Kurzzusammenfassungen ausgewählter Berichte zur aktuellen Lage in den von Russland besetzten Gebieten

Zusammenfassung
In den letzten Monaten sind zahlreiche Berichte und Dokumentationen erschienen, die sich mit der Situation in den von Russland besetzten Gebieten kritisch auseinandersetzen. Sie analysieren Themen wie die schwierige Lage der Menschenrechte, den Diebstahl ukrainischen Getreides, Deportation und Zwangsvertreibung, die Lage der Kinder oder Kollaboration mit russischen Behörden. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl relevanter Artikel mit einer Kurzzusammenfassung des Inhalts.

Die Redaktion der Ukraine-Analysen

Crimean Tatar Resource Center: Analysis of Human Rights Violations in Occupied Crimea for the first quarter of 2025

Der Bericht des Crimean Tatar Resource Center (CTRC) zum ersten Quartal 2025 zeigt anhaltende systematische Menschenrechtsverletzungen auf der von Russland besetzten Krim, insbesondere gegen Krimtataren. Dokumentiert wurden unter anderem 13 Hausdurchsuchungen, 38 Festnahmen und 36 Inhaftierungen, oft unter konstruierten Vorwürfen wie Extremismus oder Spionage. Politische Gefangene, darunter auch ältere und behinderte Personen, leiden unter schlechten Haftbedingungen, was bereits zu mehreren Todesfällen führte. Zudem weitet Russland repressive Maßnahmen zunehmend auch auf andere besetzte Gebiete wie Cherson und Saporischschja aus, heißt es in dem Bericht.

Crimean Tatar Resource Center, https://ctrcenter.org/en/the-tendencies-of-human-rights-violations-in-occupied-crimea-remains-unchanged-ctrcs-report-for-the-first-quarter-of-2025.


Irina Dolinina, Rina Nikolaeva, Polina Uzhvak: Deportation From the Occupation

Der im Mai 2025 veröffentlichte Artikel von iStories beleuchtet die systematische Ausweisung ukrainischer Bürger:innen aus den von Russland besetzten Gebieten, insbesondere solcher, die sich weigern, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Hintergrund ist ein Präsidialerlass von Putin, der diese Personen als Ausländer:innen einstuft und sie verpflichtet, bis zum 10. September 2025 ihren Status zu legalisieren – andernfalls droht die Abschiebung. Die Recherche belegt, dass bereits jetzt schon Menschen, die als „Sicherheitsrisiko“ gelten, ohne Gerichtsverfahren an die russisch-georgische Grenze gebracht und mit Einreiseverboten belegt werden. Ein konkretes Beispiel ist Elena aus der Region Saporischschja: Nach ihrer Weigerung, mit den Besatzungsbehörden zu kooperieren, wurde sie vom russischen Geheimdienst festgenommen, monatelang unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert und schließlich deportiert. Die Maßnahmen zielen darauf ab, den Widerstand gegen die russische Besatzung zu unterdrücken und die Kontrolle über die Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu festigen.

IStories, https://istories.media/en/stories/2025/05/23/deportation-from-the-occupation/.


Vicente Ferraro: Lehrer*innen unter russischer Besatzung: Bildung als Instrument des kulturellen Genozids

Vicente Ferraro beschreibt, wie in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine Klassenzimmer zu Schlachtfeldern geworden sind. Bildung wird von den russischen Besatzungsbehörden als Waffe eingesetzt, um die ukrainische Identität auszulöschen und die Zukunft neu zu schreiben. Doch nicht alle Lehrer:innen halten sich an den aufgezwungenen russischen Unterrichtsplan, wie die Ergebnisse von 55 Interviews zeigen, die Ferraro mit aus der Besatzung geflohenen Lehrkräften geführt hat.

ZOiS Spotlight 11/2025, https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/lehrerinnen-unter-russischer-besatzung-bildung-als-instrument-des-kulturellen-genozids.


