Zwangsrekrutierte Polen in der Wehrmacht

Von Ryszard Kaczmarek (Schlesische Universität in Kattowitz)

Zusammenfassung
Im Sommer 2025 eröffnete das Museum Danzig (Muzeum Gdańska) die Ausstellung »Unsere Jungs«. Im Mittelpunkt stehen Polen, die während des Zweiten Weltkrieges in die Wehrmacht zwangsrekrutiert wurden (Nasi chłopcy. Mieszkańcy Pomorza Gdańskiego w armii III Rzeszy). Es waren Einheimische aus polnischen Gebieten, die unter nationalsozialistischer Besatzung nach Beginn des Krieges in das Deutsche Reich eingegliedert wurden. Die Ausstellung hatte in Polen eine Welle der Empörung, v. a. im rechten politischen Lager, ausgelöst. Laut offiziellem Narrativ hatten polnische Soldaten im Zweiten Weltkrieg an der Front oder im Untergrund gegen die Deutschen gekämpft und nicht zusammen mit den Deutschen; die Betonung auf »unsere« Jungs wurde als Zumutung empfunden. Teile des politischen Establishments lehnten es in der anschließenden hitzigen Debatte ab, die Betroffenen als »Polen« zu bezeichnen. Der Text beleuchtet das historische Phänomen und seinen Kontext.

Die nationalsozialistische Siedlungspolitik in den »eingegliederten Ostgebieten«

Ursache für den Dienst polnischer Staatsbürger in der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges war die deutsche Nationalitätenpolitik, die das Deutsche Reich nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 betrieb. Am 8. Oktober wurde kraft eines Dekrets des Reichskanzlers Adolf Hitler ein Teil der polnischen Gebiete im Westen in das Dritte Reich eingegliedert. Es handelte sich um die polnischen Woiwodschaften der Vorkriegszeit Schlesien, Posen und Pommern sowie Teile der Woiwodschaft Białystok, Kielce, Krakau, Lodz und Warschau, die fortan zu den sog. »eingegliederten Ostgebieten« Deutschlands gehörten. In diesen Gebieten wurden neue Verwaltungseinheiten geschaffen: das Reichsgau Danzig-Westpreußen, Reichsgau Posen und ab dem 29. Januar 1940 das Reichsgau Wartheland/Warthegau. Der Regierungsbezirk Kattowitz ging zunächst in die preußische Provinz Schlesien ein und bildete ab 1941 zusammen mit dem Regierungsbezirk Oppeln die neue Provinz Oberschlesien. Der Regierungsbezirk Zichenau (Ciechanów) wurde zusammen mit Suwałki (in Suwalken, dann in Sudauen umbenannt) der preußischen Provinz Ostpreußen zugeordnet.

Die dem Deutschen Reich im Jahr 1939 eingegliederten Gebiete sollten – so die deutschen Pläne – in der Zukunft ausschließlich von Deutschen bewohnt werden, sowohl von denen, die vor dem Krieg der deutschen Minderheit in Polen angehört hatten (»Volksdeutsche«), als auch von deutschen Ansiedlern, die bereits während des Krieges aus Osteuropa dorthin umgesiedelt worden waren, sowie außerdem von einer relativ kleinen Anzahl von Deutschen aus dem sog. »Altreich« (»Reichsdeutsche«). Die Polen sollten ausgesiedelt werden, mit Ausnahme derer, die bleiben sollten, um Zwangsarbeit für die Deutschen zu leisten. Die Aussiedlungsaktionen in den eingegliederten Gebieten (v. a. in Pommerellen und Großpolen) begannen 1939; sie wurden aber Ende 1940 infolge der Vorbereitungen des Krieges gegen die Sowjetunion eingestellt. Die Absicht war, sie erst nach Beendigung des Krieges wiederaufzunehmen.

