Die Konferenz der Botschafter der Republik Polen: Mut und Empathie

Zum Bericht der »Gruppe Grenze« (Grupa Granica): »Die humanitäre Krise an der polnisch-belarussischen Grenze«

Warschau, 3. Dezember 2021

An der polnisch-belarussischen Grenze spielt sich eine Tragödie ab. Die Lektüre des Berichtes der »Gruppe Grenze«: Die humanitäre Krise an der polnisch-belarussischen Grenze (veröffentlicht am 1. Dezember 2021) ist erschütternd. Das Dokument ist eine faktograpische Aufzeichnung des Leides, das Menschen erlitten haben und das ihnen vor allem vonseiten des Lukaschenko-Regimes zugefügt wurde, aber leider auch manchmal vonseiten der polnischen uniformierten Dienste. Es ist ein Zeugnis der Hilfe, die den hungrigen und durchfrorenen Opfern der Politik von Menschen mit einem großen Herzen zuteilwurde. Die Autoren des Berichtes wollen soweit wie möglich gegenüber den politischen Streitigkeiten neutral bleiben. Sie wollen ganz einfach die humanitäre Katastrophe an unserer östlichen Grenze aufhalten und erwarten die Wiederherstellung internationaler Verfahren, die demokratischen Staaten angemessen sind. Dies sind Absichten, die höchste Anerkennung verdienen.

[Die Regierungspartei, d.Übers.] Recht und Gerechtigkeit (Prawo i SprawiedliwośćPiS) ruft dazu auf, dass »Empathie nicht unsere Entschlossenheit untergräbt«. Wessen Entschlossenheit und Entschlossenheit wozu? Mit Sicherheit die Entschlossenheit, die Macht aufrechtzuerhalten. Drei Monate lang hat die PiS behauptet, dass sie die Lage an der Grenze allein bewältigen wird. Sie hat dies in einer Weise gemacht, die charakteristisch für diese Formation ist: Missachtung des internationalen Flüchtlingsrechtes und der entsprechenden Regelungen der Europäischen Union. Indem sie bei den Polen Schrecken vor den Flüchtlingen verbreiten, wollten die Machthaber beweisen, dass Hochmut und Entschiedenheit uns Sicherheit garantieren. Das dient dazu, die Aufmerksamkeit von der Hilflosigkeit der Regierung angesichts der [Corona-, d.Übers.]Pandemie und der außer Kontrolle geratenen Inflation abzulenken. Der Bericht enthält Beweise für rechtswidriges Handeln der Machthaber und Gewaltmissbrauch durch die uniformierten Dienste im Grenzgebiet in einer Weise, die charakteristisch ist für die Ordnungsdienste autoritärer Staaten.

Die Destabilisierung Polens unter Zuhilfenahme von Migranten ist eine Destabilisierung der Europäischen Union. Dies ist das Ziel Lukaschenkos und Putins. Dies wollte die polnische Regierung nicht zur Kenntnis nehmen, weshalb sie die Zusammenarbeit mit den spezialisierten Institutionen der Europäischen Union ablehnte. Die Entschlossenheit des Lukaschenko-Regimes verschärfte die Situation an der Grenze derart, dass Berlin, Paris und Brüssel zum Handeln gezwungen waren. Telefongespräche von Bundeskanzlerin Merkel mit Lukaschenko sowie Präsident Macron mit Präsident Putin und die Androhung von Sanktionen der Europäischen Union gegenüber den Fluglinien, die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Minsk bringen, zeitigten sofortige Wirkung. Erst dann begann die polnische Regierung, Schritte in Richtung Internationalisierung der Situation an der polnischen Grenze zu unternehmen.

Die Grenzen des Staates müssen geschützt werden, aber das lässt sich in Übereinstimmung mit den internationalen rechtlichen Anforderungen machen, insbesondere bei Achtung des Lebens und der Würde der Migranten. Die Verantwortlichen der PiS dagegen nutzen die Situation aus, um zynisch die Angst vor den »Fremden« zu wecken. Niederträchtig ist es, den Bürgern einzureden, dass der Patriotismus rücksichtslose Grausamkeit gegenüber diesen verzweifelten Menschen fordert. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichtes zeugten die auf polnischem Gebiet gefundenen Leichname von Flüchtlingen von der dort stattfindenden Tragödie. Jetzt haben wir die Erzählungen von Zeugen, die in den Bericht aufgenommen wurden. Sie zeigen, dass die Willkür der Machthaber wächst und immer bedrohlicher wird.

