Die Verwaltungsjustiz in Kasachstan. Stand und Perspektiven der weiteren Entwicklung

Von Roman Melnyk (M. Narikbayev KAZGUU University, Astana)

Zusammenfassung
Am 1. Juli 2021 ist das neue Verwaltungsgesetzbuch der Republik Kasachstan in Kraft getreten, das für gerichtliche Verwaltungsverfahren eine eigene Verwaltungsgerichtsordnung etabliert hat und in dem zum ersten Mal alle Vorschriften für Verwaltungsverfahren gesammelt und kodifiziert wurden. Das Gesetzbuch ist seitdem zu einem festen Bestandteil der kasachstanischen Rechtsprechung geworden, was sich unter anderem anhand der steigenden Zahl eingereichter Verwaltungsklagen zeigt. Auch wenn Kasachstan mit dem Verwaltungsgesetzbuch eines der fortschrittlichsten Verwaltungsjustizsysteme im postsowjetischen Raum geschaffen hat, enthält es einige Bestimmungen, die rechtsstaatlichen Prinzipien zuwiderlaufen. Die weitere Verbesserung von Prozeduren innerhalb der Judikative setzt die Implementierung von zusätzlichen Reformen voraus.

Einleitung: Der lange Weg zum Verwaltungsgesetzbuch

Der 1. Juli 2021 markierte für Kasachstan den Beginn einer neuen Ära seiner Rechtsstaatlichkeit, nachdem die Verwaltungsjustiz auf Grundlage des neuen, ein Jahr zuvor verabschiedeten Verwaltungsgesetzbuches ihre Arbeit aufgenommen hat. Kasachstans Weg zur Schaffung einer institutionalisierten Verwaltungsjustiz war recht lang. An der mühevollen Vorbereitungsphase waren vor allem das Justizministerium und der Oberste Gerichtshof mit aktiver Unterstützung der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt. Diese Stellen haben in Kooperation einige Gesetze ausgearbeitet, die nach ihrer Verabschiedung schließlich im neuen »Gesetzbuch der Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessordnung der Republik Kasachstan« (APPK) zusammengefasst wurden. Das APPK besteht heute aus drei relativ eigenständigen Teilen: Der erste regelt die Rahmenbedingungen von Verwaltungsverfahren (allerdings nur hinsichtlich der Verabschiedung von Verwaltungsakten), der zweite regelt die internen Verwaltungsverfahren und der dritte stellt eine Verfahrens- und Prozessordnung für Verwaltungsverfahren (Klagen) dar. Die ersten Kapitel, in denen die Bestimmungen über die Geltungsbereiche des Gesetzbuches und dessen Verhältnis zu anderen normativen Gesetzesakten konzentriert sind, dienen als Bindeglieder dieser drei Teile.

Dieser Ansatz zur Kodifizierung der Gesetzgebung hatte anfangs heftige Diskussionen ausgelöst. Es wurden Zweifel laut, ob es zweckmäßig ist, Rechtselemente, die grundsätzlich unterschiedliche Bereiche der gesellschaftlichen Beziehungen regeln sollen, zu einem Gesetzeswerk zusammenzufassen. Jedoch sind all diese Zweifel mittlerweile verflogen. Es hat sich herausgestellt, dass die gewählte Art der Kodifizierung funktioniert und für diejenigen, die das Recht anwenden, im Großen und Ganzen kein Problem darstellt.

Das APPK hat in der Tat mittlerweile einen festen Platz im nationalen Rechtssystem eingenommen und seine Anwendung nimmt stetig zu. Das ist vor allem auf die aktive Informationspolitik von staatlicher Seite zurückzuführen. Diese verfolgt das Ziel, der Öffentlichkeit den Inhalt des APPK sowie die Art und Weise seiner Anwendung zu erklären. Dabei waren unterschiedliche Körperschaften eingebunden u. a. Behörden der Exekutive, Universitäten, internationale Stiftungen und Organisationen sowie die nationale Anwaltskammer. Eine zentrale Rolle nahmen dabei die Richter:innen der Verwaltungsgerichte selbst ein, die seit dem Tag, an dem die Verwaltungsjustiz ihre Arbeit aufgenommen hat, systematisch in den sozialen Netzwerken über ihre Tätigkeit berichten. Sie erklären dabei zum Beispiel die Bedingungen, unter denen ein Gericht angerufen werden kann, und die Art und Weise, wie diese Anrufung erfolgt. Sie informieren über die Anzahl der eingegangenen und verhandelten Fälle und kommentieren die Gründe, warum sie in Fällen unterschiedlicher Kategorien diese oder jene Entscheidung getroffen haben. Einige Richter:innen hatten Live-Auftritte in Medien oder haben Informationsveranstaltungen mit Student:innen und Bürger:innen abgehalten. Diese Form der »richterlichen Informationspolitik« konnte ich bisher in keinem anderen postsowjetischen Land mit Verwaltungsjustiz beobachten. Die Verwaltungsjustiz Kasachstans zeigt ein überaus hohes Maß an medialer Transparenz, was zweifellos dazu beiträgt, dass das APPK in Kasachstan tatsächlich und in systematischer Weise zur Anwendung kommt.