Die »Deutsche Volksliste«

Gestützt auf die in der Vorkriegszeit ausgearbeitete Rassenkunde des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS, begann man von Anfang des Krieges an, in den eingegliederten Gebieten, insbesondere im Reichsgau Danzig-Westpreußen und im Regierungsbezirk Kattowitz, die nationalbewussten Polen anders als die autochthone Bevölkerung zu behandeln. Die autochthone Bevölkerung wurde der sog. »Zwischenschicht« zugeordnet. Dieser Begriff bezeichnete einen ethnischen Unterschied. Diejenigen, die zur »Zwischenschicht« gehörten, sollten die Möglichkeit bekommen, unter Berücksichtigung ihrer angeblich teilweise arischen Abstimmung in die sog. »deutsche Volksgemeinschaft« aufgenommen zu werden. Nach Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft sollten die Angehörigen der »Zwischenschicht« dieselben Rechte und Pflichten haben wie die Deutschen. Nach den Plänen des SS-Rasseamtes sollte dafür zunächst die Begutachtung des »Rassewertes« der Betreffenden stattfinden und entschieden werden, ob es sich um »Deutschstämmige« handelt. Insgesamt sei damit die Möglichkeit gegeben, das »verloren gegangene deutsche Blut zurückzugewinnen«. Dabei ging man davon aus, dass die autochthone Bevölkerung, die zwar seit Jahrhunderten im polnischen/slawischen Milieu assimiliert war und sogar schon in ihrem Alltag die polnische Sprache verwendete, auf diese Weise eingedeutscht oder vielmehr wieder eingedeutscht werden könne. Zu den ethnischen Gruppen, die im Polen der Vorkriegszeit gelebt hatten und diesem Prozedere unterzogen werden konnten, zählten u. a. die Oberschlesier, die Kaschuben und schließlich im Grunde die gesamte autochthone Bevölkerung in Pommerellen.

Zu den ersten Vorhaben, polnischen Staatsbürgern der Vorkriegszeit die deutsche Staatsbürgerschaft zu geben, kam es in Großpolen auf Initiative des Gauleiters Arthur Greiser, denn dort war es notwendig geworden, unter den zur Aussiedlung bestimmten Personen eine Auswahl zu treffen; die Aussiedlungen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Massencharakter angenommen. In der Praxis wurde die Einteilung in vier Gruppen vorgenommen: A: »deutsche Volkszugehörige«, B: »Deutschstämmige«, C: »Fremdvölkische und deutsche Renegaten«, D: »fremde Volkszugehörige«. Diejenigen, die den Gruppen C und D zugerechnet wurden, sollten zielgerichtet ausgesiedelt werden.

Die Lösung der Frage der Trennung von Polen einerseits und autochthoner Bevölkerung andererseits, die auf dem Territorium aller eingegliederten Gebieten schließlich zur Anwendung kam, wurde allerdings erst am 4. März 1941 nach langen Diskussionen im Reichsministerium des Inneren und im Reichssicherheitshauptamt unter Beteiligung der Gauleiter der eingegliederten Gebiete beschlossen. Herausgegeben wurde die »Verordnung über die deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941«, die den Status der autochthonen Bevölkerung regeln sollte. Unterzeichnet haben sie der Innenminister Wilhelm Frick, der Reichsführer SS und Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums Heinrich Himmler sowie der Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß. Mit der Verordnung wurde für Personen, die in den eingegliederten Gebieten und auf dem Gebiet der ehemaligen Freien Stadt Danzig lebten, die Möglichkeit geschaffen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, falls ihre Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft anerkannt worden sein sollte. Zu diesem Zweck mussten zunächst spezielle Fragebögen ausgefüllt werden, auf deren Grundlage die deutschen Behörden über den Antrag und die Qualifizierung des Antragstellers für die Zugehörigkeit zu einer der vier Gruppen der »Deutschen Volksliste« (DVL) entschieden. Die Pflicht, die Fragebögen auszufüllen, bestand nur im Reichsgau Danzig-Westpreußen und in Teilen des Regierungsbezirks Kattowitz (Ostoberschlesien).