Die »Gruppe Grenze« fordert in ihrem Bericht die »Wiederherstellung der rechtlich vorgesehenen Verfahren zur Identifikation von Personen, die die Grenze überqueren.« Jeder Ausländer, der sich legal oder illegal auf polnischem Territorium befindet, hat das Recht, internationalen Schutz zu beantragen.

Dass das gewaltsame Aufhalten der Migranten durch die polnischen Machthaber unwirksam war, zeigt sich daran, dass zirka 10.000 von ihnen in den letzten Monaten illegal aus Belarus über Polen nach Deutschland gelangten. Die Autoren des Berichtes fordern die sofortige Zulassung von humanitärer Hilfe dort, wo sie unerlässlich ist – im Grenzstreifen, sowie die Rückkehr zu einem Handeln in Übereinstimmung mit den internationalen Standards demokratischer Staaten in Polen.

Die »Konferenz der Botschafter« unterstützt diesen Appell mit Nachdruck. Wir rufen insbesondere die demokratische Opposition zu eindeutigem Widerspruch gegen die von der PiS für politische Zwecke herbeigeführte Verschärfung der Krise an der polnisch-belarussischen Grenze auf. Gleichzeitig ist die Ausarbeitung eines langfristigen Planes zur Integration von Migranten unerlässlich. Die Emigranten sind bereits unter uns, es werden immer mehr werden und sie werden in Polen gebraucht.

Die »Konferenz der Botschafter der Republik Polen« spricht ihre große Anerkennung und ihren tiefen Respekt denen aus, die den Migranten an der Grenze zu Belarus Hilfe erteilten und erteilen. Wir danken den Aktivistinnen und Aktivisten der Nichtregierungsorganisationen, die im Rahmen der »Gruppe Grenze« mitwirken, den Bürgern, die im Grenzgebiet wohnen, den Menschen guten Willens, die verängstigte, verirrte und sich häufig in kritischem Zustand befindende Flüchtlinge retten. Sie tun dies trotz der von den Regierungsmedien aufgebauten Antimigrationspsychose und trotz Einschüchterung der Helfer. Wir danken Euch für die Rettung des guten Rufes der Polinnen und Polen.

Eure Empathie und euer Mut verdienen Bewunderung.

Unterschrift:

Die Konferenz der Botschafter der Republik Polen

Die »Konferenz der Botschafter der Republik Polen« ist eine Gruppe ehemaliger diplomatischer Vertreter der Republik Polen. Ihr Ziel ist es, die Außenpolitik zu analysieren, auf Gefahren für Polen hinzuweisen und Empfehlungen zu entwickeln. Wir wollen die breite öffentliche Meinung erreichen. Uns verbindet die gemeinsame Arbeit und Erfahrung in der Gestaltung der Position Polens als moderner Staat Europas und bedeutendes Mitglied der Transatlantischen Gemeinschaft. Wir sind überzeugt, dass die Außenpolitik die Interessen Polens repräsentieren sollte und nicht die der regierenden Partei.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: https://ambasadorowiedotorg.wordpress.com/

Zum Weiterlesen

Analyse

Die "Migrationskrise" an der polnischen EU-Außengrenze mit Belarus

Von Gert Röhrborn
Besonders in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 kam es entlang der östlichen EU-Außengrenze in den baltischen Staaten und in Polen zu einer politisch höchst problematischen und humanitär prekären Situation, in der das belarussische Regime unter Alexander Lukaschenko vor allem Personen aus arabischen und afrikanischen Ländern nach Belarus einfliegen ließ, um so einen künstlichen »Migrationsdruck« auf die EU aufzubauen. Da diesen Menschen insbesondere von der polnischen Seite der Grenzübertritt entschieden und unter Anwendung von Zwangsmitteln, die zumindest in Teilen nicht mit internationalem und polnischem Recht konform waren, verweigert wurde, sie aber von belarussischen Sicherheitskräften ebenfalls mit Gewalt zurück in Richtung Polen getrieben wurden, kampierten viele von ihnen an der Grenze und versuchten verzweifelt und teils auf gewaltsame Weise, doch noch auf EU-Territorium zu gelangen. Der vorliegende Artikel beschreibt den Verlauf dieses Ereignisses und analysiert es mit Blick auf die Situation in Polen. Dabei werden Argumente für die These angeführt, dass die offiziell vertretene geopolitische Perspektive das Geschehen nicht ausreichend erfasst und die gefährlichen gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Reaktion der polnischen Regierung und ihrer europäischen Partner in den Hintergrund drängt.
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS