Übersetzen zwischen Deutschland und Polen. Wie wird die Literatur des Nachbarlandes übersetzt, vermarktet und gelesen (1989 bis 2020)

Von Renata Makarska (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Zusammenfassung
Im Jahr 2000 war Polen Gastland der Frankfurter Buchmesse, 2006 und 2017 gastierte Deutschland in Warschau, jährlich werden viele Titel in die Sprache des Nachbarn übertragen, die Übersetzer*innen beider Länder sind mittlerweile bestens vernetzt. Trotzdem zeichnet sich zurzeit eine sinkende Tendenz bei Lizenzverkäufen nach Polen ab und das Interesse an der polnischen Literatur in Deutschland schläft ein. In der Analyse wird auf die wichtigsten Aspekte in der deutsch-polnischen Übersetzungslandschaft eingegangen, darüber hinaus wird mit Verlagen und Übersetzer*innen das literarisch-translatorische Feld abgesteckt. Als Beispiel einer erfolgreichen gegenseitigen Wahrnehmung und Rezeption wird der Bereich der Kinder- und Jugendliteratur vorgestellt.

Literatur des Nachbarlandes – vermeintlich unbekannt

2008 publizierte Annegret Gasse ihre Arbeit über die »Geschichte, Förderung und Präsenz einer vermeintlich unbekannten Nationalliteratur«. Damit meinte sie die polnische Literatur in deutschen Übersetzungen in den Jahren 1990 bis 2004. Schon damals konnte man den Titel als eine Provokation verstehen, denn zu der Zeit tat sich sehr viel auf dem deutschen Buchmarkt und seitdem sind nun fast zwanzig Jahre vergangen. Warum soll es sich bei der polnischen Literatur um eine (vermeintlich) unbekannte handeln? Die Übertragungen aus dem Polnischen machen ca. 0,5 % aller Übersetzungen in Deutschland aus, jährlich erscheinen ca. 40 bis 50 Erstauflagen der aus dem Polnischen übersetzten Werke. Als »kleine Literatur« bezeichnet man eine Literatur, die einen geringen Anteil am Übersetzungsmarkt hat. Die Literatur ist dann zwar am deutschen Buchmarkt präsent, aber nicht besonders sichtbar. Aus dem Deutschen ins Polnische wird vergleichsweise viel übersetzt, wenn die Tendenz auch in der letzten Zeit zurückgeht. Im Jahr 2020 waren es 490 Titel. Wie die Analysen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zeigen, stand Polen in den 1990er Jahren an der Spitze der lizenznehmenden Länder. Noch 2009 besetzte Polen sogar die erste Stelle (noch vor China), seit 2013 und noch stärker seit 2015 nimmt die Zahl der nach Polen verkauften Bücher ab (Abb. 1 auf S. 7), was sich nur teilweise damit erklären lässt, dass in Polen unter der Regierung von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i SprawiedliwośćPiS) das kulturelle Leben umgekrempelt wird. Nach dem Übersetzungsboom in den 1990er Jahren (26 % aller Buchauflagen des polnischen Marktes) verringerte sich die Zahl der Übersetzungen auf heute ca. 19 % (Angaben für das Jahr 2020).

Unabhängig von der unterschiedlichen Stellung der Literatur des deutschen bzw. polnischen Nachbarn auf dem eigenen Buchmarkt, wird bei der Betrachtung der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen im Bereich der Übersetzung deutlich, dass dieses Geschäft wie andere Teile des Kulturlebens eine gezielte Kulturpolitik und ein durchdachtes System an übersetzungsfördernden Maßnahmen benötigt.