Anfangs war es vorgesehen, die deutsche Staatsbürgerschaft nur denen zuzuerkennen, die für die Gruppen 1 und 2 der Deutschen Volksliste qualifiziert waren, d. h. Personen, die in der überwiegenden Mehrheit in der Zweiten Republik Polen zur deutschen Minderheit gehört hatten. Die autochthone Bevölkerung, die den ethnischen Gruppen zugeordnet wurde, die anerkanntermaßen eine germanische Abstammung hatten, aber Zeit für ihre Eindeutschung bräuchten, wurden meistens in die DVL Gruppe 3 eingetragen. Diese implizierte, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur in besonders begründeten Fällen nach Einzelfallprüfung des Antrags zugesprochen wurde. Die der DVL Gruppe 4 zugeordneten Personen erhielten die deutsche Staatsbürgerschaft nicht. Ihre Kinder sollten unter Gesichtspunkten der Rassenideologie einer Untersuchung unterzogen werden, ob sie in deutschen Familien eingedeutscht werden können. Personen, deren Anträge abgelehnt wurden, wurden als Polen eingeordnet und sollten ausgesiedelt werden. Dieser gesamte Rechtsakt widersprach dem internationalen Recht und den internationalen Konventionen, die Polen und Deutschland einst unterzeichnet hatten. Polen hatte keine Kapitulationserklärung unterschrieben und die polnische Regierung im Exil führte zunächst in Frankreich, dann in Großbritannien den Krieg gegen Deutschland weiter.

Das Prinzip, die deutsche Staatsbürgerschaft der zahlenmäßig stärksten Gruppe 3 der DVL nur nach individueller Prüfung zuzuerkennen, wurde nach einem Jahr auf Druck der Gauleiter Oberschlesiens, Fritz Bracht, und Danzig-Westpreußens, Albert Forster, geändert. Am 31. Januar 1942 gab Heinrich Himmler seine Zustimmung, die deutsche Staatsbürgerschaft generell auch den in die DVL Gruppe 3 Eingeordneten zuzuerkennen, allerdings mit der Einschränkung einer zehnjährigen Probezeit mit der Möglichkeit, sie wieder abzuerkennen (»Zweite Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 31. Januar 1942«). Entsprechend wurde der Vermerk »auf Widerruf« in den Ausweis gesetzt.

