Kriegsverbrechen vor Gericht: Braucht es ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression?

Von Rainer Wedde (Wiesbaden Business School, Wiesbaden)

Zusammenfassung
Das Ausmaß der mutmaßlichen russischen Kriegsverbrechen im Krieg gegen die Ukraine seit 2022 ist in Europa für die Epoche seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellos. Sie verlangen eine gründliche strafrechtliche Verfolgung nach dem humanitären Völkerrecht, um die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Dennoch begegnet die rechtliche Aufarbeitung einer Reihe juristischer und tatsächlicher Hindernisse. Es erscheint unerlässlich, zumindest Fakten zu sichern und die rechtlichen Positionen zu Kriegsverbrechen zu bestätigen. Das geplante Sondergericht unter dem Dach des Europarats kann hier gute Dienste leisten. Ob dies die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die tatsächlichen Täter bestraft werden, bleibt aktuell jedoch fraglich.

Russische Kriegsverbrechen

Seit Beginn seiner Präsidentschaft ist Putins Herrschaft durch eine konsequente Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und rechtlicher Grundsätze gekennzeichnet. Während seiner Zeit als Ministerpräsident und nach seiner Wahl zum Präsidenten war Putin eine der für die massiven Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verantwortlichen Schlüsselfiguren. Es folgten eine immer stärkere Repression im eigenen Land sowie militärische Interventionen in Georgien (2008), der Ostukraine (ab 2014) und Syrien (ab 2015), die alle mit Vorwürfen schwerwiegender Rechtsverstöße einhergingen.

Besonders schwerwiegend sind die Kriegsverbrechen, die das russische Militär im Zuge seines am 24. Februar 2022 begonnenen Voll-Angriffs auf die Ukraine begangen hat. Namen wie Butscha, Kramatorsk und Mariupol stehen dafür als Symbole. Die gezielten Angriffe auf zivile Objekte in ukrainischen Städten und die systematisch unmenschliche Behandlung ukrainischer Kriegsgefangener sind weitere Beispiele für schwerwiegende Rechtsverletzungen.

Diese Taten sind zum Teil gut dokumentiert. Die Ukraine hat mit Hilfe mehrerer anderer Länder und Organisationen umfangreiche Beweise gesichert. Bis heute wurden fast 200.000 Fälle möglicher Kriegsverbrechen registriert (Ukraine Media Center 2025; Europäische Kommission 2025). Die Europäische Union, insbesondere Deutschland, hat diese Aktivitäten durch die Entsendung von Ermittlern und logistische Unterstützung gefördert. Moderne Technologie erleichtert ebenfalls die Ermittlungen. Es besteht die Hoffnung, dass dadurch Verbrechen besser dokumentiert werden können als in früheren Kriegen. Das Strafverfahren in den Niederlanden wegen des Abschusses von Flug MH17 dient als eindrucksvolles Beispiel für diese modernen Ermittlungsmethoden.

Konkrete Straftaten wurden bereits vor Gericht gebracht. Die ersten Verurteilungen von Kriegsverbrechern sind in der Ukraine ergangen, meist in Abwesenheit (Nicholsen 2025). Vereinzelte Verfahren laufen auch in anderen Ländern. Diese richten sich jedoch in der Regel nur gegen Täter am Ende der Befehlskette und nur dann, wenn sie gefangen genommen wurden oder Russland aus einem anderen Grund verlassen haben.

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat unlängst Russland einstimmig für seine Kriegshandlungen in der Ukraine verurteilt (Urteil in der Rechtssache Ukraine und Niederlande gegen Russland, 9. Juli 2025). Neben den militärischen Ereignissen in der Ukraine war der Abschuss des Fluges MH17 im Juli 2014 ein wichtiger Gegenstand des Verfahrens. Das Gericht sprach von einer »flagranten Missachtung […] der Grundlagen der internationalen Rechtsordnung« durch Russland.

Strafbarkeit

Zahlreiche der dokumentierten Rechtsverletzungen erfüllen die Tatbestandsmerkmale von Kriegsverbrechen nach dem humanitären Völkerrecht (sogenannte »Core crimes«, siehe Ambos 2024, Vorbemerkung zu § 3 Rn 6). Das Urteil des EGMR vom 9. Juli 2025 enthält eine bedrückende Beschreibung dieser Verstöße.