Deutschland als Übersetzungsland

Deutschland gehört ähnlich wie Polen zu den sog. Übersetzungsländern, in denen die übersetzte Literatur eine verhältnismäßig wichtige Rolle auf dem Buchmarkt spielt. Dieses Phänomen lässt sich leicht in Zahlen fassen: Die Übersetzungen machten in den letzten Jahren fast konstant 13,7 % aller in Deutschland erschienenen Erstauflagen aus. In dieser Zahl sind nicht nur Belletristik, sondern auch Lexika, wissenschaftliche Werke, Ratgeber, Kochbücher und andere Genres enthalten. 2020 wurden in Deutschland 9.164 übersetzte Titel (Erstauflagen) herausgegeben, darunter waren 44 Übersetzungen aus dem Polnischen (ca. 0,5 % aller Übersetzungen, vgl. Abb. 2 auf S. 8), 15 davon waren belletristische Titel. Detaillierte Zusammenstellungen aller Übersetzungen polnischer Literatur ins Deutsche stellt das Deutsche Polen-Institut (DPI) in Darmstadt zur Verfügung (https://www.deutsches-polen-institut.de/bibliothek/uebersetzungsbibliografien/). Die statistischen Daten ermöglichen es, die Größenordnung der Übersetzungen aus dem Polnischen auf dem deutschen Buchmarkt schnell zu erfassen. Obwohl Polnisch hier eindeutig zu den sog. kleinen Sprachen gehört, wird es meistens in den Statistiken aufgeführt. In diesem Kontext ist es wichtig zu fragen, welche Faktoren und Phänomene einen unmittelbaren Einfluss auf diese Zahlen ausüben: Was bewirkt eine Zunahme an Publikationen und was sind die Gründe für eine sinkende Präsenz der polnischen Literatur auf dem deutschen Buchmarkt? Zu vermuten steht, dass einerseits gezielte Maßnahmen der staatlichen Kulturpolitik und privater Stiftungen, andererseits Aktivitäten verschiedener Kulturmittler*innen (Übersetzer*innen, Verleger*innen, Lektor*innen und Literaturagent*innen) die Zahlen steigen lassen. Bewegungen am Buchmarkt werden aber auch unmittelbar von wirtschaftlichen und politischen Ereignissen beeinflusst, auf welche die Verlage mit mehr oder weniger Interesse reagieren.

Polnische Literatur? – Frisch, undogmatisch und unverbraucht

Ein zentrales Datum für die Rezeption polnischer Literatur im wiedervereinigten Deutschland war das Jahr 2000, in dem sich Polen als Gastland der Frankfurter Buchmesse präsentieren durfte. Zu diesem Anlass sind nicht nur zahlreiche Übersetzungen polnischer Werke erschienen, sondern es wurde auch ein Gesamtkonzept der Bewerbung dieser Literatur erarbeitet. So haben sich auf der Buchmesse 140 polnische Verlage, 400 Verlagsvertreter*innen und über 60 Autor*innen (die Presse berichtete hier von einer »Dichterballung«) zusammengefunden, es wurden insgesamt 40.000 Bücher präsentiert und 700 verschiedene Veranstaltungen angeboten. Im polnischen Pavillon gab es nicht nur Diskussionen und Ausstellungen, man konnte auch in einer Kino-Ecke Filme über die wichtigsten Autor*innen sehen sowie sich dank der über 40 Broschüren weiter über sie informieren. Bereits im Vorfeld der Buchmesse fanden Autor*innentreffen und Lesereisen in ganz Deutschland statt, ebenso nach ihrem Abschluss. Man kann fast von einem ganzen Jahr der polnischen Literatur in der Bundesrepublik sprechen. All diese Veranstaltungen wurden von der »Arbeitsgruppe Literatur Polska2000« unter der Leitung des Literaturwissenschaftlers und Übersetzers Albrecht Lempp konzipiert und vorbereitet. Im Sitz der Arbeitsgruppe, der Krakauer Villa Decius (Willa Decjusza), ist auch die Konzeption einer staatlichen Förderung für Übersetzungen polnischer Literatur entstanden: »©Poland« wurde anschließend von dem im Jahr 2004 ins Leben gerufenen Buchinstitut (Instytut Książki) fortgesetzt. Seitdem können im Rahmen dieses Programms ausländische Verlage Zuschüsse für geplante Herausgaben polnischer Werke erhalten. Der »Arbeitsgruppe Literatur« und ihrem Auftraggeber, dem polnischen Ministerium für Kultur und nationales Erbe, war bewusst, dass die Frankfurter Buchmesse als »Sprungbrett« für Übersetzungen in andere Sprachen gilt und ein guter Auftritt dort zu einem Wendepunkt für polnische Literatur in Übersetzung werden könnte.