Das System der Verwaltungsgerichte

Kasachstans Verwaltungsjustiz stellt ein verzweigtes System von Verwaltungsgerichten dar, die gleichwohl keinen in sich eigenständigen Zweig der Judikative bilden. Anders gesagt: Die Verwaltungsjustiz Kasachstans besteht zu einem Teil aus den »Spezialisierten interbezirklichen Verwaltungsgerichten« (SMAS) und zum anderen Teil aus allgemeinen Gerichten, die Funktionen der Verwaltungsjustiz übernehmen.

Gemäß dem Erlass Nr. 500 des Präsidenten der Republik Kasachstan vom 26. Januar 2021, »Über spezialisierte Verwaltungsgerichte«, wurde in der Republik ein System von SMAS geschaffen, welche die Hauptebene der Verwaltungsjustiz bilden. Diese Gerichte wurden in der Hauptstadt eines jeden Gebietes (kasach. Oblys) und den drei Städten von republikanischer Bedeutung (Schymkent, Almaty und Astana) eingerichtet. Im Gebiet Pawlodar wurden zwei SMAS eingesetzt. Im ganzen Land gibt es insgesamt 21 SMAS.

Darüber hinaus können gemäß Artikel 102, Abs. 2, Satz 1 des APPK Verfahren, die in die Zuständigkeit eines Verwaltungsgerichtes fallen, auf Antrag des Klägers vor dem Bezirks- bzw. Stadtgericht des jeweiligen Wohnortes verhandelt werden. Diese Besonderheit der Prozessordnung soll günstigere Bedingungen für Privatpersonen (Kläger:innen) schaffen, indem ihnen die Verwaltungsjustiz so weit wie möglich »nahegebracht« wird. Allerdings könnte diese Lösung bald überflüssig sein, da schon heute die überwiegende Mehrheit der Verwaltungsgerichtsverfahren online verhandelt wird, also keine persönliche Anwesenheit der Kläger:innen im Gerichtssaal notwendig ist. Laut der Richter:innen des Verwaltungsgerichtes von Astana sind »Offline-Verfahren« immer mehr eine Seltenheit. Hierbei muss erwähnt werden, dass die kasachstanische Regierung das Angebot digitaler Dienstleistungen, mittels derer Privatpersonen zum Beispiel online Klagen bei Verwaltungsgerichten einreichen können, intensiv weiterentwickelt (siehe https://eotinish.kz).

Auch Militärgerichte können gemäß Artikel 103 des APPK Verwaltungsverfahren von Angehörigen der kasachstanischen Streitkräfte und anderer militärischer Verbände, sowie von Bürger:innen, die im Reservistendienst stehen, verhandeln. Voraussetzung ist, dass sich die Verwaltungsklage gegen eine Stelle der Militärverwaltung oder eines Truppenteils richtet und das Verfahren nicht in die Zuständigkeit eines anderen spezialisierten Gerichtes fällt.

Eine weitere Besonderheit des Gerichtssystems in Kasachstan besteht darin, dass es neben den Verwaltungsgerichten auch spezialisierte interbezirkliche Gerichte für Ordnungswidrigkeiten gibt, die früher (bis zum Inkrafttreten des APPK) ebenfalls Verwaltungsgerichte hießen, was in der Bevölkerung für eine gewisse Verwirrung sorgt. Spezialisierte interbezirkliche Gerichte für Ordnungswidrigkeiten stehen jedoch in keinem Zusammenhang mit der Verwaltungsjustiz, die nicht für Ordnungswidrigkeiten zuständig ist.

