Einrichtungen der wissenschaftlichen Infrastruktur
Die polnische Wissenschaftslandschaft befand sich nach der Systemtransformation in einer schwierigen Lage und kämpft seit dreißig Jahren darum, zu den führenden Wissenschaftsnationen aufzuschließen. Aufgrund der Beharrlichkeit existierender Strukturen und zahlreicher Partikularinteressen, aber auch wegen fehlender Mittel oder fehlenden politischen Willens waren beim Regierungsantritt der PiS (seit 2015) noch zahlreiche Defizite zu beklagen, selbst wenn bereits zuvor wichtige neue Institutionen geschaffen worden waren – etwa 2007 das Nationale Zentrum für Forschung und Entwicklung (Narodowe Centrum Badań i Rozwoju – NCBR) und 2010 das Nationale Wissenschaftszentrum (Narodowe Centrum Nauki – NCN).
Ein Defizit ging die Regierung unter dem engagierten Wissenschaftsminister Jarosław Gowin rasch an. Denn seit langem hatte die Wissenschaft auf die Notwendigkeit hingewiesen, die internationale wissenschaftliche Vernetzung Polens zu stärken. Die Regierung griff also diese Initiative auf und gründete 2017 – gestützt durch einen parteiübergreifend verabschiedeten Sejm-Beschluss – die Nationale Agentur für Akademischen Austausch (Narodowa Agencja Wymiany Akademickiej – NAWA), für die nicht zuletzt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) Pate gestanden hat. Diese Agentur hat ihre Arbeit rasch aufgenommen, das Jahresbudget liegt für 2022 bei etwa 250 Mio. Zloty. Sie fördert Auslandsaufenthalte oder die Rückkehr nach Polen von arrivierten Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern, unterstützt in- und ausländische Studierende, finanziert Polnisch-Lektoren im Ausland, organisiert Sommerschulen und stärkt die internationale Vernetzung polnischer wissenschaftlicher Einrichtungen. 2020 profitierten knapp 7000 individuelle Antragsteller von NAWA-Programmen.
Gewisse Bedenken hatte die Opposition bei den Beratungen im Sejm nur hinsichtlich der Auswahlkriterien für den Direktor, und tatsächlich sorgte eine Ernennung für Verwunderung: Als im August 2022 ein Vertrauter des nationalkatholischen Bildungsministers Przemysław Czarnek, der 32-jährige Absolvent der Katholischen Universität Lublin Dawid Kostecki, zum Direktor ernannt wurde, wurde dies mit dem Verweis auf seine mangelnde Erfahrung, aber auch auf sein parteipolitisches Engagement (er hatte 2018 für die PiS für den Lubliner Stadtrat kandidiert) kritisiert. Derlei Kritik ist in der polarisierten politischen Öffentlichkeit Polens kein Wunder, doch stehen ohne Auswahlverfahren vorgenommene Besetzungen von Leitungsfunktionen in staatlichen oder staatsnahen Einrichtungen generell unter dem Verdacht, dass zuweilen politische Zuverlässigkeit wichtiger ist als fachliche Kompetenz.
2019 wurde auf Betreiben verschiedener Ministerien nach Konsultationen mit Wissenschaft und Wirtschaft das Forschungsnetzwerk Sieć Badawcza Łukasiewicz gegründet (siehe Dokumentation auf S. 12). Der Sejm hatte das Netzwerk im Februar 2019 nur mit den Stimmen der Regierungsmehrheit beschlossen; ein Kritikpunkt war auch hier die Tatsache, dass die Leitungsposten nicht durch Ausschreibung, sondern durch ministeriale Ernennung besetzt werden sollten (Präsident wurde dann ein Vertrauter von Wissenschaftsminister Gowin, Piotr Dardziński). Das Netzwerk orientiert sich an französischen und deutschen Vorbildern, vor allem der Fraunhofer-Gesellschaft, wobei neben einer besseren Forschungskoordination auch die bessere Verwertung von Forschungsergebnissen in enger Zusammenarbeit mit der polnischen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielt. In seiner Selbstdarstellung betont das nach dem Erfinder der Petroleumlampe Ignacy Łukasiewicz benannte Netzwerk gerade diese anwendungsorientierten Aspekte der Zusammenarbeit: »Das Łukasiewicz-Forschungsnetzwerk ist ein einzigartiges Projekt mit gewaltigem kommerziellem Potential. Es ist ein einheitlicher Player am Markt, der attraktive, vollständige und konkurrenzfähige Geschäftsideen in den Bereichen Automatisierung, Chemie, Biomedizin, Teleinformatik und Materialwissenschaften sowie fortschrittliche Produktionsmethoden liefert. Mit 8000 Mitarbeitern und 26 Forschungsinstituten in zwölf polnischen Städten sind wir das drittgrößte Forschungsnetzwerk in Europa.« Unternehmen mit spezifischen Forschungsbedarfen können sich an die Zentrale des Netzwerks – das Centrum Łukasiewicz – wenden, das in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Mitgliedsinstituten Lösungsansätze erarbeitet. Die Institute des Netzwerks besaßen 2022 einen Grundhaushalt von knapp 2 Mrd. Zloty und Projektmittel in Höhe von etwa 7,5 Mrd. Zloty. Künftig soll das Netzwerk noch stärker Mittel der EU-Forschungsförderung beantragen.
Für die kontroversesten Diskussionen sorgte das Projekt, eine Internationale Kopernikanische Akademie (Międzynarodowa Akademia Kopernikańska) zu gründen, deren Ziel den Ideengebern im Regierungslager zufolge ebenfalls die Internationalisierung der polnischen Wissenschaft sein soll. Kritiker sehen in dem Vorhaben hingegen die Absicht, weitere Parallelstrukturen in der polnischen Wissenschaftslandschaft zu etablieren und eine Kaderschmiede für nationalkonservative Eliten zu gründen.