International Partnership for Human Rights, State Capture Accountability Project: Grain thieves. The network behind the plunder of Ukrainian grain

Der Bericht von Mai 2025 dokumentiert, wie Russland seit Beginn der Vollinvasion systematisch ukrainisches Getreide in den besetzten Gebieten stiehlt. Die Landwirte werden gezwungen, ihre Produkte an staatliche russische Monopole zu Dumpingpreisen abzugeben. Durch den Export mehrerer Millionen Tonnen ukrainischen Getreides pro Jahr verdient Russland enorme Summen, die wiederum den Krieg gegen die Ukraine ermöglichen. Der Bericht deckt ein komplexes Netzwerk von über 140 Personen, Unternehmen und mindestens 60 Schiffen auf, das die organisierte und staatlich gesteuerte Ausbeutung ukrainischer Agrargüter belegt. Das gestohlene Getreide wird dabei über ein komplexes Logistiknetzwerk exportiert.

International Partnership for Human Rights, https://iphronline.org/articles/grain-thieves-report/.


Julia Friedrich: “They Came to ‘Liberate’ Us and Left Us with Nothing”. Life Under Russian Occupation in Ukraine

Die Studie von Juli 2024 beleuchtet Erfahrungen von Ukrainer:innen, die die Besetzung durch Russland im Zuge der Vollinvasion von 2022 erlebt haben. Auf der Grundlage von Interviews werden die persönlichen Geschichten der direkt Betroffenen als Ausgangspunkt genommen, um zu erfahren, wie Russland seine Besetzung umgesetzt hat – nämlich durch extreme Gewalt und transformative Politik – und wie sich die betroffenen Ukrainer:innen an das Leben unter der Besatzung angepasst haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die russische Besatzung eine klare Strategie verfolgt, der Einsatz von Gewalt systematisch ist und die humanitären Kosten für die Betroffenen immens sind.

Global Public Policy Institute, https://gppi.net/2024/07/30/life-under-russian-occupation-in-ukraine.


Institute for the Study of War: Russian Occupation Update (June 2025)

Das Institute for the Study of War (ISW) veröffentlicht regelmäßige Updates über die Lage in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine. Das Update von Anfang Juni 2025 thematisiert verschiedene Maßnahmen der russischen Besatzungsbehörden, darunter Pläne zur zwangsweisen Deportation ukrainischer Kinder im Sommer 2025 sowie deren Indoktrinierung und Militarisierung durch russische Jugendprogramme. Weiterhin wird über von Russland vorangetriebene Infrastrukturprojekte berichtet, mit denen die besetzten Gebiete wirtschaftlich und administrativ weiter in die Russische Föderation integriert werden sollen, wie zum Beispiel über die verstärkte Kontrolle über das Energiesystem in den besetzten Gebieten, um es mit dem russischen Netz zu verbinden.

Institute for the Study of War, https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-occupation-update-june-3-2025.


Luhansk Regional Human Rights Centre “Alternativa”: Life under occupation. The situation in the Ukrainian territories temporally controlled by the Russian army

Der Newsletter des Luhansker Menschenrechtszentrums “Alternativa“ von Februar 2025 behandelt Themen wie Willkür und Terrorregime der russischen Besatzungsverwaltung, russische Propaganda, gewaltsame Russifizierung und Militarisierung, sozioökonomische Lage der Bevölkerung sowie Widerstand gegen die Besatzungsmacht. Neben Kurzanalysen gibt es auch zahlreiches Bildmaterial, das Eindrücke aus den besetzten Gebieten liefert.

Luhansk Regional Human Rights Centre, https://www.alterpravo.org.ua/wp-content/uploads/2021/10/Digest_ENG_02.2025.pdf.


Luhansk Regional Human Rights Centre “Alternativa”: Lost Roots. Forced Displacement and Deportation of Ukrainian Citizens from the Temporarily Occupied Territories of Ukraine. Analytical Survey for the period from March 2022 to December 2024.

