Ein weiterer Protagonist in der Polizeireform ist das Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen (UNODC), das ähnliche Ziele verfolgt, aufgrund seiner größeren finanziellen Möglichkeiten aber auch die materielle Komponente und Fragen der Potenzialerhöhung abdecken kann, welche von den kirgisischen Entscheidungsträgern oft als Grund für unzureichende oder weitgehend ausbleibende Reformen angeführt werden. Dementsprechend hat UNODC Polizeipersonal ausgebildet und, wie die Bürgerallianz und Saferworld, die Sicherheitslage in ausgewählten Kommunen analysiert und in Zusammenarbeit mit der Polizei und Lokalverwaltungen Sicherheitspläne ausgearbeitet, aber auch bei der Renovierung oder beim Neubau von Polizeiwachen in verschiedenen Ortschaften finanzielle Unterstützung geleistet. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) arbeitet ebenfalls im Bereich der Polizeireform und hat hierfür ein langfristiges Projekt unter dem Titel Community Security Initiative, in welchem Polizei, lokale Verwaltung und Bevölkerung an dem Ziel arbeiten, »den Respekt für Menschenrechte seitens der Polizei zu stärken und Beziehungen zur Gesellschaft in den Kommunen aufzubauen«. Es gibt jedoch auch Stimmen, denen zufolge die OSZE und die zahlreichen ehemaligen Polizeibeamten in ihren Reihen sich generell mehr auf Potenzialerhöhung fokussieren und sich während der Debatten im Koordinierungsrat tendenziell den Standpunkten der Regierung und des Innenministeriums anschließen.

Fazit und Ausblick

Aus all dem kann geschlossen werden, dass die Polizeireform in Kirgistan nicht mehr in den Bahnen des alten modus operandi verläuft. Die Gründung der Bürgerallianz »Für Reformen und ein Ergebnis« und ihr »Alternatives Konzept für die Polizeireform« hat bereits jetzt bedeutende Veränderungen bewirkt. Die Regierung hat in Person der aufeinander folgenden Premierminister wie von Vertretern des Innenministeriums die Notwendigkeit für einen komplexeren und inklusiven Ansatz bei der Reformierung der Polizei anerkannt, wie auch ihrer Bewertung und der zukünftigen Bewahrung der Sicherheit auf kommunalem Niveau. In der Folge hat sich bisher vor allem die Rhetorik geändert und es wurde eine normativ-legislative Basis gebildet, die das Innenministerium und die Strafverfolgungsorgane dazu anhält, komplexe Bewertungsmethoden anzuwenden und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft zu stärken. Eine wahrnehmbare Umsetzung der verordneten Maßnahmen ist bisher jedoch noch nicht erfolgt.

Aus diesem Grund hat sich die Bürgerallianz inzwischen mehr auf die Umsetzung partizipatorischer Ansätze auf der kommunalen Ebene konzentriert, was, wie oben ausgeführt zur Schaffung eines Umfeldes geführt hat, in dem menschliche Sicherheit gestärkt bzw. überhaupt hergestellt wird, indem die Rechenschaftspflicht der Polizei und deren kooperative Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und der Bevölkerung im Rahmen der kommunalen Arbeitsgruppen sichergestellt wird.

Eine Veränderung der Wahrnehmung der Polizei ist angesichts der umfangreichen Bemühungen der Bürgerallianz, von Saferworld und anderen Akteuren wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Arbeitsweise der Polizei im Rahmen dieses Imagewechsels tatsächlich wandelt. Hierbei wird wahrscheinlich die Rolle progressiv denkender Polizeibeamter und Mitarbeiter des Innenministeriums in ihren eigenen Institutionen entscheidend sein und wie erfolgreich nationale und internationale NGOs ihre Zusammenarbeit mit diesen Akteuren nutzen und ausbauen können. Es ist vorstellbar, dass die kirgisische Polizei sich zu einer transparenten und modernen Institution hin wandelt, wie sie sich viele in Hinblick auf das westliche Vorbild wünschen. Die gesetzliche Einführung von Gemeindesicherheitsmechanismen, also der Zusammenarbeit zwischen Polizei, Zivilgesellschaft, Verwaltung und Bevölkerung in der Kriminalitäts- und Gewaltprävention und -bekämpfung, wird allgemein als großer Schritt in Richtung eines fundamentalen Wandels gewertet. Ob diese Entwicklung jedoch weitere Veränderung im Rechts- und Strafverfolgungssystem Kirgistans bewirkt oder diese aufgrund erhöhter Anpassungsfähigkeit einzelner Kommunen abdingbar macht, bleibt abzuwarten.

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