Das Jahr 2000 war auch insofern zentral für die polnische Literatur in Deutschland, als die Frankfurter Buchmesse sowohl die gestandenen und gefeierten Autoren versammelte als auch die jüngere Generation, die damals im Westen noch unbekannt war: In diesem Jahr sind auf Deutsch u. a. Titel von Magdalena Tulli, Olga Tokarczuk und Paweł Huelle erschienen. Bei dem polnischen Auftritt in Frankfurt am Main war es Albrecht Lempp wichtig, dass nicht zwischen der sog. hohen und der populären Literatur unterschieden wird. So konnte diese Literatur als »frisch, undogmatisch und unverbraucht« wahrgenommen werden.

Mit der Vorstellung der jüngeren Generation von Autor*innen haben die Mitarbeiter*innen der »Arbeitsgruppe Literatur« das Werk Karl Dedecius’ und seines Teams im Deutschen Polen-Institut in Darmstadt fortgesetzt, denn im Jahr 2000 sind die letzten Bände der von ihm initiierten »Polnischen Bibliothek« und des »Panoramas der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts« erschienen. Dank der Finanzierung der Robert Bosch Stiftung konnten seit 1982 insgesamt fünfzig Bände der »Polnischen Bibliothek« im Suhrkamp Verlag erscheinen, dabei vor allem Klassiker »aus neun Jahrhunderten«, wie dies Karl Dedecius selbst formulierte. Das Besondere an dieser Reihe war, dass alle Bände mit einem wissenschaftlichen Kommentar versehen waren. Das im Ammann Verlag publizierte mehrbändige großformatige »Panorama« konzentriert sich auf das 20. Jahrhundert und versammelt in Form einer Anthologie die wichtigsten Texte dieser Zeit (Poesie, Prosa, Pointen, Porträts und Panorama/Rückblick).

Schritt für Schritt – deutsche Literatur in Polen

Seit dem Ende des kommunistischen Systems war Deutschland zweimal, 2006 und 2017, Gastland der Warschauer Buchmesse. Im Jahr 2017 sind zwölf deutsche Autor*innen der Einladung nach Warschau gefolgt, es fanden 25 Lesungen und Gespräche statt. Im Vergleich zu der polnischen »Dichterballung« im Jahr 2000 in Frankfurt am Main war es zwar deutlich weniger, jedoch werden in Polen jährlich mehr als 400 Übersetzungen aus dem Deutschen publiziert – hier ist keine massive Werbung mehr notwendig, vielmehr gezielte Maßnahmen. Bereits 1993 ist in Warschau das Deutsche Buchinformationszentrum (BIZ) als »Informations- und Kontaktstelle zwischen der deutschen und polnischen Buchbranche« entstanden. Seine Aktivitäten – Präsentation des deutschen Buchmarkts und der aktuellen deutschen Literatur in Polen – richteten sich sowohl an verschiedene Leser*innengruppen als auch an die Akteur*innen des literarischen Feldes: Verleger*innen, Übersetzer*innen und Journalist*innen. Nach 2009 übernahm seine Aufgaben das Goethe Institut in Polen mit seinen zahlreichen Filialen und Lesesälen u. a. in Posen (Poznań), Olsztyn, Stettin (Szczecin), Breslau (Wrocław), Krakau (Kraków) oder Kattowitz (Katowice).