Der Bericht analysiert die systematische Zwangsvertreibung und Deportation ukrainischer Bürger:innen – insbesondere Kinder – aus den vorübergehend von Russland besetzten Gebieten nach Russland. Er dokumentiert verschiedene Fälle, darunter „Evakuierungen“ unter Kriegsbedingungen, gezielte Deportationen bei „Illoyalität“ sowie ideologische Indoktrination und Zwangsrussifizierung deportierter Kinder. Die Maßnahmen werden von der ukrainischen Nichtregierungsorganisation als Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und teils als völkermordähnlich bewertet. Der Bericht beschreibt zudem die internationale Reaktion, etwa die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Abschließend werden sieben Empfehlungen zur Unterstützung der Rückführung deportierter Kinder und zur juristischen Aufarbeitung formuliert.

Luhansk Regional Human Rights Centre, https://www.alterpravo.org.ua/wp-content/uploads/2021/10/Lost-roots_eng.pdf.


Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR): Sixth Interim Report on reported violations of international humanitarian law and international human rights law in Ukraine

Im Dezember 2024 veröffentlichte ODIHR den sechsten Bericht über Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine mit einem Schwerpunkt auf den von Russland besetzten Regionen. Der Bericht stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Aussagen von 94 Opfern bzw. Zeug:innen, die von Menschenrechtsverletzungen im zweiten Halbjahr 2024 berichteten. Dazu zählen unter anderem Fälle willkürlicher Inhaftierung, Folter von Kriegsgefangenen, konfliktbezogene sexuelle Gewalt, Zwangsrekrutierungen in die Armee oder die Unterdrückung von Kritik und Dissens.

Organization for Security and Co-Operation in Europe (OSZE), https://www.osce.org/odihr/582835.


Ombudsman of Ukraine: Special Report on the situation in the territories of Ukraine temporarily occupied by the Russian Federation

Das Büro des ukrainischen Ombudsmanns für Menschenrechte, Dmytro Lubinez, veröffentlichte im März 2025 einen Bericht, welche Mittel die russische Besatzungsmacht einsetzt, um die Bevölkerung der besetzten Gebiete der Ukraine zu unterwerfen. Dabei werden zahlreiche systematische und schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, von Filtration, Zwangsverschleppungen und Umsiedlungen bis hin zu Folter, Morden und außergerichtlichen Hinrichtungen. Das Ziel dieser Maßnahmen sei es, die ukrainische Identität zu unterdrücken und die besetzten Gebiete dauerhaft in die Russische Föderation zu integrieren. Neben der Dokumentation und Analyse der Menschenrechtsverletzungen liefert der Bericht Empfehlungen an nationale und internationale Akteur:innen, um die Rechte der Betroffenen zu schützen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Ombudsman der Ukraine, https://www.ombudsman.gov.ua/storage/app/media/uploaded-files/SpecialReport2025.


United Nations General Assembly: Situation of human rights in the temporarily occupied territories of Ukraine, including the Autonomous Republic of Crimea and the city of Sevastopol. Report of the Secretary-General

Der Bericht des UN-Generalsekretärs, veröffentlicht im Juli 2024, behandelt die Menschenrechtslage in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine im Zeitraum vom 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024. Er dokumentiert systematische Verstöße gegen internationales humanitäres Recht und Menschenrechte, darunter die zwangsweise Einführung russischer Gesetze und Institutionen, die erzwungene Annahme der russischen Staatsbürgerschaft, Deportationen (einschließlich von Kindern) sowie die Rekrutierung ukrainischer Bürger in die russischen Streitkräfte. Weitere Themen sind die Einschränkungen der Meinungs-, Religions- und Bildungsfreiheit sowie die gezielte Russifizierung des Bildungssystems. Der Bericht fordert Russland auf, internationale Verpflichtungen einzuhalten, die Rechte der betroffenen Bevölkerung zu respektieren und internationalen Beobachter:innen Zugang zu den besetzten Gebieten zu gewähren.

United Nations Digital Library, https://digitallibrary.un.org/record/4059769/files/A_79_258-EN.pdf.