Aufgabe der Kopernikus-Akademie soll es sein, das Nationale Kopernikus-Programm (Narodowy Program Kopernikański) umzusetzen. Dazu sollen verschiedene Bestandteile gehören: Kopernikus-Stipendien, Kopernikus-Förderprogramme, eine Nikolaus-Kopernikus-Hochschule (Szkoła Główna Mikołaja Kopernika) mit Abteilungen in verschiedenen Städten Polens, Kopernikus-Preise für verschiedene Wissenschaftsbereiche in Höhe von je 500.000 Zloty sowie alle fünf Jahre ein Welt-Kopernikus-Kongress in Thorn (Toruń). Die Akademie soll »Kammern« für folgende Disziplinen besitzen: Astronomie, Mathematik und Naturwissenschaften; Medizin; Wirtschaft und Verwaltung; Philosophie und Theologie; Rechtswissenschaften. Außerdem soll es eine Kammer für die Träger des Kopernikus-Preises geben. Der Akademie sollen maximal 100 arrivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angehören, die durch den polnischen Staatspräsidenten ernannt werden – die erste Generation auf Antrag des Wissenschaftsministers. Ein Akademiezentrum soll die Organisation von Tagungen und die Projektbegleitung übernehmen. Es ist geplant, »Akademie-Botschafter« zu ernennen, deren Aufgabe es ist, mit Hilfe von Förderprogrammen polnische Wissenschaft, Kultur, Geschichte und »nationales Erbe« im Ausland zu propagieren.
Die Kritik an diesem seit 2021 vom PiS-Umfeld lancierten Projekt reißt nicht ab. Es heißt, damit solle eine politisch von der nationalkonservativ-katholisch geprägten Regierung kontrollierte Konkurrenz zur weitgehend autonom verwalteten Polnischen Akademie der Wissenschaften (Polska Akademia Nauk – PAN), zur Polnischen Akademie der Gelehrsamkeit (Polska Akademia Umiejętności) oder auch zu anderen existierenden wissenschaftlichen Einrichtungen geschaffen werden. PAN-Präsident Jerzy Duszyński befürchtete 2021 sogar die Schließung oder Schrumpfung der PAN auf Kosten der kostspieligen neuen Akademie, was angesichts der massiven Kritik von Minister Czarnek an der PAN durchaus in die politisch hitzigen Debatten zu passen schien.
Besonders scharf bemängelt wurde, dass die erste Generation von Akademiemitgliedern vom nationalkatholischen Bildungs- und Wissenschaftsminister Czarnek bestimmt werden soll. Massive Kritik kam etwa von der polnischen Rektorenkonferenz, die in der neuen Einrichtung die wissenschaftliche Autonomie gefährdet sah. Auch die Generalversammlung der PAN oder der Beirat des Nationalen Wissenschaftszentrums sprachen sich klar gegen die neue Akademie aus. Bemängelt wurde etwa, dass die Geisteswissenschaften lediglich von Philosophie und Theologie vertreten werden, was als ein deutlicher Hinweis auf die erwünschte weltanschauliche Richtung der neuen Institution gesehen wurde. Dieser Auffassung schloss sich im Mai 2022 die von der Opposition dominierte zweite Parlamentskammer, der Senat, an, der das Projekt als politisiert ablehnte. Der Sejm überstimmte den Senat im Juni 2022 mit knapper Regierungsmehrheit; Staatspräsident Andrzej Duda unterschieb das Gesetz wenig später, am 1. September 2022 ist es in Kraft getreten. Die vorgesehenen jährlichen Kosten in Höhe von 25 Mio. Zloty scheinen allerdings angesichts der vielfältigen Absichten sehr gering angesetzt zu sein.
Minister Czarnek jedenfalls ist begeistert von der von ihm lancierten und forcierten Idee: »Wir haben etwas geschaffen, an das viele seit Jahrzehnten gedacht haben, wir haben eine elitäre Hochschule geschaffen […]. Hier werden wir die künftigen polnischen Eliten ausbilden. […] Wir brauchen Eliten, wir brauchen Elitenbildung, und genau dafür ist die Kopernikanische Akademie erdacht worden.« Die internationale Ausrichtung solle sich vor allem an Staaten der Drei-Meeres-Initiative wenden. Auf die Bedeutung der universitären Zusammenarbeit in diesem Staatenbündnis angesprochen, antwortete Minister Czarnek in einem anderen Interview: »Wenn diese Zusammenarbeit im humanistischen Bereich stattfinden soll, so soll sie sich auf die Verteidigung christlicher Werte konzentrieren. An vielen Orten verabschiedet sich Europa vom Christentum, ja bekämpft es sogar, während die Drei-Meeres-Initiative ein Ort in Europa ist, der sich hinsichtlich der Treue zu den christlichen Werten irgendwie hält. Das muss man nutzen, um unsere Zivilisation zu retten.« Insofern scheinen die Hoffnungen, die das Regierungslager mit der neuen Akademie verbindet, klar zu sein; die Befürchtungen aus großen Teilen der Wissenschaft könnten sich bewahrheiten. Eröffnet werden soll die Akademie zum 550. Geburtstag von Nikolaus Kopernikus am 19. Februar 2023 mit einem großen Kongress in Thorn.
Ähnliche Funktionen wie die geplante Kopernikanische Akademie hat bereits ein Institut, das im Februar 2021 von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ohne vorherige Konsultationen gegründet worden ist. Allerdings waren die Aufgaben des Instituts De Republica (Instytut De Republica) der Öffentlichkeit zunächst unklar. Die Tageszeitung Rzeczpospolita hatte in der Kanzlei des Ministerpräsidenten nachgefragt, wo niemand wusste, was das mit 16 Mio. Zloty (2022: 21 Mio.) und etwa 30 Stellen ausgestattete Institut eigentlich tun solle. Auf seiner Homepage heißt es – sogar auf einer im Aufbau befindlichen deutschsprachigen Seite – überaus vage: »Das Institut De Republica fördert und popularisiert die polnische Wissenschaft in Polen und im Ausland, indem es bedeutende wissenschaftliche Veröffentlichungen herausgibt, Forschungs-, Bildungs- und Ausbildungsprojekte durchführt und wissenschaftliche Konferenzen und Seminare organisiert.« Die Projekte sollen sich, so erfährt man auf der polnischen Institutsseite, mit der »Idee der Staatlichkeit« beschäftigen, und das Institut wolle »eine moderne Einrichtung von Fachexperten und Experten für Öffentlichkeitsarbeit sowie Verlagsfragen« werden, und zwar »für im In- und Ausland unterschätzte Wissenschaftsgebiete, die für das richtige Verständnis von Geschichte und gesellschaftlichen Phänomen so wichtig sind«.