Die kasachstanische Verwaltungsjustiz besitzt keine eigene Appellationsinstanz. Berufungsfälle werden von Richterkollegien übernommen, also eigens dafür einberufenen Richter:innen, die in der Appellationsinstanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit tätig sind. Auf ähnliche Weise verhält es sich mit der Kassationsinstanz, die aus dem Richterkollegium für verwaltungsrechtliche Fragen am Obersten Gerichtshof besteht.

Das neue System der Verwaltungsgerichte erfüllt die ihm zugedachten Aufgaben effektiv. Das zeigt sich an der stetig zunehmenden Zahl der Klagen, die von Privatpersonen gegen Verwaltungsbehörden eingereicht werden. Bis zur Einführung des APPK wurden Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Verwaltungsrechts auf der Grundlage eines eigenen Abschnitts der Zivilprozessordnung durch Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit verhandelt. Laut dem Obersten Gerichtshof ist derzeit eine ständige Zunahme von Verfahren vor Verwaltungsgerichten zu beobachten. So wurden im gesamten Jahr 2022 bei Gerichten der ersten Instanz 30.962 verwaltungsrechtliche Klagen eingereicht. Das sind 31 % mehr als 2021, als Verwaltungsverfahren noch auf Grundlage der Zivilprozessordnung verhandelt wurden.

Gleichzeitig muss jedoch festgehalten werden, dass das neue System der Verwaltungsgerichte, wie die kasachstanische Gerichtsbarkeit insgesamt, nicht vollkommen unabhängig ist, u. a. auch aufgrund einiger Bestimmungen des APPK selbst. So können gemäß Artikel 169, Abs. 6 des APPK Entscheidungen einer Kassationsinstanz auf Antrag des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes oder des Generalstaatsanwaltes revidiert werden. Jene können aus folgenden Gründen Beschwerde gegen eine kassatorische Entscheidung einlegen:

  1. Fälle, in denen die Umsetzung der betreffenden Entscheidung schwerwiegende, unumkehrbare Folgen für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung hat, oder eine Gefahr für die Wirtschaft oder Sicherheit der Republik Kasachstan darstellt;
  2. Fälle, in denen die richterliche Entscheidung die Rechte, Freiheiten oder berechtigten Interessen eines unbestimmten Personenkreises oder andere öffentliche Interessen gefährdet oder verletzt; und
  3. Fälle, in denen die richterliche Entscheidung der einheitlichen Auslegung und Anwendung anderer Rechtsnormen widerspricht (Artikel 169, Abs. 6, Punkt 6 des APPK).

Dabei legt das APPK für die Revision von rechtskräftigen kassatorischen Entscheidungen keinerlei einschränkende Fristen fest.

Diese Bestimmungen des APPK verletzen ein grundlegendes Prinzip der Rechtsprechung, nämlich das Prinzip der Endgültigkeit einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung (res judicata), was für einen Rechtsstaat, der sich als solcher versteht, nicht hinnehmbar ist.

Verfahrensrechtliche Aspekte der neuen Verwaltungsjustiz

Die kasachstanische Verwaltungsjustiz hat sich einige der fortschrittlichsten verfahrensrechtlichen Bestimmungen zu eigen gemacht, die für die Verwaltungsjustiz der Länder West- und Mitteleuropas kennzeichnend sind.

Unterbrechung der Umsetzung eines Verwaltungsaktes oder Verwaltungsvorgangs, gegen den Beschwerde eingelegt wurde

