[Auszüge eines Interviews der »Kultura Liberalna« am 11.09.2018]
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Ihre Hauptreform ist die Reform der polnischen Wissenschaft und des Hochschulwesens. Tatsächlich haben Sie den Versuch unternommen, sie auf eine andere Weise einzuführen, als man es typischerweise mit dem Vorgehen der Regierung der Vereinigten Rechten [zu dem informellen Parteienbündnis der Vereinigten Rechten (Zjednoczona Prawica) gehören die Parteien Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), Polen Gemeinsam von Jarosław Gowin (Polska Razem Jarosława Gowina) und Solidarisches Polen (Solidarna Polska), Anm. d. Red.] assoziiert. Eines der Elemente dieser Reform war, Arbeitsgruppen zu bilden, die ein Bewerbungsverfahren durchlaufen und Vorschläge für die Reform machen sollten. So geschah es und es wurden drei Gruppen berufen. Allerdings stellte einer der Leiter der Arbeitsgruppen, Professor Hubert Izdebski, nach der Abstimmung über das Reformgesetz fest, dass keine der Arbeitsgruppen im verabschiedeten Gesetz etwas davon sieht, was vorgeschlagen worden war.
Professor Izdebski äußert einen nicht repräsentativen Standpunkt für alle Arbeitsgruppen. Der Leiter einer anderen Gruppe, Professor Marek Kwiek, bewertete die endgültige Fassung des Gesetzes als eine große Chance für unsere Wissenschaft und die polnischen Hochschulen. Außerdem ist das Verfahren viel breiter angelegt als die Arbeit der Arbeitsgruppen allein. Eben weil ich ein politischer Konservativer bin und wollte, dass das Gesetz aus der konservativen Staatsphilosophie entsteht. Donald Tusk [Ministerpräsident der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) in den Jahren 2007–2014, Anm. d. Übers.] pflegte zu sagen, dass er Politiker, die mit einer Vision zu ihm kommen, zum Psychiater schicke. Deshalb – auch wenn ich in vielen Angelegenheiten nicht mit Jarosław Kaczyński [Parteivorsitzender von Recht und Gerechtigkeit, Anm. d. Übers.] übereinstimme – fand ich hier doch einen Partner für eine konservative Reform des Hochschulwesens.
Vielleicht erläutern wir, was Sie meinen, wenn Sie von Ihrem Konservatismus sprechen?
Erstens sollte der Staat so stark sein, dass er die realen Probleme lösen kann. Die Dritte Republik war mit Sicherheit kein solcher Staat, wofür der Zustand der polnischen Hochschulen ein beredtes Beispiel ist. Sie war nicht imstande, auch nur eine Universität mit Weltniveau hervorzubringen. Zweitens – der Konservative versteht ganz genau, je stärker der Staat, desto mehr bedroht er die Freiheit der Bürger. Daher sollte ein starker Staat gleichzeitig ein eingeschränkter Staat sein und es sollte ein größtmöglicher Raum der Freiheit für den Einzelnen, die Familie, Verbände und in diesem Falle Hochschulen bestehen bleiben. Es geht darum, die richtige Balance zu halten. Das dritte Element ist die Überzeugung, dass Veränderungen im Dialog entstehen sollten. Und das vierte, dass sie evolutionär und nicht revolutionär sein sollten, was sich im Falle der »Verfassung für die Wissenschaft« darin widerspiegelt, dass ein Zeitplan für die einzelnen Reformschritte festgelegt wurde.
Die Tatsache, dass ich mich für den Weg des Dialogs entschieden habe, entsprang auch dem Bewusstsein, dass ich für die Durchführungen tiefgehender Reformen Verbündete brauche, die dank zahlreicher Treffen und ehrlicher Debatten mutige Ideen äußern und zur Diskussion stellen konnten, Ideen, die im Allgemeinen in diesem Milieu unpopulär sind. Unter den Akademikern fehlt es nicht an Menschen, die sehr darauf bedacht sind, die Dinge immer weiter so laufen zu lassen.
Das heißt, konservativ eingestellt?
Nein! Ich bitte darum, den Konservatismus von einem Konservierungsdrang zu unterscheiden. Politik muss man mit Hilfe von Kompromissen betreiben. Manchmal sind die Kompromisse schlecht, politischen Notwendigkeiten abgetrotzt, aber das Prinzip des Suchens nach Kompromissen ist ein Wert. Mein Gesetz ist ein Kompromiss. Gleichzeitig stimme ich ganz und gar nicht den Vorwürfen zu, dass das Ausmaß der Kompromisse dem Gesetz die modernisierende Schärfe genommen habe. Es ist ein Paket von Lösungen, die in den kommenden zehn Jahren die polnischen Hochschulen tiefgehend und positiv umgestalten.
Das, was von dem Gesetz sowohl nach den Konsultationen als auch nach den Korrekturen im Sejm geblieben ist, stößt auf Kritik. Was die Eigenständigkeit der Hochschulen und die Vergrößerung der Macht des Rektors betrifft, haben viele Institute, so auch mein Institut für Soziologie an der Universität Warschau, ihre Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, dass die Autonomie der einzelnen Einheiten wie Institute und Fakultäten verringert wird.
Hinter diesen Befürchtungen verbirgt sich das mangelnde Vertrauen des akademischen Milieus zu sich selbst. Wer ist der Rektor? Er ist kein von außen vorgesetzter Diktator. Ihn wählt die akademische Gemeinschaft. Der fehlende Glaube an die Möglichkeit, einen klugen Rektor zu wählen, bedeutet fehlender Glaube an den Sinn der Hochschulautonomie.