Direktor des Instituts wurde der Jurist Bogumił Szmulik, ein Professor der katholischen Kardinal-Wyszyński-Hochschule, der schon lange zum PiS-Umfeld gehört und für die Regierung Gutachten schrieb (im August 2022 stand er allerdings nicht mehr auf der Instituts-Homepage). Auch die Mehrzahl des Institutsbeirats besteht aus regierungsnahen Personen. Wie das regierungskritische Internetportal oko.press Ende 2021 recherchierte, hatte das Institut bis dahin zwei Luxus-Dienstwagen angeschafft, war in ein repräsentatives Gebäude eingezogen und wollte für 170.000 Zloty 1000 Seidenschals und 1000 Seidentücher, 1000 Regenschirme, Ledergeldbörsen (149.000 Zloty), vegane Weihnachtskerzen und andere Dinge als Werbegeschenke bestellen. Aber abgesehen von Werbegeschenken gab es auch inhaltliche Akzente, etwa ein Joseph Conrad Fellowship, in dessen Rahmen »die wichtigsten polnischen und ausländischen Vertreter aus der Welt der Kultur und der Wissenschaft« eingeladen werden, um künstlerische und wissenschaftliche Projekte durchzuführen. Unter den Gästen des Programms finden sich Vertreter unterschiedlicher politischer Milieus, womit die Ankündigung des Direktors, »lagerübergreifend tätig zu werden«, zumindest teilweise eingelöst wurde. Neben Workshops zu Fragen der Gesetzgebung und zu europäischen Problemen fanden mehrere Konferenzen statt, die ebenso wie die für 2022 geplanten zum Teil auf patriotische Jahrestage eingehen (etwa zum Dritten Oberschlesischen Aufstand oder zum 180. Geburtstag der Dichterin Maria Konopnicka). Eine dreitägige Konferenz im Warschauer Königsschloss widmete sich aus Anlass des 250. Jahrestags der Ersten Teilung Polens der Frage »Wozu brauchen wir die Unabhängigkeit?«. Direktor Szmulik gab auch gleich die Antwort – sie sei nötig, um »die nationale Identität zu wahren« und »die Souveränität nicht zu verlieren«.
Als besonders wichtig erachtete das Institut den raschen Aufbau eines eigenen wissenschaftlichen Verlags, obgleich es in Polen zahlreiche kommerzielle und nicht-kommerzielle Wissenschaftsverlage gibt. Er wurde sofort vom Wissenschaftsministerium in die Spitzengruppe jener Verlage aufgenommen, bei denen Veröffentlichungen viele Punkte erhalten, die in Polen als Ausweis für wissenschaftliche Exzellenz gelten. Dieser Verlag hat bislang neun Bücher zu sehr unterschiedlichen Themen und ein Zeitschriftenheft herausgegeben; für 2022 waren laut Aussage des Institutsleiters 70 weitere Titel in Vorbereitung – darunter viele zu rechtshistorischen Fragen. Das Institut wird außerdem Preise in fünf Kategorien verleihen.
Neue Förderorganisationen
Die PiS-Regierung hatte ihre Amtszeit mit zahlreichen Thesen begonnen, von denen eine lautete, dass die meisten wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen von Vertretern des liberalen und linken »Establishments« dominiert würden. Eines der Hauptziele der PiS und ihrer Verbündeten war es deshalb seitdem, bestehende Institutionen mit Parteigängern zu besetzen oder, wenn dies aufgrund der Trägerstruktur nicht gelang, Parallelorganisationen zu gründen oder schließlich völlig neue institutionelle Lösungen zu entwickeln.
Eine Erkenntnis der PiS war, dass die Art der zur Verfügung stehenden Förderinstrumente für kulturelle und wissenschaftliche Vorhaben nicht ausreichte oder aber sie an strenge Vergabekriterien gebunden waren. Deshalb gründete sie bereits 2016 die Polnische Nationalstiftung (Polska Fundacja Narodowa), die von 17 Unternehmen im Staatsbesitz mit Mitteln ausgestattet wurde. 2021 schüttete die Stiftung mehr als 43 Mio. Zloty für 25 Projekte aus (2020: 66 Mio., 2019: 115 Mio.), die größtenteils keinen wissenschaftlichen Fokus hatten, sondern der Werbung für Polen im weitesten Sinne und der Unterstützung einzelner Sparten des öffentlichen Lebens diente. So gingen mehr als 8 Mio. Zloty an ein Schulungsprogramm für künftige polnische Hochseesegler, um durch die Beteiligung Polens an Hochseeregatten Werbung für Polen zu machen. Offensichtlich hat die Stiftung auch die Vorbereitung des von der polnischen Regierung am 1. September 2022 vorgelegten Gutachtens zu Reparationsforderungen gegenüber Deutschland massiv unterstützt. Die Stiftung steht aufgrund ihrer unklaren Vergabepraxis und der deutlich weltanschaulichen Förderpräferenzen seit Jahren in der Kritik.
Die Gründung eines Instituts, das die Politik der Regierung gegenüber den NGOs koordinieren sollte, war bereits Bestandteil des PiS-Wahlprogramms 2015. 2017 wurde das Nationale Institut der Freiheit – Zentrum für die Entwicklung der Zivilgesellschaft (Narodowy Instytut Wolności – Centrum Rozwoju Społeczeństwa Obywatelskiego) gegründet, mit dem Ziel, vereinfachte Antrags- und Fördermöglichkeiten für nichtstaatliche Akteure zu schaffen. Die Opposition vermutete auch hier den Versuch der Regierung, ihr weltanschaulich nicht genehme Initiativen auszubremsen und dafür regierungsnahe, katholische oder nationale Initiativen zu bevorzugen. Nicht alle Befürchtungen haben sich bewahrheitet, wohl aber hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass das dem Kulturministerium unterstellte Zentrum regierungskritische oder weltanschaulich linke bzw. liberale Anträge benachteiligt. PiS-nahe Initiativen werden selbst dann gefördert, wenn sie keine nachweisbare Aktivität vorweisen können. Auch Anträge aus dem ultrakatholischen Milieu der Organisation »Ordo Iuris« werden bevorzugt. Die Vergabetendenzen sind eindeutig. In einem Förderpaket für 2022 wurden zum Beispiel rund 80 Mio. Zloty an 389 NGOs vergeben, wobei jedoch nach der eigentlichen Beurteilung die Wertung für 19 Projekte nachträglich verschlechtert und für 19 andere verbessert wurde – zum Teil für solche, die nachweislich aus dem PiS-Umfeld stammten. In der Förderschiene »Entwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen« wurden im Mai 2022 27 Anträge mit einer Fördersumme von 3,2 Mio. Zloty bewilligt, von denen die meisten aus dem PiS-Umfeld oder von nationalkonservativen und katholischen Organisationen stammten.