Gemäß Artikel 96 des APPK führt das Einlegen einer Beschwerde gegen einen verwaltungsrechtlichen Vorgang (bei einer übergeordneten Stelle oder einer übergeordneten Amtsperson) dazu, dass die Umsetzung des betreffenden Verwaltungsaktes ausgesetzt wird (mit Ausnahme einiger Fälle, die in diesem Artikel aufgeführt werden). Die Regel wird in analoger Weise auch von Verwaltungsgerichten angewandt, wenn dort eine Verwaltungsklage eingeht. Diese analoge Anwendung ist dadurch zu erklären, dass in jenem Teil des APPK, der die Rahmenordnung der Verwaltungsrechtsprechung regelt, ein entsprechender Artikel bzw. eine derartige Vorschrift fehlt. Allerdings wird in Artikel 140 des APPK festgelegt, dass »der Antragsgegner das Recht hat, ein begründetes Gesuch dahingehend einzureichen, dass der angefochtene Verwaltungsakt notwendigerweise und unverzüglich in Übereinstimmung mit Artikel 96 dieses Gesetzbuches umgesetzt wird«. Somit ergibt sich aus der systemischen Auslegung der Artikel 96 und 140 des APPK für Richter:innen die Möglichkeit, die Umsetzung eines angefochtenen Verwaltungsaktes oder Verwaltungsvorgangs auszusetzen. Hinsichtlich der Frage, ob in einem solchen Fall ein gesonderter Beschluss des Gerichts erfolgt, gibt es keine eindeutige Antwort. Einige Gerichte weisen die Prozessbeteiligten darauf hin, dass die Forderung nach Unterbrechung der Umsetzung des betreffenden Verwaltungsaktes oder Verwaltungsvorgangs in der Beschwerde formuliert sein muss. Andere Gerichte verfügen einfach einen entsprechenden Bescheid.

Das Prinzip der aktiven Rolle des Gerichtes

Gemäß Artikel 16 des APPK ist das Prinzip der aktiven Rolle des Gerichts bei der Rechtspflege obligatorisch, was von den Richter:innen der Verwaltungsgerichte auch konsequent umgesetzt wird. Dieser Umstand wird aus ihren Stellungnahmen und Publikationen deutlich. Die Richter:innen unterstreichen dadurch die Weise, in der die grundrechtliche Spezifik der kasachstanischen Verwaltungsjustiz gerade in diesem Prinzip begründet ist. Das Prinzip hilft den Gerichten dabei, die ursprünglich ungleichen rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten des Klägers und des Beklagten bei verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten anzugleichen.

Das Prinzip erlaubt dem Gericht, umfassend, vollständig und objektiv sämtliche sachlichen Umstände zu untersuchen, die für eine korrekte Entscheidung in dem betreffenden Verwaltungsverfahren relevant sind, und das ohne an Erklärungen, Anträge oder vorgelegte Hinweise, Beweise oder Unterlagen zum Verfahren gebunden zu sein. Dem Prinzip gemäß ist der Richter berechtigt, eine vorläufige rechtliche Einschätzung zu den relevanten rechtlichen Grundlagen abzugeben, die im sachlichen und/oder juristischen Zusammenhang mit dem jeweiligen Verwaltungsverfahren stehen. Das Gericht ist befugt, auf eigene Initiative oder aufgrund eines begründeten Antrags der am Verfahren Beteiligten zusätzliche Materialien und Beweise zu sammeln sowie weitere Schritte einzuleiten, die der Bewältigung des vorliegenden Verwaltungsverfahrens sachdienlich sind.

Möglichkeit der Einigung im verwaltungsrechtlichen Prozess

Die Artikel 120 und 121 des APPK enthalten die wichtigsten prozeduralen Vorgaben für ein Schlichtungsverfahren in einem verwaltungsrechtlichen Prozess. So können gemäß Artikel 120, Abs. 1 des APPK »die Seiten auf der Grundlage gegenseitiger Zugeständnisse das Verwaltungsverfahren vollständig oder zum Teil durch ein Übereinkommen mittels Versöhnung, Mediation oder Regulierung der Streitigkeit in jeder Phase des Verwaltungsverfahren beenden, bevor sich das Gericht zur Urteilsfindung zurückzieht«.

Wie aus den unten aufgeführten statistischen Daten hervorgeht (siehe Seite 6–7), werden Schlichtungsverfahren während Verwaltungsprozessen recht intensiv genutzt. Die kasachstanische Justizverwaltung fördert und unterstützt Schlichtungspraktiken bei Verwaltungsverfahren, da diese als einfacher und effektiver Weg zur Beilegung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten betrachtet werden. An den Verwaltungsgerichten gibt es Richter:innen die speziell mit der Umsetzung von Schlichtungsverfahren betraut sind. Alle Klagen, die bei einem Verwaltungsgericht eingehen, werden zuerst daraufhin geprüft, ob noch vor Prozessbeginn eine Beilegung mittels Schlichtungsverfahren möglich ist.