Es geht nicht um das mangelnde Vertrauen des wissenschaftlichen Milieus zu sich selbst. Es geht um die Befürchtungen, dass die Mehrheit – die nicht immer mit der Qualität einhergeht – ihren Rektor wählt. Gerade die Sorge um die Qualität sollte im Falle des Hochschulwesens niemanden wundern.
Kurz nachdem ich Minister geworden war, traf ich mich mit Professor Leszek Borysiewicz, dem damaligen Rektor der Universität Cambridge. Wir fingen an, die formalen Tätigkeitsbereiche seiner Rektoren und der polnischen Rektoren zu vergleichen. Letztere hatten deutlich geringere Kompetenzen. Professor Borysiewicz sagte mir damals, dass es so nicht funktionieren könne, dass die polnischen Hochschulen nicht in der Lage seien, sich gut zu entwickeln, denn das Verwaltungssystem ist verstopft. Ich stimme dem zu.
Sie sagten zu Beginn, dass die polnischen Hochschulen die Möglichkeit haben müssen, mit den besten zu konkurrieren. Das Problem ist, dass wir mit Blick auf unsere Generation von Forschern beobachten, dass einer nach dem anderen der hoch talentierten und arbeitsamen Menschen weggeht, nach Deutschland, nach Großbritannien, nach Norwegen… Und hinzu kommt noch der Abfluss der Studenten.
Der Exodus der Eliten der jungen Generation ist das Hauptmotiv für die Einführung der »Verfassung für die Wissenschaft«. Sie enthält viele bahnbrechende Lösungen, die die jungen Talente unterstützen. Es ist nicht verwunderlich, dass sie u. a. seitens der Doktoranden auf so große Unterstützung stieß. Allerdings muss man sich in diesem Kontext die Frage stellen, was die Ursachen für das niedrige Ansehen der polnischen Hochschulen sind. Die grundlegende ist der übermäßige Massenbetrieb. Die Universität Warschau oder die Jagiellonen-Universität [in Krakau, Anm. d. Übers.] haben mehr als 40.000 Studenten. Die besten Hochschulen der Welt haben im Allgemeinen mindestens die Hälfte weniger. Warum wurden die Universität Warschau und die Jagiellonen-Universität zu Massenbetrieben? Dazu hat das mangelhafte Finanzierungsmodell der Hochschulen geführt. Das einzige Kriterium, das Einfluss auf die Höhe der Zuwendungen aus dem Staatshaushalt hatte, war eigentlich die Anzahl der Studenten. Je mehr Studenten, desto mehr Geld. Dem Anschein nach war das Prinzip richtig, das Geld folgte dem Studenten. Aber die Folgen erwiesen sich als katastrophal.
Was wird sich Ihrer Meinung nach ändern?
Die großen Veränderungen begannen bereits im Jahr 2017. Bei der Finanzierung der Hochschulen berücksichtigen wir nicht mehr die Gesamtzahl der Studenten, sondern das Verhältnis zwischen der Anzahl der Studenten und der Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Nicht mehr als 13 Studenten pro wissenschaftlichem Mitarbeiter. Zum Vergleich: an einer ziemlich angesehenen Universität in Zentralpolen war das Verhältnis in den Rechtswissenschaften 45 zu eins und in der Pädagogik 50 zu eins. Lassen Sie uns überlegen, was für Juristen oder Lehrer diese Hochschule ausbilden konnte…
Zum ersten Mal berücksichtigten wir das wissenschaftliche Werk. Bis Ende 2016 erhielt die Hochschule für jeden eingestellten Professor oder Doktor das gleiche, unabhängig davon, ob der Wissenschaftler mit den Nobelpreis Bekanntschaft macht oder ob er seit zehn Jahren nichts mehr publiziert hat. Das hat sich geändert, denn seit 2017 berücksichtigen wir die wissenschaftliche Kategorie der betreffenden Fakultät. Der Professor, dessen wissenschaftliches Schaffen bewirkt, dass seine Fakultät – und in Zukunft seine Disziplin – die Kategorie B hat, wird der Hochschule weniger Geld »einbringen« als der mit der Kategorie A oder A+. Was hatte das zur Folge? Die Leitung der Hochschule begann umgehend, die Mitarbeiter aus der Perspektive des wissenschaftlichen Ertrages zu bewerten.
Ein anderes Beispiel: Ein Mittel, das Ansehen einer Hochschule aufzubauen, ist die Position im Ranking. Deshalb schufen wir mit dem Gesetz die Möglichkeit, dass sich die Hochschulen in Föderationen zusammentun. Eine eingegangene Föderation der Universität Warschau und der Medizinischen Universität Warschau würde dazu führen, dass sie sich automatisch zusammen in der zweiten Hälfte der 200 besten Hochschulen der Welt befänden. Einen hervorragenden Wissenschaftler an eine Hochschule zu holen, die im »Shanghai-Ranking« in der zweiten Hälfte der besten 200 steht, ist deutlich einfacher, als an eine Universität, die sich im vierten Hunderterblock befindet.
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Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Quelle: Nie boję się autorytaryzmu. Z wiceprezesem Rady Ministrów, ministrem nauki i szkolnictwa wyższego Jarosławem Gowinem rozmawiają Jarosław Kuisz i Karolina Wigura [»Ich habe keine Angst vor dem Autoritarismus«. Mit dem Vizepräses des Ministerrates und Minister für Wissenschaft und Hochschulwesen, Jarosław Gowin, sprechen Jarosław Kuisz und Karolina Wigura]. Kultura Liberalna Nr. 37/2018 https://liberte.pl/nie-boje-sie-autorytaryzmu-rozmowa-z-jaroslawem-gowinem/ (abgerufen am 25.09.2019), mit freundlicher Genehmigung der Kultura Liberalna.