Einberufungen in die Wehrmacht ohne deutsche Staatsbürgerschaft

Obgleich die endgültige Regelung der Staatsangehörigkeit in die Jahre 1941–1942 fiel, wurden bereits im Frühjahr 1940 erste militärische Musterungen von Einwohnern der ehemaligen polnischen westlichen Woiwodschaften durchgeführt und Tauglichkeitsbescheinigungen für den Wehrdienst ausgestellt. Die ersten militärischen Schulungen fanden im Sommer 1940 statt, d. h. noch vor Inkrafttreten der Deutschen Volksliste. Die Einberufungen weckte indes Zweifel beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW), so dass eine Anfrage an Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums gerichtet wurde. Das Rundschreiben des Reichsführers SS vom September 1940, welches den Militärs die sonderbare Situation erläutern sollte, dass auch Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in die Wehrmacht berufen werden, bezog sich auf die Rassenideologie. Himmler schrieb, dass die nationalen Gruppen in den eingegliederten Ostgebieten (er nannte Oberschlesier und Kaschuben) in naher Zukunft in die deutsche Volksgemeinschaft aufgenommen werden würden, und davon ausgehend, dass dies geschehe, einer Einberufung schon jetzt in die Wehrmacht nichts im Wege stünde. Das Oberkommando der Wehrmacht folgte dieser Interpretation und gab einen Sonderbefehl an die Führung der Militärbezirke in Danzig, Posen und Breslau heraus. Er beinhaltete, die Pflicht zum Reichsarbeitsdienst einzuführen und Männer bis zum 26. Lebensjahr zu Militärübungen einzuberufen. Obwohl die Einberufung in die Wehrmacht formal und letztlich auch nach geltendem Recht des Dritten Reiches erst nach Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft vollzogen werden konnte, begann sie also in den eingegliederten Gebieten teilweise schon früher. Zu der Zeit, als im Westen noch der siegreiche »Blitzkrieg« herrschte und der Bedarf an Rekruten in den deutschen Streitkräften noch nicht groß war, erhielten junge Männer aus Pommerellen und Ostoberschlesien die Aufforderung den Militärdienst zu beginnen, wenn sie zu den Jahrgängen gehörten, die in den übrigen Teilen Deutschlands einberufen wurden. Bei der Qualifizierung der jungen Männer für den Militärdienst beriefen sich die Behörden auf die Erklärung, die jene zu ihrer deutschen Abstammung abgegeben hatten oder die sie im Rahmen der Volkszählung oder bei der Ausstellung amtlicher Dokumente gemacht hatten. In dem damals von der Wehrmacht bis 1941 verwendeten Sprachgebrauch wurden sie als »Deutsche-Polen« bezeichnet. Erst im Juni 1943 erteilte das Oberkommando der Wehrmacht einen Sonderbefehl, der festlegte, sich bei der Einberufung ausschließlich auf die erfolgte Einbürgerung im Rahmen des Eintrags in die Deutsche Volksliste zu beziehen. In dem Zusammenhang wurde auch befohlen, diejenigen aus der Wehrmacht zu entlassen, die letztlich nicht in die Deutsche Volksliste aufgenommen worden waren, was Einzelfälle betraf.

Einberufungen auf Grundlage der Deutschen Volksliste

Ab 1941 war Grundlage für die Einberufung allerdings bereits die Einordnung in eine Gruppe der Deutschen Volksliste. Infolge der unterschiedlichen Auffassungen der Gauleiter von Oberschlesien und Danzig-Westpreußen, welche die Mehrheit der autochthonen Bevölkerung in die DVL eintragen wollten, trat nach dem Ausfüllen der Erfassungsbögen im Herbst 1942 eine deutliche Disproportion in der Anzahl der Volksdeutschen der DVL Gruppen 1–3 in den eingegliederten Gebieten zutage. Insgesamt wurden in den eingegliederten Gebieten 3,12 Millionen Personen in die Deutsche Volksliste eingetragen, davon ca. 1,1 Millionen in die Gruppen 1 und 2 und knapp zwei Millionen in die Gruppe 3 (sowie knapp 200.000 in die Gruppe 4). Fast alle, die der größten Gruppe, DVL 3, zugeordnet wurden, kamen aus nur zwei Verwaltungsgebieten, der Provinz Oberschlesien (1,02 Millionen) und dem Reichsgau Danzig-Westpreußen (870.000). Im Warthegau und dem Regierungsbezirk Zichenau spielte die DVL Gruppe 3 keine größere Rolle, da die Gauleiter Arthur Greiser und Erich Koch sich entschieden gegen die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft an Personen, die vor dem Krieg nicht zur deutschen Minderheit gehört hatten, stellten. Das bedeutete die massenhafte Einberufung von jungen Männern aus dem Reichsgau Danzig-Westpreußen und aus Ostoberschlesien in die Wehrmacht, wo das Ausfüllen der Fragebögen für die Deutsche Volksliste zwangsverordnet war. Bei Versuchen dies abzulehnen oder falschen Angaben drohten Repressionen bis hin zur Einlieferung in ein Konzentrationslager.