Institutionen mit bilateraler Wirkung
Gleich nach der Übernahme der Amtsgeschäfte schickte sich die PiS-Regierung an, die Landschaft der Institutionen mit bilateralem Auftrag umzugestalten. Einer der ersten »Nutznießer« war Ende 2015 das traditionsreiche, seit 1944 bestehende West-Institut (Instytut Zachodni) in Posen (Poznań), das jahrelang dem Außenministerium bzw. dem Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen unterstand und unter einer prekären Finanzierung litt. Nun wurde es direkt der Kanzlei des Ministerpräsidenten unterstellt und erhielt neben einer besseren Mittelausstattung (Haushalt 2022: 4,2 Mio. Zloty) auch einen deutlich politischeren Auftrag. Dies zeigte sich u. a. an der Besetzung der Leitung und Gremien: Direktorin wurde 2017 die langjährige Mitarbeiterin des PiS-Politikers und Bremer Professors Zdzisław Krasnodębski, die Wirtschaftswissenschaftlerin Justyna Schulz. In den Beirat des um die wissenschaftliche Beschäftigung mit Deutschland und den deutsch-polnischen Beziehungen verdienten Hauses traten ebenfalls PiS-nahe Persönlichkeiten ein, neben Krasnodębski etwa der für seine extremen Positionen bekannte Historiker Bogdan Musiał. Das West-Institut befasst sich mittlerweile mit viel mehr als nur den deutsch-polnischen Beziehungen, kulturellen Überlagerungen und Fragen der Westintegration Polens, so zum Beispiel mit zivilisationskritischer, nationalkonservativer Geschichtsphilosophie.
Eine Leerstelle in der institutionellen Landschaft wurde durch die Gründung eines für bilaterale Beziehungen zuständigen Instituts geschlossen: Auf persönliche Initiative von PiS-Chef Jarosław Kaczyński und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán entstand 2018 das Wacław Felczak-Institut für Polnisch-Ungarische Zusammenarbeit (Instytut Współpracy Polsko-Węgierskiej im. Wacława Felczaka). Das Institut bemüht sich darum, die Person des Namensgebers mit Ausstellungen und Publikationen bekannter zu machen. Felczak war ein für die bilateralen Beziehungen verdienter Historiker und antikommunistischer Aktivist, der Ende der 1980er Jahre Viktor Orbán dazu bewegt haben soll, sich politisch zu engagieren. Das Institut versucht seit seiner Gründung, die Werte eines konservativen Europas hervorzuheben, die sich die Regierungen Ungarns und Polens auf die Fahnen geschrieben haben. Es organisiert eine jährliche polnisch-ungarische Sommerschule unter Beteiligung von Politprominenz aus beiden Ländern; ihre Teilnehmer sind offensichtlich, wie das Portal »Visegrád Post« mit Genugtuung berichtete, größtenteils Studierende katholischer Hochschulen aus Polen und Ungarn sowie Vertreter von Pro-Life-Organisationen. Das Institut vergibt auch Stipendien, setzt sich für Ungarisch-Sprachkurse ein und unterstützt Buchveröffentlichungen – etwa »Polen und Ungarn für die Verteidigung Europas«. Außerdem verleiht es einen Preis mit dem Namen »Wächter der Werte – Custos Virtutum«, dessen erster Preisträger 2019 der für seine besonders konservativen Ansichten bekannte Erzbischof Marek Jędraszewski war – die Preiszeremonie fand in Anwesenheit von Ministerpräsident Morawiecki, Kulturminister Piotr Gliński, Justizminister Zbigniew Ziobro und Sejm-Vizemarschall Ryszard Terlecki statt, was die symbolische Bedeutung des Instituts unterstrich. Die Website des mit etwa 6 Mio. Zloty Jahresbudget ausgestatteten Instituts verrät wenig weitere Aktivitäten, dem Facebook-Auftritt und der Website zufolge war es im August 2022 an einem »Familien-Kavallerie-Picknick« beteiligt, ansonsten werden im digitalen Raum vor allem Ereignisse aus Gegenwart und Geschichte Ungarns und der bilateralen Beziehungen sowie Auftritte des Direktors in regierungsnahen Medien präsentiert, was seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine angesichts von Ungarns Sympathien für Putin gewisse Herausforderungen mit sich bringt.
Zwei weitere Instituts-Neugründungen beschäftigen sich insbesondere mit einzelnen Aspekten der deutsch-polnischen Nachbarschaft. Im Herbst 2021 wurde das Jan Karski-Institut für Kriegsverluste (Instytut Strat Wojennych im. Jana Karskiego) gegründet, dessen Ziel es ist, »wissenschaftliche Forschungen anzustoßen und durchzuführen, die eine vielschichtige Feststellung und Beschreibung der Folgen des Zweiten Weltkriegs für die Republik Polen, aber auch für Ostmitteleuropa beabsichtigen«. Mit einem vorgesehenen Jahresetat von ca. 15 bis 20 Mio. Zloty soll das nach einem legendären Kurier der Heimatarmee (Armia Krajowa) benannte Institut die Arbeiten der vom PiS-Abgeordneten Arkadiusz Mularczyk seit 2017 geleiteten Sejm-Kommission zur »Schätzung der Höhe der Polen von Deutschland für die während des Zweiten Weltkriegs verursachten Schäden zustehenden Entschädigungen« fortsetzen. Nach Expertenkommentaren ging es mit der Gründung darum, die fortwährende Verschiebung der Veröffentlichung des von der Parlamentskommission vorbereiteten Berichts mit neuen Forschungen zu begründen. Denn die beständigen Drohungen der PiS-Regierung gegenüber Deutschland, immense Reparationsforderungen zu erheben, stoßen bei einem Großteil der Fachwelt auf erhebliche Skepsis. Mularczyk, der auch Vorsitzender des Institutsbeirats ist, erklärte vor wenigen Wochen: »Eine solche Forschungsinstitution hat es im heutigen Polen bislang nicht gegeben, sie ist aber höchst notwendig, denn wie wir sehen, ist die Problematik der Folgen und Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs sowie der Kriegsverluste jahrelang ganz einfach vernachlässigt worden, was bis heute negative Konsequenzen hat«. Wer genau Mitglied des 13-köpfigen Beirats ist, lässt sich übrigens in öffentlich zugänglichen Materialien nicht recherchieren.