Es wird oft übersehen, dass Kapitel 34 des russischen Strafgesetzbuchs (Föderales Gesetz Nr. 63-FZ vom 13.06.1996 mit späteren Änderungen) auch eine Reihe von Straftatbeständen enthält, die in einer durchaus modernen Weise formuliert sind und die Kriegsführung regeln (Wedde 2022, S. 144). So stellt beispielsweise Art. 356 den Einsatz verbotener Mittel und Methoden der Kriegsführung unter Strafe, Art. 357 verbietet Völkermord und Art. 358 den Ökozid. Art. 353 des russischen Strafgesetzbuchs bestraft die Planung, Vorbereitung, Entfesselung und Führung eines Angriffskriegs.

Diese Normen bilden ungeachtet ihrer aktuellen Bedeutungslosigkeit in der Praxis eine wichtige rechtliche Grundlage für die Aufarbeitung der während des Kriegs in der Ukraine begangenen Verbrechen. Anders als etwa im Nürnberger Prozess steht die grundsätzliche Strafbarkeit von Taten wie Aggression, Angriffskrieg oder Genozid außer Frage. Es wäre sogar möglich, die Verbrechen allein auf der Grundlage des russischen Rechts erfolgreich aufzuarbeiten. Allerdings dürfte dies erst möglich sein, wenn sich die Verhältnisse im Land radikal ändern.

Im Rahmen des Kriegs in der Ukraine begangene Kriegsverbrechen sind natürlich auch nach ukrainischem Recht strafbar. Die Opfer dieser Verbrechen sind fast ausnahmslos ukrainische Staatsangehörige.

Ahndung der Kriegsverbrechen

Es ist weitaus schwieriger, russische Kriegsverbrechen strafrechtlich zu verfolgen, als ihre Existenz nachzuweisen. Dies stellt Jurist:innen vor erhebliche Herausforderungen, zumal die politische Bewertung des Kriegs weltweit keineswegs einhellig ist. Einige Staaten stehen mehr oder weniger offen auf der Seite Russlands, während andere versuchen, eine Mittelposition einzunehmen, auch zum eigenen Nutzen. Manche schließlich verbinden ihre Position mit einer grundsätzlichen Kritik an doppelten Standards des Westens.

Internationaler Strafgerichtshof

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wäre der natürliche Ort für eine Klärung der Vorwürfe. Seine Zuständigkeit ist jedoch umstritten. Russland war zwar im Jahr 2000 dem Römischen Statut beigetreten, beendete aber den Ratifizierungsprozess im Jahr 2016 und zog seine Unterschrift zurück. Die Ukraine war im Jahr 2000 ebenfalls dem Römischen Statut beigetreten, hat es aber zunächst nicht ratifiziert. Dies erfolgte erst im August 2024, sodass das Land erst Anfang 2025 Mitglied des Römischen Statuts wurde. Die Ratifikation macht jedoch von einer Übergangsregelung Gebrauch, sodass die Zuständigkeit des IStGH für die Ukraine in den ersten sieben Jahren nur von Ausländern begangene Verbrechen erfasst (Opt-out nach Art. 124 des Römischen Statuts).

Obwohl Russland nicht Mitglied des Römischen Statuts ist und die Ukraine es lange nicht ratifiziert hat, kann der Gerichtshof Ermittlungen durchführen. Grund dafür sind formelle Erklärungen der Ukraine gemäß Art. 12 (3) des Römischen Statuts aus den Jahren 2014 und 2015. Nach der Vollinvasion im Jahr 2022 beantragten zudem insgesamt 43 Staaten eine Untersuchung durch den Gerichtshof (gemäß Art. 14 des Römischen Statuts). Infolgedessen erließ der IStGH im Jahr 2023 einen Haftbefehl gegen Putin und gegen die russische Beauftragte für Kinderrechte, Lwowa-Belowa, wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen Deportation ukrainischer Kinder nach Russland (Bock und Gruber 2023, S. 161). Im Jahr 2024 folgten Haftbefehle gegen mehrere russische Militärs und Politiker (Sergei Schoigu, Waleri Gerassimow, Wiktor Sokolow und Sergei Kobylasch).