In Polen wurde keine 50-bändige Reihe der Klassiker der deutschen Literatur verlegt, dafür gab es aber Initiativen, die sich vor allem der Gegenwartsliteratur angenommen haben. So wurde bereits vor der Warschauer Buchmesse 2006 auf Initiative der S. Fischer Stiftung das Projekt »Kroki/Schritte« ins Leben gerufen, in dessen Rahmen bis 2015 über 50 Übersetzungen deutschsprachiger Titel herausgegeben wurden. Gefördert wurde die Reihe, an der sich 22 polnische Verlage und zahlreiche Übersetzer*innen beteiligt haben, von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Schweizer Kulturstiftung »Pro Helvetia« und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit; die inhaltliche Betreuung leisteten der polnische Übersetzer und Übersetzungskritiker Jacek St. Buras sowie der Schweizer Publizist Carl Holenstein. Auch hier wurde neben der Herausgabe von Übersetzungen wichtiger deutschsprachiger Titel in die Werbekampagne investiert. So wurden dem polnischen Publikum zahlreiche Autorentreffen und -lesungen angeboten. In dieser Zeit gastierten in Polen u. a. Edgar Hilsenrath, Wolfgang Hilbig, Wilhelm Genazino, Emine Sevgi Özdamar, Tim Staffel und Julia Franck. Das Projekt gab den polnischen Verlagen und Übersetzer*innen die Chance, etliche Lücken in der Rezeption der deutschsprachigen Literatur (die z. B. aufgrund der in der Volksrepublik Polen praktizierten Zensur entstanden sind) zu füllen. Nach der Anfangsphase des Projektes wurden neben Belletristik auch einzelne geisteswissenschaftliche Titel publiziert, so von Walter Benjamin, Golo Mann oder Claus Leggewie. Für die Projektinitiatoren war es besonders wichtig, möglichst viele Verlage und Übersetzer*innen einzubinden. Neben »klassischen« Übersetzungsprojekten (ein Autor – ein Übersetzer) sind hier auch Team-Übersetzungen entstanden, beispielsweise haben sich an einer Gedichtanthologie von Ilse Aichinger 35 Übersetzer*innen beteiligt.

Neben dem »Kroki/Schritte«-Projekt gab es auch andere – belletristische wie wissenschaftliche – Reihen mit deutschsprachiger Literatur. In den Jahren 1997 bis 2005 hat der Krakauer Verlag Wydawnictwo Literackie die Reihe »Schriftsteller der deutschen Sprache« (Pisarze Języka Niemieckiego) unter der Schirmherrschaft von Karl Dedecius initiiert, in der insgesamt 18 Bände erschienen sind. Auf dem Feld der Popularisierung der deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften in Polen hat sich die 1996 initiierte Reihe »Posener Deutsche Bibliothek« (Poznańska Biblioteka Niemiecka) besonders verdient gemacht, die von den Wissenschaftlern Hubert Orłowski und Christoph Kleßmann betreut wird. Hier erschienen u. a. Werke von Norbert Elias, Walter Benjamin, Reinhart Koselleck und Karl Schlögel.

Erfolgsmodel: Das Kinder- und Jugendbuch

Als Beispiele für gefeierte Übersetzungen werden in der Regel belletristische Titel genannt, im Schatten bleiben andere Bereiche der übersetzerischen Tätigkeit wie wissenschaftliche Werke oder Kinder- und Jugendliteratur. Eine einmalige Karriere auf dem deutschen Buchmarkt macht im letzten Jahrzehnt das polnische Kinderbuch. Dies hängt zuallererst mit der Entstehung und Karriere der sog. Liliputverlage zusammen: Das sind kleine, teilweise familiengeführte Unternehmen, die in Polen nach 2000 mit editorisch anspruchsvollen Büchern für Kinder und Jugendliche stärker in Erscheinung traten. Ein paar Jahre später waren die Bücher bereits auf dem deutschen Markt präsent. Stellvertretend für das gesamte Phänomen sollen hier die Titel von Aleksandra Mizielińska und Daniel Mizieliński genannt werden: »Alle Welt. Das Landkartenbuch« (2013, seitdem mehr als zehn Auflagen), »Unter der Erde« (2016) und das neueste, »Alle Welt zu Tisch« (2021) (übersetzt von Thomas Weiler). Mittlerweile erscheinen mit den Illustrationen aus »Alle Welt« nicht nur Kalender des DuMont Verlags, im Angebot ist sogar eine »Alle Welt«-Picknickdecke. Ein weiterer Erfolgstitel der letzten Jahre ist das Buch »Bienen« von Piotr Socha. 2017 wurde es mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie »Sachbuch« ausgezeichnet. »Mit diesem Sachbilderbuch setzt der polnische Cartoonist Piotr Socha, selbst Sohn eines Imkers, diesen kleinen, aber überaus nützlichen Insekten ein literarisches Denkmal«, heißt es in der Begründung der Jury. Auch diesen Titel hat Thomas Weiler ins Deutsche übertragen.