Als Direktor des Instituts, das auch ein Dreivierteljahr nach seiner Gründung noch keine eigene Website besitzt, wurde der für seine radikalen, deutschlandkritischen Ansichten bekannte deutsch-polnische Historiker Bogdan Musiał ausgewählt. Er setzte sich dafür ein, den angeblich bereits weitgehend fertiggestellten Bericht noch einmal zu überarbeiten. In einem Interview mit der Tageszeitung Gazeta Olsztyńska sagte er vor wenigen Wochen: »Vieles wird von der Qualität des Berichts abhängen. Wenn es in ihm Fehler geben wird, wenn er schlicht und ergreifend schwach sein wird, werden wir eine Debatte über die Qualität des Berichts haben und nicht über die uns zugefügten Schäden und über die Höhe der Entschädigung. Die andere Seite wird dann gerne diskutieren wollen, aber über die Fehler im Bericht.« Er sprach sich außerdem dafür aus, zunächst alle rechtlichen Wege auszuloten, auf denen Polen seine Reparations- und Wiedergutmachungsansprüche vorbringen könnte. Zudem hatte Musiał mit dem Hinweis auf mögliche negative Auswirkungen auf das polnisch-israelische Verhältnis darauf gedrängt, die Verluste der jüdischen Staatsbürger Polens von den Verlusten aller anderen Staatsbürger zu trennen und die Zahlen des Berichts neu zu überprüfen. Offensichtlich passte dies Mularczyk nicht, weil er und Parteichef Kaczyński die Veröffentlichung eines Teils des Berichts bereits für den 1. September 2022 angekündigt hatten – und so verlor Musiał seinen Job Mitte August auch schon wieder. Zum neuen Direktor des Instituts wurde der Lodzer Wirtschaftswissenschaftler Mirosław Kłusek ernannt, der unter anderem zu den polnischen Kriegsverlusten forscht und – anders als Musiał – erhebliche Teile des am 1. September tatsächlich veröffentlichten Berichts verfasst hat.
Ein weiteres Institut, das direkt aus der deutsch-polnischen Nachbarschaft heraus entstand, ist das Hl. Maximilian Kolbe-Institut zur Entwicklung der Polnischen Sprache (Instytut Rozwoju Języka Polskiego im. Świętego Maksymiliana Marii Kolbego). Das im Frühjahr 2022 beschlossene Institut wird allerdings kaum dazu geeignet sein, die deutsch-polnischen Beziehungen zu verbessern, denn ein Teil seiner Mittel (2022: 15 Mio. Zloty, ab 2023 sind jeweils 92 Mio. Zloty vorgesehen) stammt aus den Geldern, die eigentlich für Deutschunterricht in den Regionen vorgesehen waren, in denen die deutsche Minderheit in Polen lebt. Da eine These der PiS-Regierung lautet, Deutschland komme seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den in Deutschland lebenden Polen nicht nach, soll nun offensichtlich auf Kosten der in Polen lebenden Deutschen der private Polnisch-Unterricht in Deutschland finanziell unterstützt werden, der zu einem erheblichen Teil im Umfeld polnischer katholischer Kirchen erteilt wird (dazu passt auch der Namenspatron des Instituts, ein deutschstämmiger Franziskaner, der sich während des Zweiten Weltkriegs als KZ-Häftling für einen polnischen Familienvater aufopferte, aufgrund seiner judenfeindlichen Äußerungen allerdings nicht unumstritten ist). Die Ambitionen des Ministeriums gehen jedoch noch weit darüber hinaus: Im soeben veröffentlichten Gesetzesentwurf (siehe Dokumentation auf S. 11f.) ist davon die Rede, neben dem Schwerpunkt Deutschland auch alle anderen im Ausland lebenden Polen zum Tätigkeitsgebiet des Instituts zu machen, um »die polnische Tradition und den Wert der polnischen Sprache zu kultivieren«, um »bei der Polonia und den Polen im Ausland für die polnische Kultur zu werben« und »die nationale Identität zu wahren«. Dazu sollen polnische Botschaften und Konsulate weltweit genutzt werden. Zwischen 2015 und 2020 hatte der Senat der Republik Polen die finanzielle Unterstützung für die Polonia weltweit koordiniert, seitdem werden die Mittel von verschiedenen Ministerien vergeben – wie es hieß, vor allem deshalb, weil im Senat seit den Wahlen 2019 die Opposition die Mehrheit besitzt. Wie das Institut personell besetzt wird und welche Förderpolitik es beschreiten wird, bleibt abzuwarten. Die Kürzung der Mittel für den muttersprachlichen Deutschunterricht für die deutsche Minderheit in Polen ist jedenfalls von Seiten der deutschen Politik heftig kritisiert worden.
Mit Polens Nachbarschaften im östlichen Europa beschäftigt sich das 2018 ins Leben gerufene Mitteleuropa-Institut (Instytut Europy Środkowej) in Lublin, das – auch wenn es sich stärker Gegenwartsfragen zuwendet – im Grunde das dort zuvor bestehende, stark historisch ausgerichtete Ostmitteleuropa-Institut fortführt. Diese vom Außenministerium geförderte Einrichtung war von dem renommierten Historiker Jerzy Kłoczowski gegründet worden. Seit ihrer Umwandlung untersteht sie der Kanzlei des Ministerpräsidenten (was wie beim West-Institut eine bessere finanzielle Absicherung, aber auch politische Erwartungshaltungen bedeutet). Seine Aufgaben definiert das Institut folgendermaßen: »Die Mission des Mitteleuropainstituts ist es, die Außenpolitik der Republik Polen inhaltlich zu unterstützen, indem es qualitativ hochwertige wissenschaftliche und analytische Tätigkeiten unternimmt sowie polnischen Interessenten sachkundiges Wissen über gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Prozesse vermittelt, die in Mitteleuropa und seiner Nachbarschaft vor sich gehen und die den Ort und die Rolle Polens in diesen Prozessen betreffen.« Damit besitzt es ähnliche Aufgaben wie das Zentrum für Oststudien (Ośrodek Studiów Wschodnich – OSW) in Warschau, das ebenfalls der Kanzlei des Ministerpräsidenten untersteht – eine verblüffende Doppelung der Aufgaben. Der Jahresetat für 2022 ist mit 3,9 Mio. Zloty angesetzt.