Der IStGH ist insbesondere für Völkermord (Art. 6), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7) und Kriegsverbrechen (Art. 8) zuständig. Dies dürfte die meisten der bislang in der Ukraine untersuchten kriegsbezogenen Menschenrechtsverletzungen abdecken.

Nationale Gerichte

Die begrenzten Ressourcen des IStGH schränken jedoch seine Möglichkeiten, alle derartigen Verbrechen umfassend zu ahnden, erheblich ein (Schramm 2022, S. 138). Der Gerichtshof muss sich daher auf die oberen Glieder der Befehlskette konzentrieren. Zu diesem Zweck unterhält der IStGH kooperative Beziehungen zu den nationalen Gerichten der betroffenen Länder. In erster Linie sind die nationalen Gerichte der betroffenen Staaten, in diesem Fall der Ukraine, für die Strafverfolgung zuständig.

Ebenfalls zuständig wären die Gerichte der Russischen Föderation, dem Staat, dem die meisten Täter:innen angehören. Die überwiegende Mehrheit der genannten Straftaten wurde seit Februar 2022 begangen. Während die russischen Strafverfolgungsbehörden jedoch intensiv an der Unterdrückung russischer Dissident:innen mitwirken, sind Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen, die von Angehörigen der russischen Streitkräfte oder staatlicher Organe begangen wurden, kaum bekannt. Erst recht gibt es keine Verfahren gegen hochrangige Offiziere oder die Staatsführung. Realistisch ist eine solche Strafverfolgung damit erst nach einer Niederlage oder einem Regimewechsel.

Nach den Grundsätzen des Völkerrechts können schließlich auch Drittstaaten Kriegsverbrechen verfolgen und ahnden. In Deutschland sieht § 1 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) vor, dass deutsche Behörden Straftaten nach §§ 6 bis 12 VStGB auch dann verfolgen können, wenn kein Bezug zu Deutschland besteht. Es sind bereits Fälle solcher Verbrechen vor deutschen Gerichten entschieden worden, etwa zu Ruanda oder zu Syrien. Typischerweise tritt die Strafverfolgung durch ein Drittland jedoch zurück, wenn sich ein internationales Gericht oder ein anderes nationales Gericht mit Zuständigkeit für kompetent erklärt.

Besonderheit beim Verbrechen der Aggression

Es besteht kein Zweifel daran, dass die seit 2022 (und in einigen Fällen seit 2014) auf dem Territorium der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen strafbar sind und strafrechtlich verfolgt werden können. Es stehen lediglich tatsächliche Hindernisse im Wege. Erstens ist eine Strafverfolgung aus rechtlicher Sicht nur dann erfolgreich, wenn die Täter gefasst werden. Unbefriedigend ist, dass eine Strafverfolgung der Täter an der Spitze der Befehlspyramide unter den genannten Umständen rechtlich ausgeschlossen ist, obwohl die anderen Verbrechen ohne das »Hauptverbrechen« – den Angriffskrieg gegen die Ukraine – wahrscheinlich nicht begangen worden wären.

Das Verbrechen der Aggression wirft besondere (rechtliche) Fragen auf. Es war ursprünglich im Römischen Statut ausgespart worden, wurde aber später in die Art. 8bis und 15bis aufgenommen. Während der erste Artikel die übliche strafrechtliche Verantwortlichkeit für einen Angriffskrieg umfasst, macht Art. 15bis die Strafverfolgung von besonderen Bedingungen abhängig. Da Russland kein Mitglied des Römischen Statuts ist und jede Entscheidung des UN-Sicherheitsrats blockieren kann, wird dieser Weg unter dem derzeitigen russischen Regime zu keinem Ergebnis führen. Kürzlich scheiterte ein Versuch, das Römische Statut zu erweitern.

Eine Strafverfolgung durch die Ukraine oder Drittstaaten ist ebenfalls ausgeschlossen. Staatsoberhäupter genießen nach überwiegender Meinung Immunität ratione materiae und personae (funktionale und persönliche Immunität, Hemmje 2024, S. 649). Daher können sie nicht von nationalen Gerichten strafrechtlich verfolgt werden, zumindest nicht während ihrer Amtszeit. Eine Strafverfolgung durch russische Behörden auf der Grundlage von Art. 353 des russischen Strafgesetzbuchs, der Angriffskriege unter Strafe stellt, wäre unproblematisch. Dies ist jedoch in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich.