Nach Polen werden jährlich ca. 90 Lizenzen für Kinder- und Jugendbücher verkauft, dabei spielen Bilder- und Kinderbücher für Leserinnen und Leser bis elf Jahre zahlenmäßig die zentrale Rolle. Auf Polnisch erscheinen Titel von Milena Baisch, Martin Baltscheit oder Andreas Steinhöfel. In einem der bekanntesten »Liliputverlage«, Dwie Siostry, werden u. a. Bücher von Rotraut Susanne Berner, Jutta Bauer, Katharina von der Gathen, Katja Gehrmann, Ulrich Hub, Jörg Mühle und Judith Schalansky veröffentlicht. Erfahrene Übersetzer*innen übertragen Publikationen von Michael Ende, Cornelia Funke, Angela Sommer-Bodenburg, Wolfgang Herrndorf oder Paul Maar. Seit 2009 kann man »Eine Woche voller Samstage« (Maar) und seit 2013 »Tschick« (Herrndorf) in polnischer Übersetzung lesen, die meisten Ausgaben hatten bisher jedoch Angela Sommer-Bodenburg (in den Jahren 2006 bis 2015 insgesamt 20) und Cornelia Funke (im gleichen Zeitraum 19). Der Bereich der Übersetzungen von Kinder- und Jugendliteratur zwischen Deutschland und Polen ist mittlerweile so gut etabliert, dass er zum Forschungsgegenstand der Germanist*innen und Übersetzungswissenschaftler*innen der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen geworden ist.

Das literarische Feld: Verlage und Übersetzer*innen

Von den Verlagen, die bereits vor der Wende in Polen auf dem Markt tätig waren, haben nach 1989 Wydawnictwo Literackie (Krakau), Państwowy Instytut Wydawniczy (PIW, Warschau) und Czytelnik (Warschau) ihr Engagement für die deutschsprachige Literatur fortgesetzt. PIW sorgte für die Sichtbarkeit Hermann Hesses auf dem Büchermarkt, brachte aber auch Wilhelm Genazino und Christoph Ransmayr heraus; im Czytelnik-Verlagsprogramm waren u. a. Titel von Thomas Bernhard und Rüdiger Safranski zu finden. Zu den großen etablierten Verlagen gesellten sich schnell neue Verlagsanstalten in verschiedenen Teilen Polens. So zeigt sich der 1993 in Breslau gegründete ATUT besonders aktiv bei der Herausgabe von deutschsprachigen Autoren. Neben einer »Österreichische Bibliothek« publiziert er auch die Reihe »Neue Bücher aus Deutschland« sowie Titel von Autor*innen aus dem deutschsprachigen Schlesien (»Poetae Silesiae«). Regional orientiert ist ebenso der Verlag Borussia aus Olsztyn (gegründet 1990), der sich für die Verbreitung von Autoren einsetzt, die mit dem ehemaligen Ostpreußen verbunden waren, so z. B. Siegfried Lenz oder Ernst Wiechert (Biblioteka Borussii).

Übersetzungen deutschsprachiger Autor*innen erscheinen regelmäßig in den Verlagen W.A.B. (gegr. 1991, Warschau) – hier u. a. Juli Zeh und W.G. Sebald – und Czarne (gegr. 1996, Wołowiec) – allen voran die Nobelpreisträgerin Herta Müller. Da sich der Czarne-Verlag auch auf Reportage- und Reiseliteratur spezialisiert, brachte er Titel von Wolfgang Büscher, Günter Wallraff und Wolfgang Bauer heraus. Bemerkenswert ist das Angebot des Warschauer Verlags ADiT (Agencja Dramatu i Teatru, gegr. 1995), der für das Theater arbeitet und u. a. eine vierbändige Anthologie des neuen österreichischen und deutschen Dramas (u. a. Marius von Mayenburg, Wolfgang Sréter, Roland Schimmelpfennig, Kerstin Specht, Falk Richter) und Einzelbände mit Theaterstücken von Wolfgang Bauer, Sibylle Berg, Max Frisch oder Rolf Hochhuth publizierte.