Institutionen der Geschichtspolitik
Über das 2016/17 gegründete Pilecki-Institut, mit vollständigem Namen Witold Pilecki-Institut für Solidarität und Tapferkeit (Instytut Solidarności i Męstwa im. Witolda Pileckiego), ist auch in Deutschland bereits viel berichtet worden. Das Institut ist finanziell üppig ausgestattet – der Jahresetat 2022 wuchs auf rund 45 Mio. Zloty, außerdem erhielt es 2021 155 Mio. Zloty für Investitionen in den kommenden Jahren; schon 2020 belief sich alleine der Etat der Filiale Berlin auf 8 Mio. Zloty. Es untersteht dem Kulturministerium; die damalige stellvertretende Kulturministerin Magdalena Gawin, auf deren Initiative hin das Institut ursprünglich als Forschungszentrum gegründet worden war, wurde 2022 Direktorin. Dem Gesetz über das Institut zufolge soll das Pilecki-Institut »lebende, verstorbene oder ermordete Personen ehren und in Erinnerung rufen, die sich sowohl im Inland wie auch im Ausland darum verdient gemacht haben, die Erinnerung an polnische Staatsbürger oder Polen mit anderer Staatsangehörigkeit zu pflegen oder ihnen Hilfe zu leisten, die Opfer sowjetischer Verbrechen, nationalsozialistischer deutscher Verbrechen, von Verbrechen aus nationalistischen Motiven oder Opfer anderer Verbrechen waren, die ein Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen waren, und zwar zwischen dem 8. November 1917 und dem 31. Juli 1990«. Außerdem sollen historische Forschung betrieben, Zeitzeugenberichte gesammelt und Wissen popularisiert werden. Letztlich konzentrierte sich die Arbeit zunächst darauf, Wissen über polnische, vornehmlich nicht-jüdische Opfer zu sammeln, auch über Personen, die während des Kriegs Juden geholfen haben und deshalb von den Deutschen umgebracht wurden. Dadurch soll das Institut – wie Magdalena Gawin bereits 2016 in einem Interview sagte – der Diffamierung von Polen entgegenwirken. Das auch als »polnisches Yad Vashem« bezeichnete Institut hat in den letzten Jahren nicht nur in Polen eine intensive Tätigkeit entfaltet, sondern seit 2019 auch in seiner direkt am Brandenburger Tor gelegenen, repräsentativen Filiale, die es mit einem vielfältigen Programm geschafft hat, von der deutschen intellektuellen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Vize-Kulturminister Jarosław Sellin lässt an der Aufgabe dieser Filiale keinen Zweifel: Sie »kämpft auf dem Gebiet Deutschlands um die polnische Gedenkpolitik, die polnische Geschichtspolitik«.
Das Pilecki-Institut hat für das aus dem 19. Jahrhundert stammende gefährdete Polen-Museum im schweizerischen Rapperswil, dessen bisheriger Sitz im dortigen Schloss gekündigt worden ist, kürzlich ein neues Gebäude gekauft – für angeblich 120 Mio. Zloty – und möchte auch in New York und Tel Aviv Filialen gründen; in der polnischen Kleinstadt Augustów hat es bereits ein historisches Gebäude erworben, um hier eine Ausstellung für den kommunistischen Terror gegen antikommunistische Widerstandskämpfer zu eröffnen.
Bei Beratungen im polnischen Parlament 2021 wurde angemahnt, dass eigentlich auch das bestehende Netz an polnischen Kulturinstituten im Ausland für »historische Diplomatie« verwendet werden könne, allerdings fand ein großer Teil der Opposition die Arbeit des Pilecki-Instituts unterstützenswert und vorbildlich und stimmte für die Ausweitung der Aufgaben. Neben seiner geschichtspolitischen Arbeit im In- und Ausland besitzt das Institut eine Abteilung für Totalitarismus-Forschung sowie ein Archiv – ähnliche Funktionen besitzen auch das Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej – IPN) sowie weitere Einrichtungen. Im Frühjahr 2022 gründete es ein nach dem Juristen Rafał Lemkin – der 1943 den Begriff »Genozid« geprägt hatte – benanntes Dokumentationszentrum für russische Kriegsverbrechen in der Ukraine. Mit Schritten wie diesen erregt das Pilecki-Institut immer wieder öffentliche Aufmerksamkeit, wobei offen bleibt, wie nachhaltig und vor allem wie sehr mit den entsprechenden ukrainischen Stellen abgestimmt diese Initiative ist.
Polnische Kritiker werfen dem Institut nicht nur vor, unreflektiert polnische Helden kreieren und jüdische Kriegserfahrungen relativieren zu wollen, sondern sie bemängeln auch, dass zahlreiche traditionsreiche wissenschaftliche Einrichtungen in Polen unterfinanziert seien, während das Pilecki-Institut nur so im Geld schwimme, aber keine transparenten Prozeduren bei der Vergabe von Fördergeldern besitze.
Einen wahren Privatkrieg führen der in Kanada lehrende polnische Holocaustforscher Jan Grabowski und das Pilecki-Institut. Grabowski wirft dem Institut fehlende Wissenschaftlichkeit und politische Auftragsarbeit vor (etwa indem es an vielen Orten Polens Denkmäler für polnische Judenretter aufstelle), aus dem Umfeld des Instituts heißt es, Grabowski schade dem polnischen Ansehen in der Welt. Bezeichnend für den Kampf der PiS-nahen Kreise gegen Grabowski oder auch das von Barbara Engelking geleitete Zentrum für Holocaust-Forschung an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, mit dem Grabowski eng zusammenarbeitet, sind E-Mails des rechten Publizisten Bronisław Wildstein an Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, die im Zuge einer seit Monaten tröpfchenweise erfolgenden Veröffentlichung vertraulicher Mail-Korrespondenzen aus dem Umfeld Morawieckis bekannt geworden sind. Wildstein schrieb 2018 an seinen Duz-Freund Morawiecki: »Das grundlegende Problem, das wir in den Beziehungen zu den Juden haben, beruht darauf, dass unsere Feinde die Kontakte mit ihnen monopolisieren. […] Das Zentrum für Holocaust-Forschung präsentiert einen geradezu obsessiven Hass auf die Polen. Jan Grabowski, der nach links und rechts erklärt, die Polen hätten ca. 200000 Juden ausgeliefert oder ermordet, behauptet, dass man sich mit der Frage der Hilfe für Juden von Seiten der Polen erst nach der Erforschung unserer Verbrechen befassen kann […]. Barbara Engelking ist ähnlich, wie auch ihre gesamte Mannschaft. […] Das Jüdische Historische Institut, das Polin-Museum [für die Geschichte der polnischen Juden] sind nicht viel besser … Man müsste ihren Status analysieren und die Möglichkeit, langsam andere Leute dort hineinzubringen.«
Während das im Polin-Museum aufgrund der Trägerstruktur nicht so einfach möglich war (allerdings wurde die Weiterbeschäftigung des bisherigen Direktors Dariusz Stola verhindert), ist das Jüdische Historische Institut (Żydowski Instytut Historyczny) mittlerweile tatsächlich mit neuem Personal versehen worden. Quasi als PiS-Gegengründung zum Polin-Museum wird derzeit übrigens das Museum für das Warschauer Ghetto (Muzeum Getta Warszawskiego) konzipiert (vgl. auch Polen-Analysen 259).