Die seitdem in die Wehrmacht einberufenen Rekruten aus den eingegliederten Gebieten wurden in den amtlichen Dokumenten unterschiedlich bezeichnet. Abhängig von der Gruppe der Deutschen Volksliste lautete der Eintrag im Soldbuch zur Staatsangehörigkeit bei DVL 1 »Deutsches Reich«, DVL 2 »Deutsches Reich V.D.« (volksdeutsch) und DVL 3 »Deutsch. Reich a. W. DVL 3« (auf Widerruf). Der Zusatz zur Klassifizierung DVL 3 »auf Widerruf« bedeutete, dass diese Wehrmachtssoldaten anders behandelt wurden, teilweise als deutsche Staatsbürger zweiter Klasse. Bis zu dem Zeitpunkt des Erhalts der vollen Staatsbürgerschaft kamen sie z. B. nicht über den militärischen Grad des Unteroffiziers hinaus. Ihre Anzahl in den Einheiten sollte fünf bis acht Prozent nicht übersteigen, was im Laufe der Zeit aufgrund der großen Anzahl der Einberufenen nicht mehr beachtet wurde. Bis 1943 wurden sie nur in bestimmten Truppengattungen der Armee eingesetzt, vor allem bei der Infanterie.

Schätzungen zufolge kamen aus den ins Dritte Reich eingegliederten Gebieten zwischen 1941 und 1945 ca. 400.000–450.000 Männer in die Wehrmacht, die in die DVL 3 eingetragen waren. Der polnische Untergrundstaat (die polnische Konspiration in den besetzten Gebieten) teilte im Herbst 1944 gestützt auf Schätzungen der eigenen geheimdienstlichen Tätigkeit mit, dass seinerzeit ca. 220.000–250.000 polnische Soldaten aus Danzig-Westpreußen und ca. 200.000 polnische Soldaten aus Ostoberschlesien in der Wehrmacht rekrutiert waren. Die Soldaten der DVL 1 und 2 wurden in dieser Schätzung nicht berücksichtigt, da richtigerweise davon ausgegangen wurde, dass diese vor allem Angehörige der deutschen Minderheit im Polen der Vorkriegszeit gewesen waren. Auch die Vertreter der ethnischen polnischen Minderheit, die vor 1939 in Deutschland gelebt hatten (v. a. im Regierungsbezirk Oppeln und in Ermland und Masuren), wurden korrekt nicht in die Schätzungen einbezogen.

Obgleich die Polen aus den eingegliederten Gebieten prinzipiell unter Zwang für die deutsche Armee mobilisiert wurden, wurden sie in ihrem Dienst an der Front von den militärischen Führungspersonen meistens als Soldaten bewertet, die die ihnen übertragenen Pflichten gut ausübten. Die Polen, die in den Dienst der Wehrmacht berufen wurden, bildeten keine separaten Fronteinheiten. Sie wurden auf die bereits bestehenden deutschen Einheiten aufgeteilt, die infolge der Verluste an der Front fortwährend personellen Nachschub brauchten. Die Mehrheit der in den Jahren 1940–1941 Einberufenen diente anfangs in deutschen Einheiten in Nordafrika. An der Ostfront hatte das Oberkommando der Wehrmacht Vorbehalte, im ersten Kriegsjahr im Osten Polen in Einheiten einzusetzen, die gegen die Rote Armee kämpften. Nach einem Bericht des polnischen Untergrundstaates wurden im ersten Kriegsjahr keine Soldaten, die in der Deutschen Volksliste Gruppe 3 eingetragen waren, an die Ostfront geschickt, da die Befürchtung bestand, dass sie massenhaft desertieren würden. Doch die deutsche Führung änderte rasch ihre Meinung, da sie diese Gefahr nicht eintreten sah. Gewöhnlich verbargen die jungen Polen ihre antisowjetische Einstellung nicht, die sie noch aus der Zeit der Zweiten Republik Polen verinnerlicht hatten. Während ihres Aufenthaltes an der Front sahen sie sich in ihrer kritischen Beurteilung der Sowjetunion bestätigt, wenn sie ihre früheren negativen Urteile über das Leben im sowjetischen Russland mit dem aktuellen Anblick des Elends der kollektivierten Dörfer in Verbindung setzten. In vielen Briefen und Erinnerungen von Polen, die in der Wehrmacht dienten, tauchen Beschreibungen der Armut sowie der enormen Unterschiede im Lebensniveau – sogar im Vergleich zu den besetzten polnischen Gebieten – auf.