Eine Besonderheit auf dem polnischen Buchmarkt bilden Verlage, die von Autor*innen und Übersetzer*innen gegründet wurden: So wird der Posener Verlag A5 (gegr. 1989) von dem Dichter Ryszard Krynicki und seiner Frau Krystyna Krynicka geleitet (verlegt wird vor allem Dichtung, auch in zweisprachigen Ausgaben: Paul Celan, Nelly Sachs, Joachim Sartorius) und der Verlag OD DO (gegr. 2011) von der Übersetzerin Sława Lisiecka (Thomas Bernhard, Barbara Frischmuth, Uwe Timm, Klaus Merz, Esther Kinsky, Peter Härtling, Ilma Rakusa).

Einzelne ins Polnische übersetzte deutschsprachige Titel publizieren Twój Styl (gegr. 1990; Martin Mosebach), Bellona (gegr. 1990; Uwe Tellkamp), Pogranicze (gegr. 1993; Hannah Arendt, Emine Sevgi Özdamar), FA-art (gegr. 1993; Christian Kracht, Katja Lange-Müller), Biuro Literackie (gegr. 1996; Christoph Ransmayr), Austeria (gegr. 1999; Robert Schindel) und Ha!art (gegr. 1999; Lukas Bärfuss).

Auch in Deutschland wird bei der Herausgabe von Übersetzungen polnischer Literatur, v. a. der Belletristik, die Reihe der großen Verlagsanstalten von einer großen Anzahl kleinerer Verlage begleitet. Die Werke von Andrzej Stasiuk und Joanna Bator werden vom Suhrkamp Verlag herausgegeben, doch die meisten polnischen Autor*innen werden in anderen Häusern verlegt, und so teilen sich Rowohlt und Hanser die Lizenzen für den Autor Stefan Chwin und Kiepenheuer und Witsch sowie Rowohlt haben gemeinsam die bekannteste Autorin der jungen Generation, Dorota Masłowska, im Programm. Zudem bringen sich kleine Verlage sehr aktiv in die Verbreitung der polnischen Belletristik ein: Immer häufiger werden Publikationen wahrgenommen und rezensiert, die bei edition.fotoTAPETA (Berlin, u. a. Mikołaj Łoziński, Piotr Paziński, Piotr Szewc), bei Voland & Quist (Dresden, Ziemowit Szczerek) oder im KLAK-Verlag (Berlin, Justyna Bargielska, Lidia Ostałowska) erscheinen. Kurzlebiger waren einige kleine Verlage oder Zeitschriften wie der Rospo-Verlag oder Prospero, die sich nach 1989 mit der polnischen Literatur befasst haben, aber nach einiger Zeit ihre Tätigkeit einstellen mussten.

Ähnlich aktiv sind Verlage in anderen deutschsprachigen Ländern. Dem 2018 gegründeten Schweizer Kampa Verlag war es beispielsweise gelungen, Lizenzen für bereits vorhandene Übersetzungen und neue Titel von Olga Tokarczuk zu erwerben, kurz bevor die Nachricht von der Verleihung des Literaturnobelpreises bekannt wurde, ein Glückslos für den jungen Verlag.

Neben der hier bereits mehrfach erwähnten Prosa wird auch das zeitgenössische polnische Drama ins Deutsche übertragen: Besonders verdient ist auf diesem Gebiet der Übersetzer Andreas Volk, der eng mit Theaterverlagen und -zeitschriften zusammenarbeitet und deutsche Fassungen der Theaterstücke u. a. von Małgorzata Sikorska-Miszczuk, Tadeusz Słobodzianek oder Zyta Rudzka zugänglich macht.