Die derzeitige Situation ist mithin hochgradig unbefriedigend. Seit einiger Zeit wird daher über die Einrichtung eines Sondergerichtshofs zur Ukraine diskutiert. Ein solcher Sondergerichtshof könnte von den Vereinten Nationen eingerichtet werden. Dies ist in der jüngeren Vergangenheit bereits mehrfach geschehen (Jugoslawien 1993, Ruanda 1994, Kambodscha 2003, Libanon 2005), erfordert jedoch einen breiten Konsens der internationalen Staatengemeinschaft. Ein solches Sondertribunal würde die rechtliche Grundlage für die Strafverfolgung der für den Angriff Russlands Verantwortlichen schaffen. Eine Berufung auf die Immunität wäre vor einem solchen (internationalen) Gericht nach herrschender Meinung nicht mehr möglich (Hemmje 2024, S. 666 f.)

Allerdings verlangt die Einrichtung eines solchen Sondertribunals einen Beschluss entweder des Sicherheitsrats oder der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Aufgrund des Vetorechts Russlands (und Chinas) kommt eine Maßnahme des Sicherheitsrats nicht in Frage. Die Generalversammlung hat zwar mit großer Mehrheit die russische Aggression verurteilt. Ob sich allerdings eine Mehrheit fände, um ein Sondertribunal einzurichten, erscheint mehr als fraglich. Nicht-europäische Staaten haben wiederholt doppelte Standards kritisiert, da ein ähnlicher Ansatz bei anderen Aggressionen weltweit nicht angewendet wurde (Hendrickse 2024).

Eine Lösung könnte daher auf regionaler europäischer Ebene gefunden werden. Am 25. Juni 2025 haben der Europarat und die Ukraine eine Vereinbarung zur Einrichtung eines Sondergerichtshofs (Agreement between the Council of Europe and Ukraine on the Establishment of the Special Tribunal for the Crime of Aggression against Ukraine) getroffen und sich auf ein Statute of the Special Tribunal for the Crime of Aggression against Ukraine verständigt. Das Tribunal soll in Den Haag eingerichtet werden und wird bald, zumindest vorläufig, seine Tätigkeit aufnehmen. Nunmehr soll rasch die Finanzierung geklärt werden; interessierte Staaten und die EU können mitwirken.

Das Sondertribunal entscheidet auf der Grundlage des ukrainischen Rechts, das von internationalen Richter:innen ausgelegt wird. Eine Verurteilung von Staatsoberhäuptern und vergleichbaren Personen ist während ihrer Amtszeit aufgrund der Immunität ausgeschlossen (Art. 24 (5) Statut). Während dieser Zeit können gegen ein Staatsoberhaupt lediglich Ermittlungen durchgeführt werden.

Viel Lärm um nichts?

Sondertribunale haben in der Geschichte wiederholt dazu beigetragen, nach dem Ende kriegerischer Auseinandersetzungen (Kriegs-)Verbrechen zu ahnden. Beispiele hierfür sind das Nürnberger Tribunal 1945, das Sondergericht gegen Saddam Hussein und die Rolle des IStGH bei der Aufarbeitung der Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Den meisten Fällen ist jedoch gemeinsam, dass sie nach einer militärischen Kapitulation oder zumindest nach einem Regimewechsel stattfanden.

Das geplante Sondertribunal für die Ukraine sieht sich deutlicher Kritik ausgesetzt (Ambos 2023, S. 75). Staaten des Globalen Südens werfen dem Westen doppelte Standards vor. Dem steht jedoch der regionale Ansatz über den Europarat entgegen; damit kann das Sondertribunal als europäische Angelegenheit formuliert werden. Allerdings schwächt ein solches Sondertribunal die Position des IStGH, der einen einheitlichen Ansatz für alle Kriegsverbrechen verfolgt (Efgen 2025). Nicht auszuschließen ist auch, dass die Einrichtung des Sondertribunals die Position Russlands eher verhärtet. Die russische Führung könnte dann noch weniger zu politischen Kompromissen bereit sein (Tass 2025).