Im Übrigen waren die Möglichkeiten zu desertieren an der Ostfront begrenzt. Die Angst vor den sowjetischen Machthabern und den Repressionen, die gegenüber deutschen Kriegsgefangenen verübt wurden, schreckte in den ersten Kriegsjahren wirksam davor ab, auf die andere Seite überzulaufen. Auch die sowjetische Regierung war nicht geneigt, die in der Wehrmacht kämpfenden Polen dazu zu ermuntern. Erst nach der Unterzeichnung des polnisch-sowjetischen Abkommens (Sikorski-Maiski-Abkommen) am 30. Juli 1941 über die Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen, das den Weg ebnete, die Polnische Armee in der UdSSR (Armia Polska w ZSRR) aufzubauen, begannen Gespräche über dieses Thema. Der polnische Botschafter in Moskau bemühte sich um die Zustimmung, Polen aus Kriegsgefangenenlagern für Deutsche zu befreien, mit dem Ziel, sie als zwangsweise rekrutierte Soldaten der deutschen Armee in die organisierte Polnische Armee einzugliedern. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow wies diesen Vorschlag 1942 entschieden zurück, da er der polnischen Bewertung, die Kriegsgefangenen seien zuvor zwangsweise in die deutsche Armee berufen worden, nicht zustimmte. Ganz im Gegenteil war sein Standpunkt, dass es sich um Verräter handele, die besonders gefährlich für die Rote Armee seien, da sie bei den Stäben der deutschen Einheiten Übersetzungsdienste verrichtet hätten.

Die aus den eingegliederten Gebieten für die deutsche Wehrmacht rekrutierten Polen hofften in der Regel darauf, dass sie in Besatzungseinheiten im westlichen Europa (insbesondere in Norwegen und Frankreich) eingesetzt werden. Sowohl die Bedingungen der Einquartierung als auch die fast ausschließliche Ausübung von Wachdiensten ließen diese Zuteilung als eine glückliche Lösung erscheinen. Darüber hinaus war die Versorgung mit Gebrauchsgütern in diesem Teil des okkupierten Europa deutlich besser, was ermöglichte, dass regelmäßig Päckchen mit im besetzten Polen nicht zugänglichen Waren an die Familien geschickt werden konnten. Die Situation änderte sich bereits nach der Landung der Alliierten in Italien 1943 komplett sowie vor allem ein Jahr später nach der Landung der Alliierten in der Normandie, als die Kämpfe zu einer fortwährend steigenden Zahl an Verletzten und Gefallenen an der Westfront führten.

Gleichzeitig ergaben sich mit dem Beginn der Kämpfe in Italien und Frankreich Möglichkeiten zu desertieren, umso mehr, als an der Seite der alliierten Truppen die Einheiten der Polnischen Streitkräfte im Westen (Polskie Siły Zbrojne na Zachodzie) kämpften. Die polnische Exilregierung in London akzeptierte konsequenterweise das Vorgehen der rechtswidrigen deutschen Nationalitätenpolitik in den eingegliederten Gebieten und die Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für die in der Deutschen Volksliste Eingetragenen nicht. Aus diesem Grund betrachtete sie auch die Rekrutierung von Polen in die Wehrmacht als Verletzung des internationalen Rechtes, denn Polen hatte weder eine Kapitulation noch einen Friedensvertrag unterzeichnet, der ein solches von der Hager Konvention des Jahres 1907 verbotenes Vorgehen gestattet hätte. Die Personen, die in britische und später US-amerikanische Kriegsgefangenschaft gekommen waren, behandelte sie weiter als polnische Staatsbürger, die zum Dienst in den polnischen Streitkräften verpflichtet waren. Bereits in Nordafrika kamen 1942/43 ca. 2.000 ehemalige Soldaten der Wehrmacht, die in britische Gefangenschaft genommen worden waren, zu den Polnischen Streitkräften im Westen. Später gingen an der italienischen Front und in Frankreich bis zum Ende des Krieges in Europa insgesamt knapp 90.000 Polen, die vorher in der Wehrmacht Dienst getan hatten, in die Polnischen Streitkräfte ein.