Unbedingte Vollstreckung von richterlichen Entscheidungen und anderen Anordnungen eines Gerichtes

Eine Besonderheit der kasachstanischen Verwaltungsjustiz liegt im Instrument der prozessbezogenen Zwangsmaßnahmen, die Richter:innen sowohl während einer Verhandlung anweisen können, als auch nach der Fällung eines Beschlusses, um dessen Umsetzung zu gewährleisten. Im letzteren Fall ergänzt das Instrument der prozessbezogenen Zwangsmaßnahme gewissermaßen das Element der strafrechtlichen Verantwortung, das in Artikel 430 des kasachstanischen Strafgesetzbuches (Nichtbefolgung eines Gerichtsurteils, eines Gerichtsbeschlusses, eines Gerichtsbescheids oder eines anderen Vollstreckungstitels) festgehalten ist.

Zu den prozessbezogenen Zwangsmaßnahmen gehören: Verweis, Entfernung aus dem Gerichtssaal und Geldbußen. Geldbußen in Höhe von 10 bis 100 monatlichen Berechnungseinheiten (zwischen 30.630 und 306.300 Tenge, rund 60 bis 600 Euro) können gegen natürliche Personen, Amtspersonen oder juristische Personen bzw. deren Vertreter:innen verhängt werden. Geldbußen können mehrfach verhängt werden, wenn die jeweilige Person die Erfüllung der gerichtlichen Auflage fortwährend verweigert.

Geldbußen können in folgenden Fällen verhängt werden: Missbrauch prozeduraler Rechte; Nichterfüllung prozeduraler Pflichten; Nichterbringung geforderter Beweise; Nichterfüllung von Anweisungen unter Nichteinhaltung von gerichtlich festgelegten Fristen ohne triftige Gründe (wenn dadurch die Verhandlung verschleppt wird); Nichterfüllung einer gerichtlichen Auflage oder Aufforderung; Nichterscheinen vor Gericht einer am Verwaltungsverfahren beteiligten Person; verspätete Benachrichtigung des Gerichts; verspätete Antwort an das Gericht; Nichtbefolgung von Anordnungen des vorsitzenden Richters während einer Gerichtssitzung; Verletzung der im Gericht geltenden Hausregeln; andere (unterlassene) Handlungen, die von einer klaren Missachtung des Gerichts oder des Richters zeugen; Nichtumsetzung einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Gerichtsbeschlusses zur Genehmigung einer Schlichtungs- oder Mediationsvereinbarung der Parteien oder zur Beilegung einer Streitigkeit im Rahmen eines partizipativen Verfahrens (Artikel 127 APPK).

Laut statistischer Daten des Verwaltungsgerichtes von Astana haben dessen Richter:innen im Laufe des Jahres 2022 ganze 116 prozessbezogene Zwangsmaßnahmen in Form von Geldbußen verhängt. Im Fall von Geldbußen gegen Amtspersonen von Verwaltungsbehörden (als Beklagte) sind diese verpflichtet, diese auf eigene Kosten zu begleichen, was durch Bankbelege zu bestätigen ist.

Das Instrument der prozessbezogenen Zwangsmaßnahme ist ein effektives und in der Tat wirksames Mittel, das von Richter:innen intensiv eingesetzt wird, um die Durchsetzung der Verwaltungsrechtsprechung sicherzustellen und die Rechte der Bürger:innen ordnungsgemäß zu schützen.

Fazit

Abschließend ist festzuhalten, dass Kasachstan im Bereich der Verwaltungsjustiz mittlerweile hohe rechtliche Standards aufweist, was von der Effektivität dieser neuen Rechtsinstitution zeugt. Die Erfahrungen Kasachstans sind auch für andere zentralasiatische Staaten relevant, deren juristische Maßstäbe der Verwaltungsrechtsprechung etwas niedriger liegen. Die überwiegend sachgemäße Anwendung des kasachstanischen APPK täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass einige seiner Bestimmungen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten problematisch sind. Darüber hinaus erscheinen, weniger juristische denn politische, Reformen notwendig, um die bestehenden Verfahren zur Ernennung, Versetzung und Entlassung von Richter:innen zu verbessern, sowie effektivere Disziplinarverfahren gegen Richter:innen zu ermöglichen.

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