Die PiS-Regierung hat einige weitere Institute gegründet, die sich vorrangig mit historischen Themen beschäftigen. Im Falle des Instituts für das Solidarność-Erbe (Instytut Dziedzictwa Solidarności) in Danzig (Gdańsk) handelt es sich um eine Gegengründung zum Europäischen Solidarność-Zentrum (Europejskie Centrum Solidarności – ECS): Dieses besitzt, ähnlich wie das Polin-Museum, verschiedene Träger – neben dem Kulturministerium etwa die Stadt Danzig –, weshalb es von der Regierung trotz mancher Versuche nicht »übernommen« werden konnte und ein Freiraum für kreatives und kritisches Denken geblieben ist. Und so gründete das Kulturministerium gemeinsam mit der (regierungsfreundlichen) Gewerkschaft Solidarność 2019 das neue Institut, das auch schon über einen Ausstellungsort verfügt – den historischen BHP-Saal, in dem 1980 die Vereinbarung zwischen den streikenden Arbeitern und der kommunistischen Regierung unterzeichnet wurde. Die Aufgabengebiete des Instituts ähneln denen, die das ECS ohnehin schon übernimmt, nämlich die Geschichte der Solidarność in gesellschaftlichen und politischen Kontexten der Zeit. Im Beirat sitzen prominente Vertreter aus regierungsnahen Kreisen, darunter viele, die dem Wirken der Solidarność-Legende Lech Wałęsa kritisch gegenüberstehen. Die Aktivitäten sind bislang eher bescheiden – es wurden einige Ausstellungen vorbereitet, darunter zu Lech Kaczyński, einst Oppositioneller und später Staatspräsident (2005–2010), zum Ministerpräsidenten-Vater Kornel Morawiecki, Aktivist in der antikommunistischen Opposition, und zu Priestern im Solidarność-Umfeld; es sind einige Publikationen erschienen, zwei Podcasts sowie einige Zeitzeugen-Videos. Für den Kauf eines Institutssitzes wurden 2019 14 Mio. Zoty bereitgestellt.
Seit 2020 verfügt Polen über ein Roman Dmowski- und Ignacy Jan Paderewski-Institut für das Erbe des Nationalen Denkens (Instytut Dziedzictwa Myśli Narodowej im. Romana Dmowskiego i Ignacego Jana Paderewskiego). Ideengeber für das vom Kulturministerium getragene Institut ist der Historiker und ehemalige PiS-Senator Jan Żaryn, der auch Gründungsdirektor wurde und sich nach eigenem Bekunden die beiden Namenspatrone ausgedacht hat. Zwar waren sowohl Dmowski als auch Paderewski Gründerväter der Zweiten Polnischen Republik, doch vertraten sie sehr unterschiedliche Ideen – Dmowski einen ausgrenzenden, »modernen« Nationalismus mit antisemitischen Untertönen, Paderewski einen romantischen Patriotismus. Sie würden sich gewiss arg wundern, wenn sie wüssten, dass sie heute gemeinsam einem Institut den Namen geben.
Über finanzielle Probleme kann das Institut nicht klagen; 2021 erhielt es als Grundförderung mehr als 6 Mio. Zloty und Ende 2020 beschäftigte es bereits rund 20 Mitarbeiter. Im März 2022 eröffnete das Institut in Warschau im Beisein von Kulturminister Gliński ein Bildungszentrum. Er sagte bei dieser Gelegenheit: »Die Nation, in einem kulturellen Verständnis, und die Familie, diese grundlegenden Institutionen sind das, worauf das Fortdauern unserer Zivilisation aufbaut, auch die Berufung auf […] das Christentum, das sehr wichtig ist, wenn wir über die Nation nachdenken.« Das Dmowski-Paderewski-Institut hat bereits zahlreiche Publikationen vorgelegt, darunter biographische Lexika zu wichtigen nationalistischen Akteuren, aber auch ein Audiobook mit einem Roman von Roman Dmowski. Zu seiner jährlichen Sommerakademie werden u. a. Geschichts- und Religionslehrer eingeladen.
Das Institut agiert zudem als Fördereinrichtung, indem es einen »Patriotischen Fonds« verwaltet, aus dem es allein 2021 Projekte für 30 Mio. Zloty unterstützte. Besonders umfangreich gefördert wurden mit diesen Mitteln zum Beispiel Vorhaben im Umfeld des Nationalisten Robert Bąkiewicz, darunter der von ihm geleitete Verein »Nationale Wache« (Straż Narodowa), dessen Aufgabe es unter anderem ist, katholische Kirchen vor Angriffen zu schützen. Dazu passt die Auffassung von Direktor Żaryn, dass die nationalistische, faschistoide Kleinpartei Nationalradikales Lager (Obóz Narodowo-Radykalne – ONR) nicht verboten werden dürfe.
2021 wurden dem Institut 27 Mio. Zloty für den Kauf eines Gebäudes bewilligt, in dem sich neben dem Sitz des Instituts auch ein »Museum für das Christlich-Nationale Erbe in Polen« befinden soll, das auch als »Roman Dmowski-Museum der Nationalbewegung« bezeichnet wird.
Neben den dargestellten Institutionen hat die PiS zahlreiche weitere Einrichtungen gegründet oder umgeformt – etwa das Museum des Zweiten Weltkriegs (Muzeum II Wojny Światowej) in Danzig »übernommen« oder bereits kurz nach Regierungsantritt 2016 ein Museum für Verfemte Soldaten und Politische Häftlinge in der Volksrepublik Polen (Muzeum Źołnierzy Wyklętych i Więźniów Politycznych PRL) gegründet.