Die Übersetzer*innen leisten auf dem deutsch-polnischen Literaturmarkt oft eine dreifache Arbeit. Sie setzen sich unermüdlich bei Verlagen für ihre Autor*innen ein, sie übertragen die Texte und anschließend treten sie in der Öffentlichkeit für beide ein, indem sie Lesereisen begleiten und oft die Gespräche mit deutschen und polnischen Schriftsteller*innen moderieren und dolmetschen. Die Berufsbedingungen für literarische Übersetzer*innen haben sich in der letzten Zeit dank zahlreicher Fördermaßnahmen deutlich verbessert. Etablierte Übersetzer*innen können mit Stipendien für ihre Tätigkeit rechnen und erhalten Preise für ihre Werke. Junge oder angehende Translator*innen können von Mentor*innenprogrammen profitieren und zusammen mit erfahrenen Kolleg*innen an Weiterbildungen teilnehmen. Der Deutsche Übersetzerfonds finanziert seit geraumer Zeit ViceVersa-Übersetzungswerkstätten für eine Vielzahl von Sprachen, u. a. für das Polnische. So können polnische Übersetzer*innen der deutschen Literatur und deutsche Übersetzer*innen der polnischen Literatur nicht nur gemeinsam intensiv an ihren Texten arbeiten, sondern sich auch gut vernetzen. Polnische und deutsche Übersetzer*innen können außerdem einen Arbeitsaufenthalt im Europäischen Übersetzer-Kollegium (EÜK) in Straelen oder im Literarischen Colloquium Berlin (LCB) absolvieren und deutsche Übersetzer*innen in der Krakauer Villa Decius an ihrem Projekt arbeiten. Zu einer größeren Anerkennung der Übersetzer*innen in beiden Ländern und zu ihrer größeren Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit tragen aber vor allem Übersetzerpreise bei, die mittlerweile parallel zu Literaturpreisen vergeben werden. Im Bereich der deutsch-polnischen Literaturbeziehungen hat in den letzten Jahrzehnten der Karl-Dedecius-Preis eine zentrale Rolle gespielt, der im Zeitraum von 2003 bis 2019 alle zwei Jahre an Übersetzer*innen aus dem Polnischen ins Deutsche und aus dem Deutschen ins Polnische verliehen wurde. Der Preis ging 2003 an Krzysztof Jachimczak und Hans-Peter Hoelscher-Obermaier, 2005 an Maria Przybyłowska und Olaf Kühl, 2007 an Tadeusz Zatorski und Martin Pollack, 2009 an Ryszard Wojnakowski und Renate Schmidgall, 2011 an Ryszard Turczyn und Esther Kinsky, 2013 an Jakub Ekier und Bernhard Hartmann, 2015 an Katarzyna Leszczyńska und Sven Sellmer, 2017 an Eliza Borg und Lisa Palmes und 2019 schließlich an Monika Muskała und Thomas Weiler. (Auch wenn sich die Robert Bosch Stiftung aus der Förderung zurückgezogen hat, wird der Karl-Dedecius-Preis 2022 wieder vergeben; Anm.d.Red.)

Die Robert Bosch Stiftung, die den Karl-Dedecius-Preis finanziell ausgestattet hat, war auf diesem Gebiet bereits 1981 tätig und stiftete zuerst Auszeichnungen für Übersetzer deutscher Literatur ins Polnische (u. a. Sławomir Błaut, Jerzy Prokopiuk, Andrzej Kopacki). Bei der Auslobung der beiden Preise war als Partner der Stiftung das von Karl Dedecius gegründete Deutsche Polen-Institut in Darmstadt aktiv.

Deutsche und polnische Übersetzer*innen erhalten als Anerkennung ihrer Arbeit auch weitere internationale Preise: Der Calwer Hermann-Hesse-Preis ging 2008 an Małgorzata Łukasiewicz und 2020 an die polnische Autorin Joanna Bator und ihre deutsche Übersetzerin Esther Kinsky, den anerkannten Übersetzerpreis der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen erhielt 2012 Sława Lisiecka. Seit 2005 zeichnet jährlich das »Buchinstitut« Übersetzer*innen polnischer Literatur mit dem Transatlantyk-Preis aus: 2005 und 2007 ging er an die deutschen Übersetzer Henryk Bereska bzw. Albrecht Lempp. Zur größeren Sichtbarkeit der Übersetzer*innen der literarischen Werke trägt auch seit seiner Gründung im Jahr 2001 das Übersetzer-Archiv (Karl Dedecius Archiv) an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) bei, das mittlerweile Nachlässe mehrerer Übersetzer*innen polnischer Literatur ins Deutsche beherbergt (neben Karl Dedecius auch Henryk Bereska, Hubert Schumann oder Karin Wolf).

Was braucht der gemeinsame Buchmarkt?