An der Ostfront gab es, obwohl schon 1943 die neue Polnische Armee in der UdSSR auf Initiative der polnischen Kommunisten entstanden war, deutlich weniger Fahnenflucht. Leider ist die Zahl der ehemaligen polnischen Wehrmachtssoldaten, die desertierten oder sich in Kriegsgefangenenlagern um Aufnahme ins polnische Militär bemühten, nicht genau bekannt. Heutige Schätzungen gehen nur von einigen Tausend aus. Sie erlitten mehrheitlich zunächst das Los der deutschen Kriegsgefangenen und kamen in Gefangenenlager hinter der Front. Ein Teil kam später dank der Bemühungen der polnischen kommunistischen Regierung, die sich für ihre Entlassung aus den sowjetischen Lagern einsetzte, frei, was im Grunde die Rettung vor der Überstellung in das Gulag-System und eigentlich die einzige reale Chance auf Überleben war.

Rehabilitation und Erinnerung nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach Beendigung des Krieges wurden die ehemaligen Wehrmachtssoldaten in Polen einem Rehabilitationsverfahren zum Wiedererhalt der polnischen Staatsangehörigkeit unterzogen. Die Erinnerung an ihre Geschichte überdauerte eigentlich nur in den Familien, deren Söhne, Väter und Großväter den Dienst in der deutschen Armee überlebt hatten.

Das Problem lebte im kommunistischen Polen erst wieder auf, als die Bundesregierung in den 1960er Jahren begann, ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und den Familien der Gefallenen eine Rente zu zahlen. In der Presse und in öffentlichen Äußerungen wurde diese Thematik allerdings nach wie vor selten gestreift. Man bemühte sich weiter konsequent, sie aus dem kollektiven historischen Gedächtnis der Polen zu löschen. Ein unerwartetes Interesse an den »Polen in der Wehrmacht« kam Anfang des 21. Jahrhunderts auf, als der Journalist Jacek Kurski während des Präsidentschaftswahlkampfes 2005 in Polen andeutete, dass sich der Großvater des damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Tusk als Freiwilliger zur Wehrmacht gemeldet habe. Unerwartet zeigte sich, dass der Dienst in der Wehrmacht als Argument für die laufende politische Auseinandersetzung genutzt werden kann – damals im Wettbewerb um das Präsidentenamt, den schließlich Lech Kaczyński gewann. Seitdem ist der »Großvater in der Wehrmacht« zu einem festen Bestandteil der politischen Debatte in Polen geworden.

Nach der Eröffnung einer Ausstellung in Danzig im Juli 2025, die sich den aus Danzig-Westpreußen stammenden Polen in der Wehrmacht widmet, ist die Diskussion über dieses Thema wieder entbrannt. Besonders heftigen Streit rief der Begriff »unsere Jungs« im Titel der Ausstellung hervor. Die Gegner der Ausstellung warfen ihren Urhebern vor, eine falsche Version der Geschichte zu verbreiten, und hielten dagegen, dass »unsere Jungs« Polen vor Nazideutschland verteidigt und nicht in der Wehrmacht gekämpft hätten.