Der Nutzen des Sondertribunals beim Europarat muss daher realistisch bewertet werden. Mit einer militärischen Niederlage Russlands ist absehbar nicht zu rechnen. Ein Regimewechsel kann in einem derart intransparenten und auf eine Führerfigur zugeschnittenen System zwar niemals vollständig ausgeschlossen werden. Allerdings dürfte eine Veränderung derzeit eher durch eine Palastrevolution als durch einen Volksaufstand erfolgen. Ein neuer Regimechef hätte dann kein Interesse an einer gründlichen Aufklärung der Vergangenheit, da diese zu eng mit dem vorherigen System verbunden wäre. Es erscheint daher unrealistisch, dass die russische Führung für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird.

Was kann das Sondertribunal des Europarats also über das bestehende System hinaus tatsächlich leisten? Aus der Sicht eines neutralen Juristen ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit Putins und seines Umfelds nach internationalem, ukrainischem und russischem Recht eindeutig. Allerdings hindert das eigene Statut das Sondertribunal daran, einen amtierenden Staatschef strafrechtlich zu verfolgen. Folglich kann das Gericht nur dann gegen Putin vorgehen, wenn er sein Amt niederlegt oder seine Immunität aufgehoben wird.

So bleibt dem Sondertribunal, Beweise zu sammeln und einen Prozess für die Zukunft vorzubereiten, wenn der Putinismus überwunden ist. Das ist zwar durchaus sinnvoll, könnte aber auch an anderer Stelle erfolgen. Aber schon nach dem Ende der Sowjetunion scheiterten die Bemühungen, die Verbrechen des kommunistischen Regimes aufzuarbeiten. Das Verbot von Memorial durch das Oberste Gericht Russlands im Dezember 2021 – kurz vor Ausbruch des Kriegs – ist dafür ein trauriges Symbol. Das Land ist einer Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus und des sowjetischen Kommunismus ausgewichen (Epplée 2023).

Ausblick

Kriegsverbrechen kommen leider in nahezu jeder kriegerischen Auseinandersetzung und oft auf allen Seiten vor. Die Kriegsführung Russlands gegen die Ukraine zeichnet sich aber durch besondere Menschen- und Rechtsverachtung aus. Sie verlangt daher in besonderer Weise eine internationale Verurteilung, um nicht nur den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern auch die internationale Gerechtigkeit wiederherzustellen. Ein Sondertribunal kann ein Signal senden, aber auch nicht mehr.

Grundlage für eine dauerhafte Friedenslösung muss eine (selbst-)kritische Bewertung aller Ereignisse seit 2014 durch die russische Gesellschaft sein. Für die notwendige Selbstkritik gibt es derzeit allerdings keinerlei Anzeichen, die russische Bevölkerung scheint das System Putin zumindest passiv zu unterstützen; die wenigen kritischen Köpfe sind im Exil, im Gefängnis oder auf dem Friedhof. Diese Verweigerung von Selbstkritik bedeutet, dass das Land weiterhin aggressiv bleibt. Ein Sondertribunal wird daran nichts ändern. Es kann bestenfalls die Voraussetzungen schaffen, um beim Zusammenbruch des Putinismus nachhaltiger zu agieren als beim Zusammenbruch des Kommunismus.

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Analyse

Kriegsverbrechen im Visier der ukrainischen Strafjustiz

Von Yevhen Pysmenskyy
Die strafrechtliche Verfolgung der im Kontext des russisch-ukrainischen Krieges begangenen Kriegsverbrechen finden stetig und berechtigterweise die Aufmerksamkeit der Medien, der Öffentlichkeit, von Expert:innen für nationale Sicherheit und nicht zuletzt der Strafrechtswissenschaft selbst. Dieser Beitrag analysiert die bisher begrenzten Erfahrungen mit der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen. Dazu wird eine quantitative Analyse der zentralen Indikatoren für das Vorgehen der ukrainischen Strafverfolgungsbehörden und der Justiz vorgenommen. Insbesondere wird untersucht, wie Kriegsverbrechen aufgedeckt und Kriegsverbrecher:innen strafrechtlich zur Verantwortlichkeit gezogen werden. Betrachtet werden auch die vorgerichtlichen Ermittlungsergebnisse bei dieser Kategorie von Straftaten. (…)
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