Laut den Statistiken der polnischen Nationalbibliothek (Ruch wydawniczy w liczbach 2019) gehören zu den in Polen meistverlegten (und meist gelesenen?) deutschsprachigen Autoren Johann Wolfgang von Goethe (131 Auflagen seit 1944), Erich Maria Remarque (115), Thomas Mann (92), Franz Kafka (71), Hermann Hesse (54), Anna Seghers (47), Stefan Zweig (41) Günter Grass (38) und Erich Kästner (38). Leider fehlen in der Zusammenstellung der Nationalbibliothek etliche Autor*innen der jüngeren Generationen, allen voran die Nobelpreisträgerin Herta Müller, obwohl allein im Czarne Verlag zehn ihrer Bücher in polnischer Übersetzung von Katarzyna Leszczyńska erschienen sind und etliche in mehreren Auflagen. Trotz ihrer Unvollständigkeit hält die Liste den Zeitgeist des Buchmarktes fest, denn als im Moment erfolgreichste lebende deutsche Schriftsteller*innen in Polen führt sie den Psychotriller-Autor Sebastian Fitzek (mit 27 Buchausgaben seit 2006) und die Kinderbuchautorin Angela Sommer-Bodenburg (mit 23 Ausgaben). Das Bild der Literatur des Nachbarlandes wandelt sich allmählich, die Leser*innen greifen möglicherweise häufiger zur Populärliteratur als zu der sog. hohen Literatur. In Polen werden auch Kriminalromane von Ferdinand von Schirach, Volker Kutscher und Nele Neuhaus gelesen, in Deutschland einzelne Titel der Populärautor*innen Remigiusz Mróz und Katarzyna Bonda. Fest steht auf jeden Fall, dass nach der Zeit der Wahrnehmung der polnischen Literatur durch das Prisma der Lyrik – wie bis in die 1990er Jahre (man denke nur an die Rezeption von Zbigniew Herbert, Tadeusz Różewicz, Czesław Miłosz oder Wisława Szymborska) – die Epoche der Prosa gekommen ist (zuerst wurden Stefan Chwin, Paweł Huelle, Olga Tokarczuk und Andrzej Stasiuk übersetzt).

»Zwischen dem deutschen und dem polnischen Buchmarkt bestehen langjährige, enge Verbindungen. Polnische Verlage sind wichtige Lizenzpartner für deutsche Verlegerinnen und Verleger. (…) In Deutschland ist das Interesse an polnischer Literatur konstant«, heißt es auf der Seite der Frankfurter Buchmesse mit Blick auf den Auftritt Deutschlands im Jahr 2017 in Warschau. In Anbetracht der sinkenden Lizenzverkäufe nach Polen kann man die Aussage mittlerweile als ziemlich optimistisch bezeichnen. Zwar wird die Tendenz noch nicht in der Anzahl der Publikationen sichtbar, die Veränderung wird aber in zwei bis drei Jahren deutlich spürbar sein. Auch ist das große Interesse an der polnischen Literatur, das in Deutschland um das Jahr 2000 entstand, endgültig vorbei. Dank der Initiative von Karl Dedecius und seinem Team können deutsche Leser*innen auf ein großes Spektrum polnischer Klassiker zurückgreifen und wurden zahlreiche Titel der Gegenwartsliteratur um das Jahr 2000 und folgende ins Deutsche übersetzt. Die Erfahrung der letzten 30 Jahre zeigt jedoch, dass trotz der etablierten Position der deutschen Literatur auf dem polnischen Markt und der polnischen auf dem deutschen und deutschsprachigen Markt immer noch gezielte Initiativen und Projekte für die Verbreitung und Popularisierung der Literatur notwendig sind.

Lesetipps / Bibliographie

  • Annegret Gasse, Ausgaben polnischer Belletristik in deutscher Übersetzung 1990 bis 2004. Geschichte, Förderung und Präsenz einer vermeintlich unbekannten Nationalliteratur, Erlangen 2008.
  • Barbara Kowalski, Nur Grass und Schlink oder mehr? Deutsche zeitgenössische Belletristik im literarischen Feld Polens in den Jahren 1989 bis 2009, Dresden 2015.
  • Izabela Surynt, Deutsche Literatur in Polen seit 1989 – Ein Überblick, in: Dieter Bingen, Krzysztof Ruchniewicz (Hg.): Länderbericht Polen, Bonn 2009, S. 531–538.
  • OderÜbersetzen. Deutsch-polnisches Übersetzungsjahrbuch / Karl Dedecius Archiv, 2010ff.

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