Die Zwangsrekrutierung in die Wehrmacht war jedoch nicht nur ein polnisches Phänomen. Sie wurde in vielen besetzten Ländern durchgeführt. Diese Problematik zu verschweigen, war nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz Europa gang und gäbe, wobei sich ihre Enthüllung in Westeuropa deutlich früher vollzog, in Frankreich beispielsweise schon in den 1970er Jahren. Heute wird bereits in vielen Ländern dazu geforscht, seit vielen Jahren außer in Frankreich auch in den Beneluxländern, außerdem in Slowenien, Tschechien und auch in Polen. Daher verliert die Thematik deutlich ihren »Sensationsgehalt«. Sie wird zu einem Teil des kollektiven historischen Bewusstseins und ist eines der Beispiele für die Komplexität des Verhältnisses zum deutschen Besatzer in der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Trotzdem sind in Polen immer noch viele Ungenauigkeiten über dieses Thema in Umlauf. Begriffe wie Volksliste, Volksdeutsche, Polen in der Wehrmacht und auch die publizistische Bezeichnung »unsere Jungs« werden unterschiedlich aufgenommen – anders in den Gebieten, wo die Befragungen zur Volksliste gezwungenermaßen beantwortet werden mussten (Danzig-Westpreußen, Oberschlesien) und wo sich ein kollektives Gedächtnis dazu herausbildete und in den Familien bewahrt wurde, und anders im übrigen Teil Polens, wo der Begriff Volksdeutsche mit Verrätern und Abtrünnigen während der deutschen Besatzung assoziiert wird. Das erschwert das Verständnis dessen, dass »unsere Jungs« unsere Väter, Großväter und Angehörige sind und nicht »unsere Wehrmacht«.

In der Bildungsvermittlung und den Massenmedien dominiert das Bild der deutschen Besatzung, wie sie im Generalgouvernement stattgefunden hat, und auch das erschwert es, die Ziele der damaligen deutschen Nationalitätenpolitik in den eingegliederten Gebieten des Deutschen Reiches zu verstehen, d. h., dass die Eintragung in die Deutsche Volksliste eine nationalsozialistische Maßnahme zur Eindeutschung war. Dies hatte bereits während des Zweiten Weltkrieges sowohl die polnische Exilregierung erkannt, welche die rechtlichen Folgen des Eintrags in die DVL nicht anerkannte, als auch nach dem Krieg sogar die kommunistische Regierung, die die Rehabilitierung von Personen der DVL 3 nur vollzog, wenn sie ihre Zugehörigkeit zur polnischen Nation erklärten.

Von Zeit zu Zeit ist die Rede vom freiwilligen Dienst der Polen in der Wehrmacht. Hier ist jedoch eindeutig zu unterstreichen, dass es nie irgendeine geschlossene polnische Einheit in der Wehrmacht gab, nicht einmal auf Kompanieebene, ganz zu schweigen vom Regiment oder Division. Es gab nicht nur keine polnischen Einheiten der Wehrmacht, sondern prinzipiell auch keine Offiziere, die in der Deutschen Volksliste Gruppe 3 eingetragen waren. In vereinzelten Ausnahmefällen wurden Soldaten für ihre Taten an der Front zum Unteroffizier befördert. Nur Wenige, insbesondere aus dem Kreis der deutschen Minderheit im Vorkriegspolen, haben sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet. Die Einberufung wurde von den Einwohnern Ostoberschlesiens und Pommerellens überwiegend als Zwang empfunden und so verstanden sich die Soldaten als Zwangsrekrutierte der Wehrmacht.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Lesetipps / Bibliographie

Karte zu den vom Deutschen Reich annektierten polnischen Gebieten, den sog. »eingegliederten Gebieten«, März
1940: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Polen%20unter%20dt.%20Zivilverwaltung.pdf 

Zum Weiterlesen

Analyse

Politik im Museum – der Kampf um Deutungshoheiten im polnischen Museumsboom

Von Monika Heinemann
Seit 2004 hält in Polen ein beispielloser Museumsboom an, der sowohl Geschichts- als auch Kunstmuseen umfasst. Debatten, Streit und Emotionen rufen jedoch besonders die zahlreichen neuen historischen Museen hervor. Ihre Präsentationen ringen nicht nur um eine (Neu-)Definition dessen, was und vor allem wer als Teil polnischer Geschichte wahrgenommen werden kann bzw. soll. Teil der intensiven Debatten ist ebenso die Frage nach den Zielen musealer Geschichtsvermittlung. (…)
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