Weitere Institute und Einrichtungen
Unter der PiS-Regierung wurden zahlreiche weitere Institutionen neu gegründet, darunter 2019 das Institut für Kultur und Erbe des Dorfes (Instytut Kultury i Dziedzictwa Wsi). Ziel der vom Landwirtschaftsministerium getragenen Einrichtung, deren Programmbeirat von der ehemaligen PiS-Ministerpräsidentin Beata Szydło geleitet wird, ist es u. a., »die ländliche Kultur zu fördern sowie patriotische Einstellungen bei den Einwohnern ländlicher Gebiete zu entwickeln«. Dafür verfügte es 2020 über knapp 5 Mio. Zloty. Institutsleiterin Katarzyna Saks beschreibt die Aufgaben des Instituts so: »Derzeit stützt sich die Tätigkeit des Instituts auf vier Säulen: Die Unterstützung lokaler Künstler, wissenschaftliche Forschung, Popularisierung von Volkskunst sowie Bildung. Darüber hinaus wollen wir der Zentralen Landwirtschaftlichen Bibliothek, die zum Institut gehört, ihren alten Glanz wiedergeben.« Außerdem gibt das Institut eine Zeitschrift für ländliche Kultur heraus und unterstützt die Landfrauenbewegung (Koła Gospodyń Wiejskich).
Ende 2021 wurde auf Verordnung von Ministerpräsident Morawiewcki das Generationen-Institut (Instytut Pokolenia) gegründet. Es beschäftigt sich mit Fragen der Demographie und möchte laut Website die negativen demographischen Tendenzen in Polen stoppen. Es heißt dort weiter: »Die Mission des Generationen-Instituts ist die Sorge um unsere Zukunft. Der Mensch braucht, um emotional, sozial und kulturell heranwachsen und sich entwickeln zu können, Bindungen. Dieser Ort sollte auf natürliche Weise die weit verstandene, mehrgenerationelle Familie sein – in der mehrgenerationellen Familie finden wir einen Querschnitt durch die ganze Gesellschaft.« Institutsdirektor Michał Kot – Mathematiker, Soziologe und Manager im Telekommunikationsbereich – hat die Ziele, die ihm vorschweben, vor wenigen Jahren in einem Artikel festgehalten: »Wir müssen unseren Weg wählen, der eine Mischung ist aus starker familienfreundlicher Politik auf der Basis traditioneller Werte […] sowie aus der Aufnahme von Migranten, Nachfahren von Polen sowie von Menschen, die uns kulturell nahe stehen.« Das mit einem Jahresbudget von ca. 10 Mio. Zloty ausgestattete Institut nimmt gerade erst seine Arbeit auf; der Beirat konstituierte sich im Juli 2022. Ob neben dem neuen Institut auch noch ein »Polnisches Institut für Familie und Demographie« entstehen soll, über das auf PiS-Initiative der Sejm 2021 bereits beraten hat, ist unklar.
Das Polnische Wirtschaftsinstitut (Polski Instytut Ekonomiczny – PIE) untersteht dem Ministerpräsidenten und wurde 2018 als Thinktank gegründet. Es trat an die Stelle des zuvor bestehenden Forschungsinstituts Institut für die Erforschung von Markt, Konsum und Konjunkturen – Staatliches Forschungsinstitut (Instytut Badań Rynku, Konsumpcji i Koniunktur – Panstwowy Instytut Badawczy). Mit einem Jahresbudget von jährlich ca. 10–13 Mio. Zloty ist es unter seinem Direktor Piotr Arak mit Analysen und Berichten zu wirtschaftlichen Fragen häufig öffentlich präsent, dient aber gleichzeitig auch als Ideenlieferant für Ministerpräsident Morawiecki. Die ohne Konsultationen beschlossene Gründung wurde seinerzeit von der Opposition kritisiert.
Das 2019 ins Leben gerufene Institut für Wirtschafts- und Finanzexpertisen in Lodz (Instytutu Ekspertyz Ekonomicznych i Finansowych w Łodzi) befindet sich als eine der wenigen Institutsneugründungen nicht in Warschau. Es wurde vom Justizministerium gegründet, um Gerichten und Staatsanwaltschaften mit Gutachten und Beratung zur Seite zu stehen. Außerdem ist es wissenschaftlich tätig. 2020 entstand nach Konsultationen mit zahlreichen Medienakteuren das Landes-Medieninstitut (Krajowy Instytut Mediów), das das Nutzerverhalten von Radio-, Fernseh- und Internetnutzern erforschen soll. Es untersteht dem Landesrundfunk- und Fernsehrat und ist unlängst in die Schlagzeilen geraten, weil ihm vorgeworfen wurde, einen großen Auftrag zur Meinungsforschung ohne Ausschreibung vergeben zu haben und Ergebnisse zur Mediennutzung zu präsentieren, in denen die staatlichen, regierungsfreundlichen Medien tendenziell besser abschneiden als bei den Forschungen nicht-staatlicher Institute.
Fazit
Die Eingriffe in die institutionelle Kultur- und Wissenschaftslandschaft Polens durch die PiS-Regierung sind umfassend und werden das intellektuelle Leben des Landes auf Jahre prägen. Dabei steht die Sinnhaftigkeit einer Reihe von Einrichtungen außer Frage. Andere verdanken ihre Existenz dem Wunsch der PiS (und darüber hinaus nationalkonservativer Kräfte), eigene Eliten zu kreieren und zu fördern und zugleich die materielle Existenz kritischer Eliten zu erschweren. Manchmal ging es um symbolische Gegengründungen zu bestehenden Initiativen, manchmal scheint ein verdienter Parteigänger mit einem eigenen Institut belohnt worden zu sein, manchmal ging es um Konkurrenz oder Eitelkeiten bestimmter Ressorts oder politischer Akteure. Deutlich ist die weltanschauliche Ausrichtung vieler Institutsneugründungen mit Schwerpunkten auf konservativen, nationalen oder christlichen Themen.
Die Summe der finanziellen Verpflichtungen, die die PiS-Regierung mit all ihren Vorhaben eingegangen ist, ist gewaltig und engt den Spielraum künftiger Regierungen ein. Allerdings dürfte das Fortbestehen einiger Institute nach einem möglichen Regierungswechsel in Frage stehen. Eine besondere Herausforderung wird darin bestehen, das von der PiS-Regierung auch innerhalb der institutionellen Landschaft zu bis dato unbekannten Extremen gebrachte polarisierte Denken aufzulösen. Angesichts der Tatsache, dass nicht nur im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich, sondern überall öffentliche Einrichtungen, Staatsunternehmen oder Verwaltungseinheiten von der PiS-Regierung »auf Linie« gebracht worden und teils unübersichtliche Strukturen entstanden sind, wären hier umfassende, strategische Planungen notwendig. Eine Maßnahme könnte allerdings relativ zügig erfolgen – die Entmaskulinisierung der Institutionen: Ohne Ausnahme erhielten alle der beschriebenen Einrichtungen, wenn sie einen Namensgeber haben, männliche Patrone.