United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (OHCHR): The Impact of the Armed Conflict and Occupation on Children’s Rights in Ukraine, 24 February 2022 – 31 December 2024

Der Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte vom 21. März 2025 dokumentiert schwerwiegende Verstöße gegen die Rechte von Kindern in der Ukraine seit Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den von Russland besetzten Gebieten, wo Kinder gezwungen werden, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, die russische Schulbildung zu absolvieren und an militärisch-patriotischen Trainings teilzunehmen, was gegen internationales humanitäres Recht verstößt. Mindestens 200 Kinder wurden nach Russland oder in russisch kontrollierte Gebiete gebracht, was als Kriegsverbrechen eingestuft werden könnte.

United Nations Human Rights Office of the High Commissioner, https://www.ohchr.org/sites/default/files/2025-03/2025-03-21-ohchr-report-children-s-rights-in-ukraine.pdf.


ZMINA: 11 years of oppression and repression: how human rights in occupied Crimea are approaching zero

Die Menschenrechtslage auf der seit 2014 von Russland besetzten Krim war bereits vor der großangelegten russischen Invasion dramatisch und verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. Die Analyse von Artem Hirieiev für die bekannte ukrainische Menschenrechtsorganisation ZMINA über die Einschränkung von Rechten und Freiheiten seit dem 24. Februar 2022 zeigt, dass auf der Krim seither ein Terrorregime gegen die lokale Bevölkerung errichtet wurde.

ZMINA, https://zmina.info/en/articles-en/11-years-of-oppression-and-repression-how-human-rights-in-occupied-crimea-are-approaching-zero-2/.


ZMINA: Survival or Crime. How Ukraine punishes collaborationism

Der im Juli 2024 erschienene Bericht untersucht Fälle von Kollaboration im Kontext der einschlägigen ukrainischen Rechtsprechung zum Thema. Zudem wird die Entwicklung des ukrainischen Strafrechts zum Thema Kollaboration analysiert – und kritisch Hinterfragt. Ziel der Menschenrechtsorganisation ZMINA ist es mit diesem Bericht die Schwachstellen in der Gesetzgebung zur Kollaboration aufzuzeigen und eine wirksame Strategie für die angemessene juristische Bearbeitung von Fällen von Kollaboration zu entwickeln.

ZMINA, https://zmina.ua/en/publication-en/survival-or-crime-how-ukraine-punishes-collaborationism/.

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Analyse

Ϊ – Ze Ukrajina! Zum Widerstand in den besetzten Gebieten

Von Yuriy Matsiyevsky, Susann Worschech
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine kann als der am besten dokumentierte Krieg gelten. Doch während über den Verlauf des Krieges, seine Folgen und die vielfältigen Formen der gesellschaftlichen Resilienz in den staatlich kontrollierten Teilen der Ukraine umfangreiche und detaillierte Informationen vorliegen, ist die Situation in den besetzten Gebieten noch weit weniger erforscht. Die Datenerhebung in diesen Regionen ist sowohl für Forschende als auch für Informant:innen schwierig und äußerst gefährlich. Basierend auf Open-Source-Daten betrachten wir in diesem Artikel die bekanntesten Widerstandsgruppen und ihre Aktivitäten.
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Analyse

»Eine Schule der Korruption«: Illegale Finanzen in den von Russland besetzten Gebieten

Von Olivia Allison
Aus riesigen und intransparenten Posten des russischen Haushalts werden die besetzten ukrainischen Gebiete unterstützt und rechtswidrig vorgehende Akteur:innen und kriminelle Aktivitäten gefördert. Die »Korruptionsvertikalen « führen hinauf bis zu führenden Kräften im Kreml, die für die Bereiche Bauwesen, Geheimdienste und Verteidigung zuständig sind. Die Besatzung ermöglicht es Beamt:innen, die bereits früher in Russland der Korruption beschuldigt wurden, ihren Ruf wiederherzustellen (oder durch fortgesetzte Korruption belohnt zu werden). Die vielen binnenvertriebenen Ukrainer:innen in den besetzten Gebieten tragen die Hauptlast der Folgen. Darüber hinaus gibt es aber auch globale Folgen dieser blühenden »Grauzone« aus rechtswidrigen Finanzen.
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